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Igelstellung

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Als Igelstellung (kurz: Igel) bezeichnet man eine Mittelspielstruktur beim Schach, die in erster Linie durch eine bestimmte Bauernstruktur charakterisiert ist. Die Bezeichnung entstammt der gleichnamigen militärischen Kampfformation (Igel (Militär)) und bezieht sich wie diese symbolisch auf die Verteidigungsstellung eines Igels.

Auch wenn es aufgrund ihrer Komplexität bisher noch keine allgemein anerkannte Definition der Igelstellung gibt[1], so lässt sich festhalten, dass zumindest folgende Merkmale erfüllt sein müssen, um von einer Igelstellung (aus schwarzer Sicht) sprechen zu können:

Bild:chess_zhor_26.png
Bild:chess_zver_26.png
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Bild:chess_zhor_26.png
Beispiel für eine Igelstellung
  • der weiße d-Bauer wird gegen den schwarzen c-Bauern getauscht und zwar derart, dass Weiß anschließend über die halboffene d-Linie, Schwarz hingegen über die halboffene c-Linie verfügt. Üblicherweise findet dieser Tausch auf dem Feld d4 (wenn Schwarz zuerst schlägt) oder c5 (wenn Weiß zuerst schlägt) statt
  • die schwarzen Bauern (ausgenommen den bereits abgetauschten c-Bauern) ziehen zunächst nicht über die 6. Reihe hinaus
  • der schwarze e-Bauer steht auf e6
  • der weiße c-Bauer steht auf c4

Darüber hinaus ist es üblich,

  • dass Schwarz den Damenläufer auf die Diagonale a8-h1 bringt, was gemeinhin mit einem Fianchetto nach b7 geschieht
  • die Bauern vorerst auf h7 (h6), g7 (g6), f7, d6, b6 und a6 stellt bzw. belässt
  • und den Damenspringer nicht nach c6 zieht (wo er dem Damenläufer im Weg stünde und Gegenspiel auf der c-Linie erschwerte), sondern nach d7 sowie den Königsspringer nach f6
  • während Weiß seinen e-Bauern nach e4 zieht.


Stellungen, die nur einen Teil der Mindestmerkmale erfüllen (z. B. weißer c-Bauer auf c2 statt c4)[2] werden gemeinhin als igelartig bezeichnet.

Der Igel wird vor allem von den Schwarzspielern angewendet, gelegentlich auch von Weiß (siehe hierzu z. B. die Partie FischerAndersson, Siegen 1970).[3] [6].

Igelstellungen entstehen - aufgrund des dort charakteristischen frühzeitigen Tausches des schwarzen c-Bauern gegen den weißen d-Bauern - vor allem in der Englischen Eröffnung und der Sizilianischen Verteidigung. Es sind aber viele Zugfolgen möglich; kaum eine Mittelspielposition kann über so viele verschiedene Eröffnungen erreicht werden wie die Igelstellung. Über das bereits erwähnte Englisch und Sizilianisch, in dem allein schon sehr viele Varianten zum Igel führen können,[4] wären ferner Nimzowitsch-Indisch, Damen-Indisch, Bogoljubow-Indisch, Königs-Indisch, Grünfeld-Indisch im Anzug, Damenbauernspiel, Anti-Benoni und einige unregelmäßige Spielanfänge (z. B. 1.b3 b6 2.c4 c5) zu nennen.[5] Hieran wird deutlich, dass es sich beim Igel nicht um eine eigenständige Eröffnung handelt, als die er manchmal fälschlich bezeichnet wird.[6] Einen eigenen Eröffnungscode (A 30) besitzt lediglich der sogenannte englische Igel.[7]

Als „Entdecker“ dieser Struktur gelten der schwedische GM Ulf Andersson und der jugoslawische GM Ljubomir Ljubojevic, die zu Beginn der 1970er Jahre diesen Aufbau in zahlreichen Partien angewendet haben. Zwar kam die Struktur als solche bereits in weitaus älteren Partien vor (siehe z. B. PrzepiórkaGrünfeld, Debrecen 1925 [7], in der Weiß eine Igelstellung hat), aber erst aufgrund der immer regelmäßiger vorkommenden Partien in den 70er Jahren begann man ihre Besonderheiten zu verstehen.

Die Igelstellung gilt aufgrund ihrer vielfältigen strategischen Pläne und zahlreichen taktischen Motive als schwierig zu spielende Mittelspielstruktur.[8] Insbesondere hinsichtlich präziser Zugfolgen wird vor allem vom Schwarzspieler ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit verlangt. Hinzu tritt die ungewöhnliche psychologische Anforderung, sich innerhalb weniger Züge von einer scheinbar ruhigen Stellung, in der beide Seiten solide stehen und Zeit haben fürs Manövrieren und für Prophylaxe, auf eine offene Stellung voller Dynamik umzustellen, in der es ausschließlich um Initiative und Tempo geht. Diese radikale Änderung des Stellungscharakters leitet normalerweise (als Igelspieler) Schwarz ein, indem er das weiße Zentrum insbesondere mit den Bauernvorstößen d6-d5[9] und b6-b5[10] (seltener e6-e5, f7-f5[11], g7-g5[12] und h7-h5[13]) zu unterminieren beginnt. Der weiße Raumvorteil entpuppt sich dabei nicht selten als eine große Bürde, da er nur mit potentiell schwächenden Bauernzügen erreicht werden kann.[14] Gelingt es Schwarz umgekehrt allerdings nicht, diese potentiellen Schwächen auszunutzen oder zu provozieren, kann er häufig nur abwarten und keine eigene Initiative entwickeln. Insofern ist die Igelstellung vorwiegend bei Konterspielern beliebt, die den Gegner dazu verführen, seine Position zu überziehen, um ihn dann im Gegenangriff auszuspielen.[15]Dies ist auch der Hauptgrund, warum der Igel vorwiegend mit Schwarz angestrebt wird.

Zu den heutigen Experten der Igelstellung werden in Deutschland GM Matthias Wahls gezählt, der durch zahlreiche Zeitschriften-Aufsätze den Igel in der deutschen Schachöffentlichkeit zu einer großen Bekanntheit verholfen hat,[16] sowie der IM Frank Zeller, der die erste ausführliche deutsche Monographie zum Thema geschrieben hat.[17] International werden neben den bereits erwähnten GM Andersson und Ljubojevic insbesondere GM Mihai Suba[18] als auch GM Florin Gheorghiu[19] als Kenner dieses Aufbaus angesehen.

Der Igel wurde und wird von nahezu allen Weltklassespielern der vergangenen Jahre gespielt. Von den aktuellen Weltklassepielern [Stand: Januar 2007] wendet besonders der rumänische GM Liviu-Dieter Nisipeanu den Igel regelmäßig an. [20]

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Literatur

  • David Cummings: The Hedgehog. In: ders.: Symmetrical English, Everyman, London 2001, S. 7-27. ISBN 1-85744-292-X
  • Magnus Georg Grabitz: Schach für Igel. Die „Fabel“-hafte Einführung in ein aktuelles Mittelspielsystem. Düsseldorf 1990, ISBN 3-7919-0332-2
  • Anatoli Karpow: [Partieanalysen zu Karpow - Ftacnik, Thessaloniki 1988[8]; Kortschnoi - Greenfeld, Beer Sheva 1990[9]; Anand - Milov, Biel 1997[10]; Karpov - Adams, Wijk aan Zee 1998 [11]; Kramnik - Kasparov, London 2000 [12]. In: ders.: Englisch...richtig gespielt. Beyer, Hollfeld ²2003, S. 95-112, 129-132 und 136-143. ISBN 3-88805-479-6
  • Alexander Khalifman: The Hedgehog & Double Fianchetto Systems. In: ders.: 1.Sf3 - Opening for White according to Kramnik. Chess Stars, Sofia 2001. Bd. 2, Kap. 3, S. 64-119. ISBN 954-8782-18-9
  • Daniel King: Test und Training [Partiekommentar zu Sandipan - Nisipeanu, Pune 2004]. In: Schach Magazin 64, Nr. 23, 2004, S. 635-637, ISSN 0721-9539
  • Stefan Löffler/Lubomir Ftacnik: Verschollen im Informator [Lubomir Ftacnik über seine Igel-Partie gegen Polugajewski, Luzern 1982 [13]]. In: Karl. Die kulturelle Schachzeitung, 2, 2001, S. 50-53.
  • Jószef Pálkövi: Das Igel-System gegen die Englische Eröffnung. Heiden 1997.
  • Mihai Suba: Dynamic Chess Strategy. Oxford, Pergamon 1991. ISBN 0-08-037141-8
  • Mihai Suba: The Hedgehog. London 2000, ISBN 0-7134-8696-1
  • Matthias Wahls: Der Igel [Aufsatz-Serie]. In: Schach. Die Zeitschrift mit Tradition und Anspruch, 2-11 (2002), 1-4, 6-8, 10-11 (2003), 1, 3, 6-7, 10 (2004), 2, 5, 10, 12 (2005), ISSN 0048-9328
  • Frank Zeller: Sizilianisch im Geiste des Igels. Kania, Schwieberdingen 2000, ISBN 3-931192-15-6
  • Frank Zeller: Ein Beitrag zur Igelpraxis. In: ders.: Einblicke in die Meisterpraxis. Eröffnungsvorbereitung und Psychologie, Angriff und Verteidigung: Fischers Lc4-Sizilianisch, Igelstrategien und vieles mehr. Kania, Schwieberdingen 2004, S. 27-40. ISBN 3-931192-27-X
  • Frank Zeller: Die klassische Formation gegen den Igelspieler. In: ders.: Einblicke in die Meisterpraxis. Eröffnungsvorbereitung und Psychologie, Angriff und Verteidigung: Fischers Lc4-Sizilianisch, Igelstrategien und vieles mehr. Kania, Schwieberdingen 2004, S. 41-49. ISBN 3-931192-27-X

[Bearbeiten] Fußnoten

  1. Bei Zeller 2000, S. 8 heißt es bezüglich der Definition der Igelstellung: "... die gestaltet sich nicht einfach, geschweige denn eindeutig". Dies wird auch an der 'Definition' deutlich, die Suba 2000, S. 43 bietet: "The Hedgehog is a manner of defence and counterattack that, to the classical eye, might appear unorthodox."
  2. Vgl. zu den damit einhergehenden prinzipiellen Unterschieden insbesondere Zeller 2000, S. 12-13.
  3. Strenggenommen handelt es sich hierbei lediglich um eine igelartige Position, da der schwarze c-Bauer auf c7 verbleibt und nicht gegen den weißen d-Bauern abgetauscht wird.
  4. Wahls 2002, Heft 10, S. 58-60 listet allein 19 verschiedene Sizilianisch-Igel auf.
  5. Eine sehr ausführliche Auflistung der Spielanfänge, die zum Igel führen können, findet sich bei Wahls 2002, Heft 10, S. 58-60 und Heft 11, S. 46-48. Wahls betont, dass seine Auflistung, die über 50 verschiedenen Zugfolgen angibt, nicht vollständig ist.
  6. "The Hedgehog cannot be an independent system because its set-up reqires mutual co-operation", heißt es dazu bei Suba 2000, S. 43, der ebenda daraus schließt: "It is more of a style than an opening". Entsprechend schreibt Wahls [1]: "Der Igel ist keine durch eine bestimmte Zugfolge definierte Eröffnung (...)". - Das Missverständnis, dass es sich beim Igel um eine Eröffnung handle, wird u. a. auch durch den Mangel an kohärenter begrifflicher Präzision am Leben erhalten. So bezeichnet z. B. Wahls selbst - in Widerspruch zu seiner gerade zitierten Definition - den Igel mehrfach als Eröffnung: "Der Igel ist das Paradebeispiel einer Kontereröffnung" (Wahls 2003, S. 43).
  7. Vgl. Jószef Pálkövi: Das Igel-System gegen die Englische Eröffnung. Heiden 1997.
  8. Eine Übersicht der strategischen und taktischen Motive bieten Grabitz 1990 und Wahls 2002 ff.
  9. Vgl. z. B. Karpov - Andersson, Milano 1975, 24. Zug von Schwarz.
  10. Vgl. z. B. Karpov - Kasparov, Leningrad 1986, 24. Zug von Schwarz.
  11. Vgl. z. B. Karpov - Gheorghiu, Moskau 1977, 26. Zug von Schwarz.
  12. Angeblich stammt die Idee dieses Vorstoßes mit dem g-Bauern aus Fischers weißem Igel gegen Andersson; vgl. Fischer - Andersson, Siegen, 16. Zug von Weiß. Für die Umsetzung dieser Idee mit Schwarz vgl. Anand - Morosewitsch, Calvià 2004, 21. Zug von Schwarz und dazu Anands Partiekommentar in: Schach. Die Zeitschrift mit Tradition und Anspruch. Heft 12, 2004, 58. Jg., S. 21-24.
  13. Vgl. z. B. Polugajewski - Ftacnik, Luzern 1982, 17. Zug von Schwarz.
  14. Bei Suba 2000, S. 43 heißt es in diesem Zusammenhang, dass der Igel "may turn sailing dogmatism into painful ballast". Entsprechend lautet es bei Wahls [2]: "Expandiert der Weiße in unbekümmerter Weise, können [die gebündelten Kräfte der Igelstellung] mit verheerender Wirkung freigesetzt werden".
  15. Vgl. hierzu Wahls 2003, S. 43: "Der Igel ist das Paradebeispiel einer Kontereröffnung. (...) Die Idee hinter der Kontereröffnung ist übrigens sehr rational. 'Warum', sagt sich der Konterspezialist, 'soll ich einen Gegner angreifen, der vor Kraft kaum laufen kann? Ich warte lieber, bis er sich ausgetobt hat und mir seine Schwächen offenbart'". Vgl. ebd. auch Wahls' Ausführungen zum besonderen Verhältnis von Weiß und Schwarz im Igel.
  16. Vgl. Wahls 2002 ff.
  17. Vgl. Frank Zeller: Sizilianisch im Geiste des Igels. Kania, Schwieberdingen 2000. Vgl. außerdem Zeller 2004, S. 27-49.
  18. Vgl. Mihai Suba: The Hedgehog. London 2000. Subas Buch behandelt hauptsächlich den englischen Igel.
  19. Igelpartien Gheorghius finden sich hier [3].
  20. Vgl. z. B. Sandipan - Nisipeanu, Pune 2004 [4]und dazu den Partiekommentar von King 2004. Weitere Igelpartien Nisipeanus unter [5].

[Bearbeiten] Weblinks

[Bearbeiten] Beispielpartien

Weitere verlinkte Partien finden sich auf der Diskussionsseite.

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