Kalkül
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Unter einem Kalkül (lat. calculus, Rechenstein, Spielstein) versteht man in den formalen Wissenschaften wie Logik und Mathematik ein System von Regeln, mit denen sich aus gegebenen Grundfiguren weitere Figuren herstellen und umformen lassen. Teilweise wird der Begriff formales System in derselben Bedeutung verwendet, teilweise werden nur bestimmte Arten von formalen Systemen als Kalkül bezeichnet.
Umgangssprachlich bezeichnet der Ausdruck „ins Kalkül ziehen“ eine bewertende Betrachtung einer möglichen Handlungsweise und entspricht somit dem Ausdruck „in die Überlegung einbeziehen“. Das Wort „Kalkül“ im logischen und mathematischen Sinn ist ein Maskulinum („der Kalkül“), das Wort „Kalkül“ im umgangssprachlichen Sinn wird auch als Neutrum verwendet („das Kalkül“, deshalb auch „ins Kalkül ziehen“).
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[Bearbeiten] Bestandteile
Ein Kalkül besteht aus folgenden Bestandteilen:
- Bausteine, also Grundelemente (Grundzeichen), aus denen komplexere Ausdrücke zusammengesetzt werden. Die Gesamtheit der Bausteine des Kalküls wird auch sein Alphabet genannt. Für einen Kalkül der Aussagenlogik z. B. wählt man als Bausteine Satzbuchstaben (Satzvariablen), einige Konnektive (z. B. →, ∧, ∨ und ¬) und gegebenenfalls Gliederungszeichen (Klammern). In Analogie zu natürlichen Sprachen kann man die Liste der Bausteine als „Wörterbuch“ (im Sinn einer Wörterliste) des Kalküls bezeichnen.
- Formationsregeln, mit denen festgelegt wird, wie die Bausteine zu komplexen Objekten, die auch wohlgeformte Formeln genannt werden, zusammengesetzt werden dürfen. Die Gesamtheit der von den Formationsregeln gebildeten, wohlgeformten Ausdrücke wird auch Satzmenge des Kalküls genannt und ist eine formale Sprache über den Bausteinen. Ein Kalkül für die Aussagenlogik könnte zum Beispiel festlegen, dass man aus zwei bestehenden Sätzen einen neuen Satz bilden darf, indem man die beiden mit einem zweistelligen Konnektiv verbindet. So sind die Formationsregeln in Analogie zur natürlichen Sprache die „Grammatik“ des Kalküls.
- Transformationsregeln, die angeben, wie bestehende wohlgeformte Objekte (Ausdrücke, Sätze) des Kalküls umgeformt werden dürfen, um neue Objekte daraus zu erzeugen. In einem logischen Kalkül sind die Transformationsregeln Schlussregeln, die angeben, wie man aus bestehenden Sätzen auf neue Sätze schließen kann. Ein Beispiel für eine Schlussregel wäre der Modus ponendo ponens, der erlaubt, von zwei Sätzen der Form „A → B“ und „A“ auf den Satz der Form „B“ zu schließen.
- Axiome, das sind Objekte (Ausdrücke), die nach den Formationsregeln des Kalküls gebildet sind und die ohne weitere Rechtfertigung, d. h. ohne eine Transformationsregel auf bereits bestehende Ausdrücke anzuwenden, verwendet werden dürfen.
Von diesen Bestandteilen ist nur der letzte, sind die Axiome optional. Ein Kalkül, der Axiome beinhaltet – egal wie viele oder wie wenige – wird axiomatischer Kalkül genannt. Kalküle, die ohne Axiome auskommen, dafür aber meistens mehr Transformationsregeln beinhalten, werden oft als Regelkalküle (auch Schlussregelkalküle) bezeichnet.
Ein Kalkül ordnet weder seinen Bausteinen noch den daraus erzeugten zusammengesetzten Objekten eine Bedeutung zu.
Ein Kalkül bildet sozusagen einen fest abgeschlossenen Handlungsspielraum. Das Schachspiel mit den Figuren (Axiome) und Zugregeln (Schlussregeln) bietet, wie Spiele im Allgemeinen, ein anschauliches Beispiel. Eine vorgegebene Zielstellung (z. B. Gewinn des Spiels, Lösung eines –politischen– Konflikts, Finden eines Weges aus dem Labyrinth) gehört jedoch nicht zum Kalkül.
[Bearbeiten] Der Begriff Kalkül in der Logik
Die Logik bietet die formalste Definition des Kalkülbegriffs. Axiome sind in der Logik Formeln (Aussagen), Transformationsregeln sind Ersetzungsschemata über den Formeln. Der Begriff des Schließens spielt in der Logik eine zentrale Rolle, und so versucht man den semantisch definierten Folgerungsoperator (siehe Tautologie) durch den syntaktisch definierten Herleitungsoperator
(siehe Theorem) nachzubilden, der die Anwendung von Schlussregeln symbolisiert.
Ein Kalkül heißt
- korrekt
- Wenn sich in ihm nur semantisch gültige Formeln herleiten lassen. (Es darf aber ohne weiteres sein, dass es semantisch gültige Formeln gibt, die in dem Kalkül nicht herleitbar sind.)
- Formal ausgedrückt: Wenn für alle Formeln G und für alle Formelmengen Γ gilt:
- vollständig
- Wenn sich in ihm alle semantisch gültigen Formeln herleiten lassen. (Es kann aber ohne weiteres sein, dass sich in dem Kalkül auch solche Formeln herleiten lassen, die nicht semantisch gültig sind.)
- Formal ausgedrückt: Wenn für alle Formeln G und für alle Formelmengen Γ gilt:
- adäquat
- Wenn er sowohl vollständig als auch korrekt ist.
Es gibt logische Systeme bzw. allgemein formale Systeme, für die sich adäquate Kalküle aufstellen lassen, zum Beispiel die klassische Logik. Andere formale Systeme sind ihrer Natur nach so beschaffen, dass es nicht möglich ist, einen Kalkül aufzustellen, der vollständig und korrekt ist (z. B. Prädikatenlogik höherer Stufe).
Praktische Anwendung finden logische Kalküle in der Informatik auf dem Gebiet des maschinengestützten Beweisens.
[Bearbeiten] Beispiele
- Aussagenkalkül
- Beth Tableaux
- Existential Graphs
- Gentzenkalkül bzw. Sequenzenkalkül
- Hilbertkalkül
- Hoare-Kalkül
- Lambda-Kalkül
- Prädikatenkalkül
- Relationenkalkül
- Residuenkalkül
- Resolutionskalkül
- Situationskalkül
- Syllogistik
[Bearbeiten] Der mathematische Kalkülbegriff
In der Mathematik können sämtliche Regelsysteme die, richtig angewendet, zu richtigen Ergebnissen führen, als Kalkül bezeichnet werden.
[Bearbeiten] Beispiele
[Bearbeiten] Philosophie
Die philosophischen Wurzeln des Kalküls lassen sich schon in Aristoteles' Syllogistik finden, und setzten sich später unter dem Namen ars inveniendi (=„Erfindungskunst“) fort, in dessen Linie vor allem Leibniz' characteristica universalis steht. Zielstellung hierbei ist, durch reine Anwendung von vorher bestimmten Regeln mit Hilfe von Sprache, neue Erkenntnisse zu gewinnen.
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
- Heinz Bachmann: Der Weg der mathematischen Grundlagenforschung. Peter Lang, Bern 1983, ISBN 3261050896