Kolportage
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Der Ausdruck Kolportage (v. frz.: porter à col = am Hals/ Kragen tragen - sinngemäss: auf den Schultern tragen) bezeichnete den Vertrieb von Büchern in Einzellieferungen durch Hausierer ("Kolporteure"). Heute bezeichnet das Verb kolportieren in Anlehnung an seine ursprüngliche Bedeutung abwertend das Verbreiten von Gerüchten und Gesellschaftsklatsch, von dem vor allem die Boulevardzeitungen und die Regenbogenpresse traditionell leben.
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[Bearbeiten] Die Kolporteure und ihre Gegner
Kolporteure stammten meist aus einfachen sozialen Verhältnissen und sahen nicht selten in der Kolportage die einzige Möglichkeit, ihr täglich Brot zu verdienen. Mit kleinen Bauchläden zogen sie durchs Land und vertrieben auf schlechtem, billigen Papier gedruckte Schriften. Manchmal lasen sie auch daraus vor. Für die ländliche Bevölkerungsschicht des 18. und 19. Jahrhunderts waren Kolporteure die wichtigsten Literaturlieferanten und Nachrichtenüberbringer, denn kaum ein Bauer besaß eigene Bücher, hatte Zugang zu Leihbibliotheken oder verfügte über Telegraph oder Telefon. Das Überbringen politischer Nachrichten wurde den Hausierern zwar meist von der polizeilichen Zensur verwehrt, doch durften sie berichten über neue Sensationen, Schlachten oder über unpolitische Kriegsmeldungen. Zudem war der Kolporteur Ideenträger für breite Bevölkerungsschichten. Das Angebot der von Hausierern verbreiteten Büchlein war, für damalige Verhältnisse, sehr groß: fromme Büchlein zum Beten, Singen oder Lesen lernen, Büchlein abergläubischen Inhaltes wie magische Rezepte oder Prophezeiungen und zu guter letzt unterhaltende Literatur - mal mehr, mal weniger anspruchsvoll - zur Freizeitgestaltung.
Doch von Anfang an wurde die Arbeit der Kolporteure immer wieder streng überwacht und erschwert. Schon 1635 schrieb ein Polizei-Reglement in Frankreich vor, dass sie auf der Schulter ein Wappen zu tragen hatten und über eine gedruckte Genehmigung der Stadt zur Ausübung ihrer Tätigkeit verfügen mussten. Knapp 100 Jahre später folgte die Anweisung, dass die von Kolporteuren verteilten Bücher nicht mehr als 8 Bogen, sprich 128 Seiten, umfassen dürfen. Außerdem musste ein Kolporteur lesen und schreiben können, durfte keinen eigenen Laden eröffnen, nichts auf eigene Kosten drucken lassen und musste seine polizeiliche Genehmigung monatlich erneuern und bezahlen.
Ab 1791 schien eine Lockerung die Ausübung des Berufes zu erleichtern, da nun jeder befugt war, diesem nachzugehen, der sich in den städtischen Ämter ein Patent dazu holte.
Doch immer und immer wieder legte vor allem die staatliche Zensur dem Kolportagehandel Steine in den Weg. Der Staat sah eine Bedrohung in der Literatur, die die Bürger von der Arbeit abhielt und auf vermeintlich „dumme Gedanken“ brachte. In Deutschland fürchtete man das Aufkommen revolutionärer Gedanken, inspiriert durch das Vorbild der Französischen Revolution. Also galt es, die Lesekultur zu unterdrücken. Dazu unterwarf man eine Vielzahl der Lesestoffe der Zensur, kontrollierte Buchdrucker aufs Strengste und beobachtete aufmerksam die Kolporteure und den Kolportagebuchhandel.
So fand der Kolporteur trotz seiner großen Bedeutung für die ländliche Bevölkerung niemals viele Bewunderer aus gebildeten Schichten, sondern wurde von Staat, Polizei, Zensur und Konfiszion so klein wie nur möglich gehalten.
[Bearbeiten] Geschichte
Ihren Ursprung findet die Kolportageliteratur im 15.Jahrhundert, wo vor allem religiöse Erbauungsliteratur, Volksbücher und Kalender in den Häusern und auf Jahrmärkten angeboten wurden. Im 18. Jahrhundert lag der Schwerpunkt auf Ritter- und Schauerromanen und im Zuge der Aufklärung und der mit ihr einhergehenden Alphabetisierung wuchs der Bedarf an einfachen und billigen Lesestoffen. Zuerst wollte man den Menschen durch das Medium Buch vor allem nützliches Wissen vermitteln, doch nach und nach forderten die Leser, durch die Lektüre nicht nur unterrichtet, sondern auch unterhalten zu werden. - Die Erwachsenen wollten erfahren was in der Welt geschieht, Kinder und Jugendliche wollten in Abenteuergeschichten, Märchen und Sagen ihrer Phantasie freien Lauf lassen können. Um diesem neuen Leseverlangen entgegenzukommen, stellte die Bibliothèque bleue in Frankreich eine erste Sammlung populärer Heftchen-Literatur zusammen und fand Nachahmung in den Reutlinger Druckern, die seit Ende des 18., bzw. Beginn des 19.Jahrhunderts massenhaft ähnliche Hefte in Deutschland verbreiteten. So bildeten sich die so genannten Kolportageromane - meist als Fortsetzungsromane erschienen – heraus, mit denen die Kolporteure die Bürger der ländlichen Gegenden, die keinen Zugang zu oben beschriebenen Leihbibliotheken hatten, nun auch in Deutschland versorgten.
Im frühen 19. Jahrhundert minimierten die Verleger von besonders umfangreichen Werken (zum Beispiel Brockhaus-Lexikon, Meyers Konversationslexikon) ihr Risiko, indem sie diese in Lieferungen von zwei Bögen - also 32 Seiten - teilten und auf diese Weise von Hausierern vertreiben ließen. So mussten sie immer nur kleine Mengen produzieren und auch nicht wohlhabende Kunden konnten die Lieferungen bezahlen. Hatte der Kunde auf diese Weise alle Lieferungen eines Bandes erhalten, ließ er sie beim Buchbinder binden.
Die Kolportage war im 19. Jahrhundert auch bedeutendes Instrument christlicher Mission. Bibeln, religiöse Traktate, gedruckte Predigtsammlungen (etwa von Charles Haddon Spurgeon) und andere christliche Literatur wurden von Kolporteuren bis in die entlegensten Gegenden gebracht(siehe zum Beispiel William Gibson Sloan). Bei solchen Reisen hielten die Kolporteure auch Hausgottesdienste und Bibelstunden ab. Dabei waren sie nicht selten das Opfer staatlicher und staatskirchlicher Repression. Geld- und Gefängnisstrafen waren die Regel. Viele freikirchlichen Gemeinden verdanken ihre Entstehung der Kolportage. Zu den bekanntesten Verlagen, die im freikirchlichen Bereich mit Kolporteuren arbeiteten, gehörte der heute noch existierende Oncken Verlag.
Mancherorts reizte man die Kunden dadurch zum Kauf an, dass man mit der letzten Lieferung eines Bandes Prämien überließ, wie z. B. Uhren, Ringe, Frauenkleider und Nähmaschinen, denn durch das Aufkommen neuer Kommunikationsmittel wie beispielsweise Zeitungen, Illustrierte oder Wochenblatt, die mit der Post gebracht wurden, oder auch öffentlicher Einrichtungen wie Dorfbibliotheken, Buchhandlungen oder Büchervereine bekam der Kolportagebuchhandel mächtige Konkurrenz, die schneller, günstiger und reichhaltigere Lesestoffe anbieten konnten.
Zudem waren diese Prämien im Deutschen Reich verboten. Sämtliche durch Kolportage vertriebenen Druckwerke mussten auf jeder einzelnen Lieferung den Gesamtpreis des Werkes tragen. Und so war der Untergang des Hausierergewerbes auch durch den zuvor so erfolgreich gewesenen Handel mit Fortsetzungsromanen nicht mehr zu stoppen. Nach und nach wurde auf diese Art nur noch Trivialliteratur vertrieben und die seriösen Verlage zogen sich aus dem Kolportagegeschäft zurück.
So lässt sich festhalten, dass der Großteil der Kolportageliteratur zwar sicherlich keinen Stoff für die gelehrte Welt bieten konnte, sondern "nur" fromme Texte, Gebete, Lieder, Abenteuergeschichten, Sensationsnachrichten, Rezepte, Scherze, usw... Doch waren es genau diese massenhaft verbreiteten Büchlein, die - neben dem Erbe der großen "Dichter und Denker" - das geistige Bild vieler Menschen des 19.Jahrhunderts geprägt und so zur Bildung unserer heutigen Welt mit beigetragen haben.
Ein erfolgreicher Autor vieler Kolportageromane war Karl May.
[Bearbeiten] Begriffsverwendung
Seither bezeichnete Kolportage Literatur, die auf niedrigem Niveau produziert wurde. Vergleichbar ist sie mit heutigen Groschenromanen.
In Österreich werden Straßenverkäufer von Zeitungen bis heute „Kolporteure“ genannt. Seit dem Aufkommen von Pendlerzeitungen ist der Begriff auch in der Schweiz wieder in den Wortschatz gelangt und bezeichnet die Leute, die diese Zeitungen verteilen.
Im übertragenen Sinn wird ein Medienbericht als Kolportage bezeichnet, der Vermutungen beinhaltet, mit dem Zweck, den oder die Angegriffenen zu einer Reaktion zu provozieren - und dadurch die Behauptung erst aufzuwerten, der ursprünglich keine Beweise zugrunde lagen.
[Bearbeiten] Literatur
- Roger Chartier (Hrsg.): Colportage et lecture populaire. Imprimés de large circulation en Europe, XVIe - XIXe siècles. Actes du colloque des 21 - 24 avril 1991 Wolfenbüttel. Paris 1996. ISBN 2-7351-0713-2
- Gabriele Scheidt: Der Kolportagebuchhandel (1869 - 1905). Eine systemtheoretische Rekonstruktion. Stuttgart 1994. ISBN 3-476-45046-5
- Rudolf Schenda: Die Lesestoffe der Kleinen Leute. München 1976. ISBN 3-406-04946-X
- Rudolf Schenda: Volk ohne Buch. Frankfurt am Main 1970.