Konstruktivismus (Lernpsychologie)
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Der Konstruktivismus ist zunächst eine erkenntniskritische Theorie. Abgeleitet aus seinen erkenntniskritischen Thesen ist er auch eine Lerntheorie, deren Kernthese es ist, dass Lernende im Lernprozess eine individuelle Repräsentation der Welt schaffen. Was jemand unter bestimmten Bedingungen lernt, hängt vor allem von dem oder der Lernenden selbst und seinen/ihren Erfahrungen ab.
Kersten Reich beschreibt dies in seinem Ansatz als ein
- Rekonstruieren (Entdecken von Welt), als ein
- Konstruieren (Erfinden von Welt) und als ein
- Dekonstruieren (Kritisieren von Welt).
Der Konstruktivismus vertritt die These, dass diese Re-, De- und Konstruktion stets an die Handlungen der Lerner geknüpft ist. Hierbei wirken der subjektive Eigenanteil der Lerner mit der sozial-kulturellen Lernumgebung zusammen. Im Sinne der konstruktiven Seite ist Lernen dann am effektivsten, wenn die Lernenden ihren Lernprozess umfassend selbst steuern können. Jede/r weiß nach dieser Theorie am besten selbst, wie er/sie effektiv lernen kann. Allerdings setzt dieses Wissen eine Methodenkompetenz voraus, die erst in längeren Lernprozessen erworben werden muss.
Die konstruktivistische Lerntheorie plädiert insbesondere für Lernformen, in denen der Lehrer nicht bloß Wissensvermittler, sondern ein Lernprozessberater ist. Der Lehrer soll sich bei konstruktiven Methoden eher im Hintergrund halten, Lernangebote schaffen, Wissensquellen (wie zum Beispiel das Internet) bereitstellen und den Lernprozess beobachten. Schüler sollten "Kulturtechniken" in offenen Unterrichtssituationen und auch konstruiertes Wissen verfestigen, um diese/dies abstrahieren zu können. Ziel sei, zu höheren Erkenntnissen zu gelangen. Eine umfassende Darstellung und Begründung konstruktiver und systemischer Methoden findet sich im Methodenpool von Kersten Reich.
Für eine konstruktivistische Lehr- und Lerntheorie gibt es mittlerweile unzählige Beispiele vor allem im englischen Sprachraum. Im deutschen Sprachraum ist die konstruktivistische Lerntheorie neben der Schule vor allem in der Erwachsenenbildung und Weiterbildung breit entwickelt. Einschlägige Einführungen finden sich bei Kersten Reich, Rolf Arnold und Horst Siebert.
Andere Lerntheorien sind beispielsweise
Erste Ansätze sind beim böhmischen Theologen und Pädagogen Johann Amos Comenius (1592-1670) zu finden, welcher durch seine pädagogischen Lehrbücher (z.B. durch Die sichtbare Welt in Bildern ist er Ahnenherr aller Kinderbücher) und Reformvorschläge Weltruf erlangte. Das aus der humanistischen Zeit stammende methodische Hauptwerk, die "Didactica magna" (Grosse Unterrichtslehre), strukturiert zum ersten Mal die Unterrichtsmethodik.
Der italienische Philosoph Giambattista Vico (1668-1744) hat den Begriff des Konstruktivismus geprägt.
Der Konstruktivismus baut u.a. auf die vier Stufen der Entwicklungspsychologie des Schweizer Philosophen und Psychologen Jean Piaget (1896-1980) auf.
Ein weiterer Vertreter ist Hans Aebli (1923-1990), ein bekannter Schweizer Psychologe und Pädagoge, der Ende der 80er Jahre den 1500 Kilometer langen Jakobsweg zurücklegte. Wichtige Werke sind z.B. Psychologische Didaktik 1951, Zwölf Grundformen des Lehrens 1983 oder Grundlagen des Lehrens 1987.
David Paul Ausubel (* 1918) entwickelte seine eigene Variante des Konstruktivismus (ausgehend von Jean Piaget). Er studierte Medizin, spezialisierte sich als Psychiater und kam dann zur Pädagogik. Ein wichtiges Werk seiner Lerntheorie ist z.B. Radical School Reform: Critique and Alternatives.
Zu den Klassikern, die eine konstruktivistische Sicht auf das Lernen bereits ansatzweise entwickelt haben, zählen in jedem Fall neben Piaget auch John Dewey und Lev Vygotsky.
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[Bearbeiten] Eingang in die Unterrichtsmethodik
Die erste Ärztin Italiens, Maria Montessori (1870 -1952), hat durch eigene Lehrtätigkeit und Veröffentlichungen eine neue Lehrmethode (Montessori-Methode) etabliert. Aber ob solche reformpädagogischen Methoden, wie sie auch bei Petersen oder Freinet entwickelt wurden, dem Konstruktivismus entsprechen, ist mehr als zweifelhaft. Die Reformpädagogik hat im Blick auf die Erkenntniskonstruktion kein so differenziertes Bild von Lernvorgängen wie konstruktivistische Ansätze. Bereits Piaget, Dewey und Vygotsky gehen deutlich über die reformpädagogischen Ansätze hinaus. Seit dem Ende des zwanzigsten Jahrhunderts findet der Konstruktivismus breiten Eingang in die Methodikdiskussion. Bundesweit erfolgt ein Umstellungsprozess weg von instruktionistischen hin zu konstruktivistischen Verfahren in allen Schultypen und allen Fächern.
Eine moderne eher radikal konstruktivistische Methode, die im Zuge der Schulreform besondere Aufmerksamkeit in Deutschland erfährt, ist Lernen durch Lehren. Bei dieser Methode wird die Lernergruppe zum neuronalen Netz umgestaltet mit der Aufgabe, Wissen zu konstruieren.
Sehr bekannt sind mittlerweile die eher gemäßigten konstruktivistischen Ansätze, obwohl der Begriff irreführend ist. Gemeint sind Ansätze, die stärker als der radikale Konstruktivismus auf die sozialen und kulturellen Kontexte bezogen sind. Hierzu gehört im deutschen Sprachraum vor allem Kersten Reich mit seiner Konstruktivistischen Didaktik, in der sehr breit auch Lerntheorien dargestellt werden. Weitere Anwendungen findet der Konstruktivismus im E-Learning-Kontext. Hier werden E-Learning-Systeme (ELS) oftmals dazu verwendet, den Lernenden die Möglichkeit zu geben, in vielen verschiedenen Informationsquellen zu recherchieren sowie Aufgaben mit Unterstützung diverser Werkzeuge zu lösen. Die Theorie dazu nennt sich auch situiertes Lernen.
[Bearbeiten] Literatur
- Reich, Kersten (2006): Konstruktivistische Didaktik - ein Lehr- und Studienbuch inklusive Methodenpool auf CD. Beltz-Verlag Weinheim u.a., 320 S und CD, ISBN: 3-407-25410-5
- Mietzel, Gerd (2001): Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens. Hogrefe-Verlag Göttingen, 494 Seiten, ISBN: 3-8017-1436-5
[Bearbeiten] Weblinks
[Bearbeiten] wissenschaftliche Seiten
- Zum Konstruktivismus vgl. die Seite von Kersten Reich und zur Konstruktivistischen Didaktik vor allem den Methodenpool
- Die verschiedenen Lerntheorien sind schön prägnant auf folgender Seite erörtert: http://dsor.upb.de/~blumstengel/main_index_tour.html
[Bearbeiten] populärwissenschaftliche Seiten
- Lernen in der Schule, Begründung für den Konstruktivismus
- Das Gehirn als Konstruktionsmeister - ein Experiment zur Vorwissenproblematik
- Stunden-Protokoll einer konstruktivistischen Unterrichts-Stunde zum Thema "Warum springt ein Ball?"
- Beobachtung einer konstruktivistischen Unterrichts-Stunde zum Thema "Warum schwimmt ein Schiff?"
- Homepage der Montessori Vereinigung