Korporatismus
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Korporatismus bezeichnet ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis von Akteuren der Interessenvermittlung (üblicherweise Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände) mit dem Staat, das nicht durch Konkurrenz-, sondern durch Aushandlungsmechanismen geprägt ist. Dies setzt voraus, dass die vertretenen Verbände für ihren Bereich über ein Repräsentationsmonopol verfügen und ausgehandelte Ergebnisse gegenüber ihren Mitgliedern durchsetzen können. Im Aushandlungsprozess hat jede Seite ein Veto-Recht.
Vor allem in Deutschland und anderen sozialen Marktwirtschaften verbreitetes Merkmal der politischen Kultur: Die Arbeitgeber und Arbeitnehmer tragen ihre Auseinandersetzungen zum Beispiel über unterschiedliche Lohnforderungen nicht durch Streik und andere Mittel des Arbeitskampfes aus, sondern versuchen im Interesse der Nationalökonomie (des "Standorts") möglichst reibungslos zu einer Einigung zu gelangen. Kritiker werfen dabei vor allem den Gewerkschaften vor, die Interessen ihrer Mitglieder nicht nachdrücklich genug zu vertreten.
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[Bearbeiten] Formen des Korporatismus
[Bearbeiten] Klassischer Korporatismus
Der klassische Korporatismus oder auch staatlich-autoritäre Korporatismus ist eine „von oben“, von staatlicher Seite, aufgezwungene Form des Korporatismus. Seine Merkmale sind eine begrenzte Anzahl gebildeter Zwangsverbände mit verbundener Zwangsmitgliedschaft. Die einzelnen Verbände stehen in keinerlei Konkurrenz zueinander und sind nach ihren funktionalen Aspekten voneinander abgegrenzt. Innerhalb ihrer Aufgabenbereiche verfügen sie über ein bestimmtes Repräsentationsmonopol, was mit der Erfüllung bestimmter staatlicher Auflagen in Verbindung steht. Dies betrifft insbesondere die Wahl des Führungspersonals, der Artikulierung von Ansprüchen oder Interessen. Die Arbeit der Verbände ist bereits auf ein fest vordefiniertes Gemeinwohl ausgerichtet. Es ergibt sich also nicht wie im Pluralismus aus einem Gruppenkonsens, sondern durch staatliche Festsetzung.
Formen des staatlich-autoritären Korporatismus findet man vorwiegend in totalitären Regimen wieder.
[Bearbeiten] Neokorporatismus
Der Neokorporatismus, liberaler Korporatismus oder auch gesellschaftlich-liberale Korporatismus ist eine „von unten“, von gesellschaftlicher Seite, erwirkte Form des Korporatismus. Er kennzeichnet sich insbesondere durch die freiwillige Einbindung frei gebildeter Interessensverbände in staatshoheitliche Aufgabenfelder aus. Begrenzungs- und Zentralisierungstendenzen innerhalb bestimmter Aufgabenbereiche werden nicht durch staatliche Festsetzung erreicht, sondern allein durch die Gesellschaft bestimmt. Seinen Ausdruck findet diese Form des Korporatismus im sogenannten Tripartismus. In der Konzertierung aus Staat, Gewerkschafts- und Arbeitgeberverbänden.
Den gesellschaftlich-liberalen Korporatismus findet man insbesondere in Konkordanzdemokratien vor. Ein Beispiel hierfür wäre auch das österreichische Modell der Sozialpartnerschaft
[Bearbeiten] Korporatismuskritik
Innerhalb der Korporatismuskritik ergeben sich unterschiedliche Felder von Vor- und Nachteilen für den Staat. Insbesondere betrifft dies den Neokorporatismus, da er von größerer Aktualität ist als die klassische Form.
Von Vorteil innerhalb des Neokorporatismus erweist sich in erste Linie die Steigerung der Regierbarkeit. Ein Staat kann ohne Informationen aus Wirtschaft und Gesellschaft nur schlecht auf die Bedürfnisse der Menschen reagieren und ist somit auf die Informationen aus Interessensverbänden angewiesen. Es kommt also zu einer Entlastung staatlicher Behörden bzw. Ministerien, da die Interessenverbände ihr Wissen zur Verfügung stellen. Des Weiteren treten Verbände innerhalb ihrer Aufgabenfelder als gemeinwohlorientierte Steuerungsinstanzen auf. Es besteht also nicht die Gefahr des „Vorbeiregierens“ an den Bedürfnissen der Bevölkerung.
Als ein erheblicher Nachteil erweist sich die Gefahr der „Gefangennahme“ staatlicher Behörden, sowie der Prozess der „Deparlamentisierung“. Ein Prozess, der die Arbeit von Interessen allein nur noch auf die Exekutive verlagert und das Parlement zu umgehen scheint. Ziel ist es dabei, bereits im Referentenstadium auf einzelne Gesetzesentwürfe einzuwirken. Dies betrifft insbesondere die Interessensarbeit von traditionellen Verbänden (Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände) innerhalb der Wirtschaftspolitik. Es besteht also das Problem, dass es lediglich zur Erfüllung eines partikularen Gemeinwohls zu Gunsten organisierter Spitzenverbände kommt. Es droht sozusagen der sogenannte Verbändestaat.
Trotzdem muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass der Neokorporatismus innerhalb einer Demokratie nicht für sich allein steht, sondern sich innerhalb eines demokratischen und pluralistischen Rahmens bewegt. Spitzenverbände behalten nur so lang ihre Glaubwürdigkeit in der Repräsentation von Gesamtinteressen, solang sie auch über ein überzeugendes Mitgliedervolumen verfügen. Mitgliedererosion innerhalb bestimmter Verbände kann deren Glaubwürdigkeit erheblich einschränken und zu einem Wechsel innerhalb der Verbändelandschaft des Neokorporatismus führen. Der Korporatismus innerhalb moderner, pluralistischer Demokratien, weist somit eine gewisse Dynamik auf. Auch wenn dieser Prozess kurz-, bis mittelfristig kaum zu erkennen ist, kann man ihn jedoch langfristig ausmachen. Der gesellschaftliche Wandel innerhalb der Interessenslandschaft von Demokratien äußert sich innerhalb des Korporatismus wie ein verspätetes Echo. Es verlagert sich zwar die Arbeit von traditionellen Verbänden in die Bereiche der Exekutive, jedoch wird dadurch mehr Raum für neue Interessen innerhalb des Parlaments frei. Interessen, die Bereiche innerhalb verschiedener Umwelt-, Sozial- und Wohlfahrtsfragen anschneiden, die vermehrt erst in den 1980er und 90er Jahren entstanden.
Siehe auch: Kapitalismus, Sozialstaat
[Bearbeiten] Literatur
- Ulrich von Alemann (Hrsg.), Erhard Forndran (Hrsg.), Interessenvermittlung und Politik. Westdeutscher Verlag 1983
- U. v. Alemann, R. G. Heinze, Verbände und Staat. Vom Pluralismus zum Korporatismus. Opladen 1979
- Heidrun Abromeit, Interessenvermittlung zwischen Konkurrenz und Konkordanz. Opladen 1993, S. 146-176