Lernpsychologie
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Die Lernpsychologie beschäftigt sich mit den psychologischen Vorgängen des Lernens und ähnlichen kognitiven Prozessen; also wie Menschen oder Tiere Informationen erwerben, verarbeiten und speichern.
Nachbardisziplinen sind auf der Grundlagenseite die Verhaltensforschung, die Neurobiologie und Hirnforschung, sowie auf der Anwendungsseite die Didaktik.
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[Bearbeiten] Geschichtliche Übersicht
[Bearbeiten] Anfänge (um 1900)
Experimentelle Gedächtnispsychologie: Lernen von neutralen Inhalten (sinnlose Silben o.ä.), Ebbinghaus-Gesetz (Lernkurve, geringfügig vermehrter Lernstoff erfordert beträchtlich mehr Wiederholungen), Vergessenskurve (Verlust anfänglich am stärksten), Jostsche Gesetze (im Zweifel behält man das zuerst Gelernte), Gesetz von der Anfangs- und Endbetonung (sog. primacy und recency effect)(das in der Mitte lernt man am schwersten).
[Bearbeiten] Frühes 20. Jahrhundert
Verbindung von Assoziationspsychologie, Reflexologie und Behaviorismus im Konnektionismus (Edward Lee Thorndike): "Instrumentales Konditionieren", "Versuch und Irrtum", Lernen am Erfolg, Lernen aus Bereitschaft, Lernen durch Übung.
Burrhus Frederic Skinner: "Operantes Konditionieren": erweitert Reiz-Reaktions-Schema um den Aspekt "Verstärkung": aus zufallsverteiltem Verhalten wird dasjenige gelernt, das häufig, unmittelbar und spezifisch verstärkt wird. Konkrete pädagogische Anwendung: programmierte Unterweisung (1960er bis 70er Jahre), (Pädagogische) Verhaltensmodifikation.
Gegenauffassung der Gestaltpsychologie bzw. Gestalttheorie (wird abstrahiert von der Assoziationspsychologie): Lernen als Einsicht und produktives Denken (Karl Duncker, Max Wertheimer). Gelernt wird nicht durch Gewöhnung an die richtige (effektivste) Verfahrensweise in vielen Versuchen mit rein zufälligen Variationen (=Behaviorismus), sondern durch Erkennen der effektivsten Verfahrensweise. Die Struktur der Ausgangssituation sowie Erfahrung (Problemraum), Intelligenz und die Ziele des lernenden Wesens beeinflussen diese Einsicht in die richtige Problemlösung, bei der bestimmte Teillösungen dann so ineinandergreifen, dass der Lösungsweg eine einsichtige Gestalt-Form annimmt. Eine Lösung kann somit in nur einem Versuch gefunden und für immer gelernt werden.
[Bearbeiten] "Kognitive Wende" um ca. 1960, Konstruktivismus
Epistemologischer Funktionalismus (Jean Piaget).
Kognitionspsychologie ("Cognitive Psychology" von Ulrich Neisser, 1967)
Bedeutungserzeugendes, entdeckendes, generatives Lernen (Hans Aebli, David Paul Ausubel, Jerome Bruner, Manfred Wittrock). In Abkehr vom Black-Box-Modell der behavioristischen Verhaltenspsychologie will man die im Lernenden ablaufenden Prozesse der Informationsverarbeitung erklären. Es ist also ein Paradigmenwechsel und eine Entwicklung von der behavioristischen zu einer kognitiven Denkweise, die zwar die Black-box immer noch nicht durchleuchten kann, sich dessen aber bewusst ist.
Didaktischer Konstruktivismus: "Lernen als Wissenskonstruktion". Erkenntnistheoretische Fundierung im Konstruktivismus (Philosophie).
Der Begriff Lernen wird wesentlich weiter gefasst als das Auswendiglernen der frühen Gedächtnisforschung, ablesbar an der Vielzahl der denkbaren Ziele des Lernens:
- Lernen mit dem Ziel Können, das Automatisieren von Fähigkeiten zu geistigen und motorischen Fertigkeiten;
- Lernen mit dem Ziel Problemlösen;
- Lernen mit dem Ziel Behalten und Präsenthalten von Wissen;
- Lernen von Verfahren (Lernen lernen, Arbeiten lernen, Nachschlagen lernen, Kritisch Lesen lernen);
- Lernen zur Steigerung der Fähigkeiten und Kräfte mit dem Ziel späterer Übertragung (die klassische Begründung, Latein lernen zu lassen);
- Lernen mit dem Ziel des Aufbaus einer Gesinnung, Werthaltung, Einstellung;
- Lernen mit dem Ziel, vertieftes Interesse an einem Gegenstand zu gewinnen;
- Lernen mit dem Ziel einer Verhaltensänderung (Roth 1963 nach Seel 2003).
Lernen ist etwas anderes als Gewöhnung. Lernen ist ein Merkmal intelligenten Verhaltens. Lernen und Denken geschehen unter Zuhilfenahme von (gestischen, bildhaften, sprachlichen, symbolischen) Zeichen. Denken schafft neues Wissen auf der Basis des bereits vorhandenen. "Der bedeutendste Einzelfaktor, der Lernen beeinflusst, ist, was der Lernende bereits weiß" (Ausubel 1968 nach Seel 2003).
Neueste Ansätze erweitern das kognitiv-konstruktivistische Modell, indem sie auch motivationale, affektive und sozio-kulturelle Variablen berücksichtigen.
[Bearbeiten] Literatur
- Geoffrey Caine, Renate N. Caine: Making Connections: Teaching and the Human Brain 1991; revised paperback edition: Dale Seymour Publications 1994.
- Walter Edelmann: Lernpsychologie. Psychologie Verlags Union, Weinheim, 6., vollst. überarb. Aufl. 2000.
- Norbert M. Seel: Psychologie des Lernens. Ernst Reinardt (UTB), München, 2. Aufl. 2003.
[Bearbeiten] Siehe auch
Lerntheorie, Lernen, Abstraktion, Affektiver Filter
[Bearbeiten] Weblinks
- http://www.lern-psychologie.de Interaktive Lernumgebung der Universität Duisburg-Essen (Plassmann / Schmitt)
- Arbeitsgruppe Lernen kurze Infos und weiterführende Links zu Lerntypen, Auditive Verarbeitungs- oder Wahrnehmungsstörungen, Hohe Intelligenz und Hochbegabung, Irlen Syndrom, Neurodermitis, Asthma, Allergien, Migräne, AD(H)S, Dyslexie, Hyperlexie, Dyskalkulie, Dyspraxie, Nonverbale Lernstörung, Asperger Syndrom, und Autismus.