Mäeutik
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Als Mäeutik (auch: Maieutik; griech. „Hebammenkunst“) bezeichnete Sokrates in Anspielung auf den Beruf seiner Mutter seine Kunst der Gesprächsführung. Platon legte seine Philosophie ganz überwiegend in der literarischen Form Sokratischer Gespräche nieder.
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[Bearbeiten] Mäeutik als Dialogtechnik des Sokrates
Die Mäeutik beruht auf der Grundannahme, dass die Wahrheit in der angeborenen Vernunft jedes Menschen bereit liegt und nur ans Licht gebracht („entbunden“) werden muss. Die Sokratische Ironie besteht darin, dass Sokrates (oder wer immer dessen Rolle einnimmt) vorgibt, der Unwissende zu sein, aber Fragen stellt, in denen die Antwort schon verborgen liegt. Der Kern des Sokratischen Gesprächs ist es, durch gezielte Fragen, die sokratischen Fragen, die Beteiligten in den Dialog einzubeziehen, so dass sie selbst zu Erkenntnissen gelangen. Die Mäeutik verfährt in zwei Schritten:
- In der Elenktik (griech. „Kunst der Überführung“) erschüttert Sokrates den Standpunkt seines Gesprächspartners und überführt ihn in die Aporie, wodurch beim Schüler die Bereitschaft zum Lernen und zur Suche nach der Erkenntnis geweckt werden soll.
- In der Protreptik (griech. „Kunst der Hinwendung“) führt Sokrates den Gesprächspartner dann durch weiteres Fragen zu einer richtigen Meinung, nicht jedoch schon zur Erkenntnis, da diese sich nur in der Schau der Ideen zeigt.
Ziel der Mäeutik ist bei Sokrates/Platon ευ ζην (eu zen), „richtig/gut/wahr zu leben“.
[Bearbeiten] Mäeutik als Unterrichtsmethode
Die Sokratische Methode der Gesprächsführung wurde seit dem 18. Jahrhundert zum Vorbild einer Unterrichtsmethode genommen, die Erotematik genannt wurde, heute zumeist als fragend-entwickelnd bezeichnet wird und insbesondere den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht nachhaltig geprägt hat. Der Mathematiker Karl Weierstraß schrieb einen Aufsatz über die Sokratische Methode [Mathematische Werke, Berlin, 1903, III, Appendix, 315-329]; der Fachdidaktiker Martin Wagenschein nannte seinen Ansatz sokratisch.
Leonard Nelson propagierte die Sokratische Methode (auch neosokratisch genannt) sowohl als Unterrichtsmethode als auch als Ansatz für eine Wiederbelebung der Philosophie. Hartmut Spiegel fasst - mit Blick auf Mathematikunterricht und Mathematiklehrerausbildung - Nelsons Ansatz für das sokratische Gespräch einer Kleingruppe in die folgenden einfachen Regeln zusammen:
- Sprich klar und kurz und versuche Dich allen Teilnehmern verständlich zu machen!
- Halte an der gerade erörterten Frage fest und schweife nicht ab!
- Nimm jede Äußerung jedes anderen Teilnehmers in gleicher Weise ernst!
- Prüfe Äußerungen anderer Teilnehmer daraufhin, ob Du sie vollständig aufgefasst und verstanden hast und sie auf den Gang der Argumentation beziehen kannst!
- Sprich vorhandene Fragen und Zweifel aus, aber spiele nicht den advocatus diaboli!
- Arbeite auf einen Konsens hin!
Der Leiter soll darauf achten, dass
- die Teilnehmer die Regeln einhalten,
- sie sich untereinander wirklich verstehen,
- sie an der gerade erörterten Frage festhalten,
- fruchtbare Ansätze nicht verloren gehen.
Besonders wichtig ist, dass der Leiter die Teilnehmer auf ihr eigenes Urteilsvermögen verweist, indem er seine eigene Meinung über die erörterte Sache nicht zu erkennen gibt.
In diesem letzten Punkt geht Nelson ganz entscheidend über Sokrates hinaus: der Leiter soll keine Fragen stellen, die ein Urteil enthalten oder seinen eigenen Standpunkt verraten, denn dadurch würde er dem eigenen Urteil der Teilnehmer durch Anbieten eines Vorurteils zuvorkommen.
[Bearbeiten] Mäeutik in der Psychotherapie
In der kognitiven Psychotherapie nach Albert Ellis, der sogenannten Rational-Emotiven-Therapie (RET) wird die Technik des sokratischen Dialoges angewendet. Es wird dabei davon ausgegangen, dass irrationale Grundannahmen des Klienten Ursache seiner psychischen Störung sind. Mit Hilfe der sokratischen Gesprächstechnik versucht der Therapeut, diese Grundannahmen zu identifizieren und schrittweise zu verändern. Die sokratische Gesprächstechnik wird in der Psychotherapie inzwischen weit über die Rational-Emotive-Therapie hinaus angewendet.
[Bearbeiten] Poststrukturalistische Kritik
Für die Kritik des Poststrukturalismus an der abendländischen Philosophiegeschichte ist die Mäeutik ein Musterbeispiel für den Logozentrismus. Roland Barthes hält die sokratische Mäeutik allein für ein Prinzip, „den anderen zur äußersten Schande zu treiben: sich zu widersprechen.“
[Bearbeiten] Literatur
- Dieter Birnbacher, Dieter Krohn (Hrsg.): Das sokratische Gespräch. Stuttgart 2002, ISBN 3-15-018230-1
- Detlef Horster: Das Sokratische Gespräch in Theorie und Praxis. Opladen 1994, ISBN 3-8100-1152-5
- Roland Barthes: Die Lust am Text. (Originaltitel: Le plaisir du texte. Paris 1973)
- Michael Hanke: Der maieutische Dialog. Aachen 1986, ISBN 3-922868-26-6.
[Bearbeiten] Weblinks
Wiktionary: Mäeutik – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme und Übersetzungen |
- http://www.philosophisch-politische-akademie.de/gsp.html Gesellschaft für sokratisches Philosophieren
- http://www.learn-line.nrw.de/angebote/praktphilo/didaktik/sokra_gespraech.pdf Birnbacher: Das Sokratische Gespräch - eine philosophische Standortbestimmung
- http://www.sowi-online.de/methoden/lexikon/sokratisches_gespraech_popp.htm Das sokratische Gespräch. Artikel von Susanne Popp im sowi-online-Methodenlexikon