Primavera (Botticelli)
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Primavera |
Sandro Botticelli, um 1482 |
Tempera auf Holz, 203 × 314 cm |
Uffizien |
Primavera (Frühling) ist ein Gemälde des italienischen Renaissancemalers Sandro Botticelli. Das Bild gehört zu den bekanntesten und häufig reproduzierten Werken der abendländischen Kunst. Die Bedeutung des Bildes, seine Funktion in der dynastischen und Kulturpolitik der Medici, hat im Laufe der Zeit unterschiedliche Deutungen erfahren und gilt bisher in der Kunstwissenschaft als nicht überzeugend geklärt.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Historische und literarische Quellen
Der italienische Kunsthistoriker Giorgio Vasari erwähnt in seinen - nicht immer zuverlässigen - Viten von 1550 ein Gemälde Botticellis im Landhaus Castello des Herzogs Cosimo de' Medici mit einer „Venus, die von den Grazien mit Frühlingsblumen bekränzt wird.“
Die darauf basierende Annahme, das Bild gehöre zur Ausstattung eines Landhauses wurde erst durch die 1975 veröffentlichen Quellen verworfen, die das Bild übereinstimmend als zugehörig zu einem Stadtpalast einer jüngeren Linie der Medici in Florenz nachwiesen. Er war Teil der Ausstattung eines Zimmers neben der „camera terrena“ des Lorenzo di Pierfrancesco, des früh verwaisten Vetters von Cosimo, der ihn zusammen mit seinen eigenen Kindern erzogen hatte. Das Zimmer mit einem Sofa war wohl das Schlafzimmer von Lorenzos Ehefrau, Semiramide Appiani. Es war mit einer Reihe von Bildern ausgestattet, die die unterschiedlichen Rollen und Tugenden von Mann und Frau zum Thema hatten.
Als erster wies Aby Warburg in seiner Straßburger Dissertation von 1893 antike Autoren als literarischen Quellen zu dem Bild nach. Zu Stellen aus den Fasti des Ovid und aus den Oden des Horaz kamen Belege aus zeitgenössischen Autoren, wie Alberti und Poliziano. Weitere Textstellen, die für die Entschlüsselung des Bildes hilfreich sind, finden sich in der Aeneis des Vergil und in „De natura rerum“ des Lukrez.
[Bearbeiten] Beschreibung
Das großformatige Bild zeigt vor einem Orangenhain eine nebeneinander aufgereihte Gruppe von acht Personen mit einem blinden Amor über der mittleren Figur, der dabei ist, einen Pfeil abzuschießen. Amor ist der ständige Begleiter der Liebesgöttin Venus. Diese, in dem Bild in zentraler Position, ist aus der Reihe ein wenig zurückgetreten. Sie trägt ein leichtes weißes Kleid und einen roten Mantel, den sich über die recht Schulter und den erhobenen Arm geworfen hat. Auf ihrer linken Seite stürzt sich ein bläulicher Mann mit wehenden Tüchern auf eine junge Frau, die sich ihm zwar zuwendet, aber gleichzeitig vor dem Heranstürmenden flieht. Aus ihrem Mund kommen Rosenblüten. Der Mann ist an seinen aufgeblasenen Wangen als ein Windgott zu erkennen, der dabei ist die Nymphe Chloris zu ergreifen. Bei Ovid heißt es:
- ... während sie sprach, haucht sie Frühlingsrosen aus ihrem Munde: Chloris war ich, die ich [jetzt] Flora genannt werde. .. und Es war Frühling, ich irrte umher; Zephyrus erblickte mich, ich ging weg. Er folgte, ich fliehe, jener war stärker [...] Die Gewalt tat dennoch machte er wieder gut dadurch, dass er mir den Namen der Gattin gab, und in meiner Ehe gibt es keinen Grund zur Klage. Stets genieße ich den Frühling, stets ist üppig blühend die Jahreszeit, die Bäume haben Laub und Nahrung stets der Erdboden.
In Ovids Gedicht hat Zephyr die Nymphe mit Gewalt erobert, sie dann zu seiner Gattin gemacht. Erst durch die Vereinigung der beiden ist das üppige Blühen und Früchtetragen der Feldflur, Mitgift der Nymphe, gesichert. In einem mit Blüten übersäten Kleid und mit Blumen bekränzt schreitet die in die Frühlingsgöttin Flora verwandelte Nymphe und streut Rosen aus ihrem geschürzten Gewand in die Blumenwiese.
Auf der Rechten Seite der Venus tanzen drei in leichte Schleier gehüllte Frauen einen Reigen – es sind die drei Grazien, Sinnbild für weibliche Anmut und Schönheit, die vor allem in Bildern der Renaissance gerne als Begleiterinnen der Venus auftreten. Am linken äußeren Rand des Bildes stochert Merkur, der Gott der Kaufleute aber auch der Schutzherr von Haus und Hof, mit seinen Stab, dem Caduceus, in den aufziehenden dunklen Wolken. Offenbar verhindert er, dass in dem heiteren, paradiesischen Garten dunkle Schatten aufziehen.
[Bearbeiten] Interpretationen
Das Bild hat Anlass zu unterschiedlichen und widersprüchlichen Deutungen gegeben, deren Begründungen nicht immer stichhaltig oder auch nur befriedigend sind und in der Folge nur lückenhaft skizziert werden.
Kunsthistoriker der Warburg-Schule wie Edgar Wind und Ernst Gombrich sehen in dem Bild einen Niederschlag neoplatonischer Philosophie, wie sie am Hof Cosimos unter anderem durch Marsilio Ficino gelehrt wurde. Bei Ficino ist die Liebe sowohl eine elementare Triebkraft des Menschen, sie ist aber auch die Kraft, die die materielle Welt in eine geistige Welt der Ideen verwandeln kann. Sie weckt die sinnlichen Leidenschaften, die sie jedoch zu Humanität und universeller Harmonie sublimieren kann. In diesen Kontext ist die eher seltene Darstellung einer bekleideten Venus zu sehen. Die drei Grazien werden hier zu Verkörperung der selbstlosen Liebe - im Sinne Senecas als liberalitas – als Geben, Empfangen und Erwidern von Wohltaten.
Charles Dempsey sieht in dem Bild eine Symbolisierung des Frühlings, wobei Zephyr, Chloris und Flora den stürmischen Frühlingsmonat März personifizieren, Venus, Amor und die Grazien den April und Merkur den Mai. Maia war die Mutter des Gottes, und laut Ovid ist der Name dieses Monats von Maia abgeleitet.
Andere Interpreten deuten das Bild als christliche Allegorie, wobei die drei Grazien als christlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe interpretiert werden, oder als bildliche Übersetzung des Gesang 28-31, Purgatorium, aus Dantes göttlicher Komödie. Die zentrale Figur stellt nach dieser Auffassung Dantes Beatrice dar, die Frau im Blütenkleid Eva, Zephyr den Satan und Merkur den Adam, der nach den verbotenen Früchten des Paradieses greift.
Außerdem gibt es eine Reihe von astrologischen Interpretationen, die auf komplizierten astronomischen Berechnung über den Stand der Gestirne zum Zeitpunkt der Entstehung des Bildes beruhen und sich dabei auf die Vorliebe für astrologische Spekulationen am Hof der Medici und in der Renaissance überhaupt berufen.
Nach der Interpretation von Frank Zöllner gehört das Bild zum Genre der Hochzeitsbilder, die an den Höfen der Renaissance häufig aus derartigen Anlässen in Auftrag gegeben wurde. Lorenzo war durch Vermittlung Cosimos an die minderjährige und ebenfalls verwaiste Semiramide Appiani aus dem Hause Aragon, den Herren von Neapel, verheiratet worden. Die politische Stellung des Herzogs war nach den blutigen Auseinandersetzungen mit den konkurrierenden Strozzi noch recht labil, und Cosimo suchte nach seinen schweren Differenzen mit dem Papst neue Verbündete. Dazu kam, dass die Aragon Inhaber von ertragreichen Minen waren, während der Herzog für Schürfrechte bisher hohe Pacht zu zahlen hatte. Für die Hochzeit sprachen also neben den politischen auch wirtschaftliche Interessen.
Für diese These als Schlüssel zur Primavera sprechen im Bild eine Reihe von Indizien: Die bekleidete Venus verkörpert hier nicht sinnliche Leidenschaft sondern in der Ehe gebändigte und im Fortbestand der Familie erfüllte Sexualität. Die Myrtenzweige, die in dem nimbusartigen Halsausschnitt um den Kopf der Venus deutlich zu erkennen sind, sind sowohl Symbole für Jungfräulichkeit als auch für die Ehe. Die unfreiwillig zustande gekommene Ehe zwischen Zephyr und Chloris endete, nach Ovid, zur Zufriedenheit aller Beteiligten. Über dem Paar breitet sich ein Lorbeer – laurus nobilis - aus, eine dem zeitgenössischen Betrachter vertraute Anspielung auf den Namen Lorenzo, ebenso wie man die Orangen damals unschwer als Imprese der Medici lesen konnte. Auf Botticellis Bild beginnen die Orangenbäume, die reichlich Blüten und Früchte tragen, erst nach der Szene der gewaltsamen Eroberung der Nymphe durch Zephyr, Hinweis und Wunsch auf reiche Nachkommenschaft bei dem Hochzeitspaar. Die Grazien, in dieser Interpretation Symbole für weibliche Schönheit und Tugend, weisen auf das von der Braut erwartete tugendhafte Leben hin und Merkur, der die Wolken vertreibt, wacht über das Wohlbefinden des Hauses, das heißt des Hauses Medici.
[Bearbeiten] Literatur
- Aby Warburg: Sandro Botticellis Geburt der Venus und Frühling. [Diss. Straßburg 1893]. Abgedruckt in Ausgewählte Schriften und Würdigungen. Hrsg. D. Wuttke. Baden-Baden. 1980. S. 11-64.
- M. Levi d'Ancona: Botticelli's Primavera. A Botanical Interpretation Including Astrology, Alchemy and the Medici. Florenz 1883.
- Hans Bredekamp: Botticelli Primavera. Florenz als Garten der Venus. Frankfurt 1988.
- Charles Dempsey: Botticelli's Primavera and Humanistic Culture at the Time of Lorenzo the Magnificent. Princeton Univ. Press. 1997. ISBN 0691-01573-2
- Frank Zöllner Botticelli. Images of Love and Spring. München 1998. ISBN 3-7913-1985-x
- Maria-Christine Leitgeb: Tochter des Lichts. Kunst und Propaganda im Florenz der Medici. Parthas-Verlag, Berlin 2006. ISBN 9783866014701