Rittertum
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Der Begriff Rittertum umfasst die Lebensweise, die Weltansicht und den Ehrenkodex der europäischen Ritterschaft des Mittelalters, die auf den gesamten Adel ausstrahlte.
Mit der Ausbreitung des Lehnswesens über Deutschland war der Adel an die Spitze der Nation getreten. Die Kriege wurden hauptsächlich durch ihn geführt; er kämpfte zu Roß und war dem Krieger, der nur zu Fuß diente, weit überlegen. Darum schätzte man ein Heer meistens nur nach der Zahl der Reiter. Zu den Zeiten Karls des Großen war das fränkische Reich bereits mächtig an eisengepanzerten Reitern, wie uns der Mönch Ekkehard vom Kloster St. Gallen erzählt; aber die inneren Kämpfe unter den nachfolgenden Karolingern hatte viele wehrhafte Männer hinweggerafft. Um die Zahl der berittenen Kämpfer zu vermehren, ordnete daher Heinrich der Vogler zum Schutze gegen die reitkundigen Ungarn an, daß beim Heere nicht nur die Vornehmsten, sondern auch der älteste Sohn eines jeden Hofes zu Pferde erscheinen sollte. Der Dienst zu Ross aber erforderte einen größeren Aufwand und eine längere und anhaltendere Vorbereitung als der zu Fuß. Mit der Zeit bildeten daher die Reiter oder Ritter einen eigenen, besonderen Stand, der, obschon nicht immer mit Länderbesitz verbunden, doch ein hohes Ansehen genoß.
Die Aufnahme in den Ritterstand erforderte eine vieljährige Vorbereitung. Der Sohn eines Ritters blieb bis zum siebenten Jahr unter der Obhut der Mutter, die außer der leiblichen Pflege namentlich dafür sorgte, das die ersten Begriffe von Gott und der christlichen Religion in das kindliche Gemüt gepflanzt wurden. Dann kam er an einen fremden Hof, um hier gemeinsam mit anderen Knaben in strenger Zucht sich das anzueignen, was für einen Ritter erforderlich war. Die feine, höfische Sitte lernte er besonders in der unmittelbaren Nähe der Edelfrau; bis zum vierzehnten Lebensjahr war er als Edelknabe ihrem Dienste gewidmet. Zugleich ward er von Geistlichen, fahrenden Sängern oder altbewährten Knappen in den Kenntnissen und Fertigkeiten unterrichtet, welche die höhere Bildung der damaligen Zeit ausmachten. Von großem Umfange freilich war diese Bildung nicht; sie beschränkte sich hauptsächlich auf die Kenntnis der biblischen Geschichte und die Kunde von den Sagen und Begebenheiten der Vorzeit; vor allen Dingen aber waren es Musik, Gesang und Saitenspiel, worin der junge Ritter unterrichtet wurde. Schreiben und Lesen dagegen waren nicht allgemein verbreitete Fertigkeiten. Eine der Hauptaufgaben des Edelknaben war, seine körperliche Kraft und Gewandtheit auszubilden. Er übte sich täglich im Laufen und Springen, lernte Reiten und Schwimmen, schoß mit der Armbrust, warf den schweren Stein und übte sich im Gebrauch des Schildes, des Schwertes und der Lanze.
Somit umfasste das Rittertum seit dem Spätmittelalter nicht nur den eigentlichen Ritterstand, sondern die Lebensweise des gesamten christlich-europäischen Adels. Ein wichtiger Ausdruck dieser ritterlichen Lebensweise war das Turnier, das seit dem 12. Jahrhundert beim Adel äußerst beliebt war. Das Turnier diente nicht nur der Unterhaltung, sondern auch der Übung für den Krieg. Mittelalterliche Schlachten, die nach ritterlichem Kodex ausgetragen wurden, glichen eher einem großen Turnier und forderten vergleichsweise wenig Todesopfer. Die ritterlich kämpfenden Adligen waren eher darauf bedacht, ihre Gegner gefangen zu nehmen um sie gegen ein Lösegeld in die Freiheit zu entlassen. Seit dem Aufkommen von Feuerwaffen und schwerer Infanterie verlor die vom Rittertum geprägte Kampfweise ihren Nutzen. Trotzdem hielt die Kavallerie der Frühen Neuzeit an den alten Idealen fest, auch wenn sie selbst auf Feuerwaffen zurückgriff. Auch die ersten Kampfpiloten des Ersten Weltkriegs, bei denen es sich zumeist um ehemalige Kavalleristen handelte, griffen in ihren auf Fairness und Ehrenhaftigkeit bedachten Zweikämpfen am Himmel die ritterliche Vorstellungswelt auf.
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
- Maurice Keen: Das Rittertum. Albatros, Düsseldorf 2002, 447 Seiten, ISBN 3-491-96065-7 -- Bietet einen guten Überblick, erstmals (englisch) 1984; 1991 in der Rowohlt Enzyklopädie erschienen.
- Arno Borst (Hrsg.): Das Rittertum im Mittelalter, 1976. 3. unveränd. Auflage, Wissensch. Buchgesellschaft, Darmstadt 1998, 501 Seiten, ISBN 3-534-13822-8. -- Aufsatzsammlung namhafter Historiker rund um das Thema.
- Josef Fleckenstein, Thomas Zotz: Rittertum und ritterliche Welt, Siedler, Berlin 2002, 254 Seiten, ISBN 3-88680-733-9. -- Fleckenstein ist einer der einflussreichsten Historiker zum Thema Rittertum. Die Darstellung idealisiert das Rittertum jedoch teilweise. Rezension (Michael Borgolte)
- Andreas Schlunk, Robert Giersch: Die Ritter. Geschichte - Kultur - Alltagsleben. [Begleitband zur Ausstellung im Landesmuseum der Pfalz in Speyer]. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2003, 160 Seiten, ISBN 3-8062-1791-2
- Werner Hechberger: Adel, Ministerialität und Rittertum im Mittelalter. Oldenbourg, München 2004, 168 Seiten, ISBN 3-486-55083-7 (broschiert). -- Dieses Buch bietet einen aktuellen und umfassenden Überblick des derzeitigen Forschungsstandes zum Thema und über 400 Verweise auf weiterführende Literatur. Rezension (Tobias Weller), Rezension (Steffen Krieb)
- Johannes Laudage, Yvonne Leiverkus (Hrsg.): Rittertum und höfische Kultur der Stauferzeit. Böhlau, Köln 2006, 326 Seiten, ISBN 3-412-34905-4. -- Rezension (Bernd Schütte)