Viertel (Bremen)
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Als das Viertel werden in Bremen umgangssprachlich Teile der Ortsteile Ostertor und Steintor bezeichnet.
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[Bearbeiten] Geographie
Die Grenze zwischen den beiden Stadtteilen ist der Straßenzug „Am Dobben“ (der Straßenname bezieht sich auf einen im 19. Jahrhundert zugeschütteten Stichgraben, den Dobben) und „Sielwall“ (Siel = verschließbarer Deichdurchlass). Das Ostertorviertel grenzt im Westen an die Wallanlagen, dem ehemaligen Befestigungsring rund um die Bremer Altstadt.
Der Straßenname Ostertorsteinweg bezieht sich auf das ehemalige Osttor der Stadt Bremen, an dem dieser Straßenzug begann. Vor dem Steintor verweist auf das nicht mehr vorhandene gleichnamige Tor an der jetzigen Sielwallkreuzung, wo die Straßen Am Dobben, Sielwall, Ostertorsteinweg und Vor dem Steintor zusammentreffen. Die Kreuzung ist geographische und kulturelle Mitte des Viertels.
Der Straßenzug Ostertorsteinweg / Vor dem Steintor wird durch höhergeschossige Bebauung geprägt und ist vor allem als Kneipen- und Bummelmeile bekannt, an der sich viele vor allem kleine Läden und Spezialitätenhandlungen befinden. Auch die Nebenstraßen weisen viele kleine Ladengeschäfte und Gastronomie auf, z. B. die Kneipenmeile „Auf den Höfen“ im Norden des Ostertorviertels.
[Bearbeiten] Geschichte
Die heutige Bebauung des Viertels entstand im Wesentlichen anlässlich der Stadterweiterung ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Charakteristisch für diese Bauperiode sind die vielen vor allem in den Nebenstraßen erhaltenen Altbremer Häuser. Viele Baugrundstücke wurden von Handwerkern erworben, welche häufig ganze Straßenzüge bebauten. Als Hauptgeschäftsstraße mit großstädtischen Zügen bildete sich der das Gebiet durchquerende Straßenzug Ostertorsteinweg / Vor dem Steintor heraus.
[Bearbeiten] Mozarttrasse
Bis in die 1950er Jahre hinein war das von den Zerstörungen des zweiten Weltkriegs nur wenig betroffene Ostertorviertel eine beliebte Bremer Wohngegend. Viele alte, teils prachtvolle Gebäudefassaden zeugen noch von früherem Wohlstand. Dann begann die Stadt dort im Rahmen eines Gleichstellungsprogramms ärmere Bevölkerungsschichten anzusiedeln, worauf bessersituierte Kreise wegzogen.
In den 1960er Jahren begannen in Bremen verkehrspolitische Planungen zum Bau eines „Tangentenvierecks“, dessen östlicher Teil eine etwa 120 Meter breite Schneise entlang der Mozartstraße mit Anschlüssen zum Rembertikreisel auf der einen Seite und zu einer neuen Brücke in die Neustadt auf der anderen Seite werden sollte – die „Mozarttrasse“. Durch diese Planungen sollte die bremische Innenstadt weitgehend von Verkehr freigehalten und dem erwarteten steigenden Verkehrsaufkommen Tribut gezollt werden. Entlang der Tangenten war eine Hochbebauung bis zu 28 Stockwerken vorgesehen.
Gegen diese vom Bremer Senat vorgesehene und auch in der SPD-Fraktion der Bremischen Bürgerschaft und der Bauwirtschaft unterstützten Planungen regte sich Widerstand in der örtlichen Bevölkerung und der SPD-Basis. Es kam zur Gründung einer Bürgerinitiative und zu Demonstrationen. 1968 hatte der Ortsteilbeirat Altstadt beschlossen, sich anstatt auf Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg oder die Notstandsgesetze auf Reformen innerhalb der Stadt und den Kampf gegen die Trassenführungen zu konzentrieren. Im März 1969 wurde eine Fragebogenaktion im Ostertorviertel gestartet, die eine Ablehnung der Trassenführung von 95 % ergab und so den Rückhalt sicherstellte. Der Widerstand wurde vor allem über die Beiräte und die Ortsämter organisiert. Am 5. Dezember 1973 führte der Widerstand der SPD-Basis zu einem ablehnenden Beschluss bezüglich der „Mozarttrasse“ in der SPD-Bürgerschaftsfraktion, nachdem noch am Tag zuvor die Fraktion sich für die Planungen ausgesprochen hatte.
Seitens der SPD-Führung wurde nach dem Ende der „Mozarttrasse“, um in Zukunft einen massiven Widerstand der Basis zu unterbinden, der bis dahin einheitliche SPD-Stadtbezirk in drei Unterbezirke aufgeteilt. Dies führte zu 29 Parteiaustritten und der Gründung der Bremer Grünen Liste durch eine Gruppe ehemaliger SPD-Mitglieder um Olaf Dinné.
Nach Aufgabe der Mozarttrassenpläne Ende der 1970er Jahre wurden umfangreiche Sanierungsmaßnahmen an der durch jahrelange Vernachlässigung heruntergekommenen Bausubstanz durchgeführt. Der Bereich Ostertor / Steintor wurde dadurch vor allen in studentischen und alternativen Kreisen wieder als Wohngebiet attraktiv.
[Bearbeiten] Neuere Entwicklungen
Die Sielwallkreuzung bildete sich in den 1980er Jahren als Kumulationspunkt der bremischen Drogenszene zu einem der Brennpunkte des Viertels heraus. Bundesweite Aufmerksamkeit erregte sie durch Silvesterkrawalle Ende der 1980er / Anfang der 1990er Jahre.
Seit mehreren Jahren gibt es im Viertel eine starke Tendenz zur sozialen Aufwertung durch Ansiedlung von Designer-Boutiquen, Trendlokalen und weiterer entsprechender Infrastruktur bei gleichzeitiger Verdrängung alternativer Ansätze. Heute besitzt das Viertel eine hohe Wohnqualität, da trotz naher „Amüsiermeile“ und größerer Durchgangsstraßen (Osterdeich und Am Wall) vornehmlich Ruhe herrscht, welche in Kombination mit den teils engen Straßen, den nahen Theatern, dem Osterdeich und den Wallanlagen ein besonderes Flair bietet.
[Bearbeiten] Kultur
In kultureller Hinsicht spielen die im und am Randes des Viertels gelegenen Institutionen Kunsthalle Bremen, das Designzentrum, das Gerhard-Marcks-Haus sowie das Schauspielhaus und das Theater am Goetheplatz eine Rolle. Das Kulturzentrum „Lagerhaus“ bietet Platz für viele junge Initiativen. Das Viertel ist in Bremen auch im Bereich Kleinkunst und Kulturaktivismus tonangebend. Nahe der Sielwallkreuzung befinden sich das Cinema Ostertor und die Lila Eule.
Einmal im Jahr findet auf dem Ostertorsteinweg das Viertelfest statt, bei dem man sich in den letzten Jahren wieder bemüht, das Spezifische des Viertels erkennen zu lassen und dafür auf „Jahrmarktsatmosphäre“ zu verzichten.
Im Süden verläuft entlang der Weser der Osterdeich, an dessen Flussseite sich ein breiter Wiesenstreifen befindet, welcher als Naherholungsgebiet beliebt ist. Dort findet unter anderem seit 1990 die Breminale, ein inzwischen überregional bekanntes Kulturfestival, statt.
[Bearbeiten] Literatur
- Wendelin Seebacher, Dieter Cordes: Ostertor, hrsg. von der Bremischen Gesellschaft für Stadterneuerung, Stadtentwicklung und Wohnungsbau m.b.H., Bremerhaven 1987, 215 S.
- Trassenkampf, Dokumentarfilm, Bremen 2004
Koordinaten: 53° 4' 22" N, 8° 49' 23" O