Winchester (Gewehr)
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Als Winchester-Gewehr oder kurz Winchester wird umgangssprachlich eine Gewehr-Konstruktion (Unterhebelrepetierer) bezeichnet, die sich schrittweise seit den späten 1840er Jahren in den Vereinigten Staaten entwickelte.
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[Bearbeiten] Geschichte
[Bearbeiten] Vorläufer
Erste Merkmale der späteren Winchester finden sich in Experimentalmodellen der Firma Hunt & Jennings in Vermont und in der von Smith & Wesson entwickelten Volcanic-Pistole und dem Volcanic-Gewehr, welches hülsenlose Munition verschoss, das Pulver und die Zündkapseln befanden sich in der hinten hohlen Kugel. Das System bewährte sich nicht, da die Pulverladung zu schwach war, der Gasaustritt wegen fehlender Liderung die Anfangsgeschwindigkweit noch mehr verminderte und Selbstzünder im Magazin auslöste.
Auf erste Versuche mit Hinterlader-Gewehren und mit frühen Metallpatronen aufmerksam geworden, begann ein junger Mitarbeiter von Hunt & Jennings, Benjamin Tyler Henry, mit der Konstruktion eines neuen Repetiergewehrs auf der Basis der Volcanic. Seine charakteristischen Merkmale sind: Verwendung einer von ihm entwickelten Randfeuerpatrone im Kaliber .44 mit Hülse, welche die Liderung garantiert; ein Verschluss, der horizontal durch einen „Unterhebel“, d.h. den verlängerten und zum Handschutz umgeformten Abzugsbügel, vor- und zurückbewegt wird; ein außenliegender Hahn, der durch die Verschlussbewegung niedergedrückt und gespannt wird (bei gleichzeitigem Auswurf der abgeschossenen Patronenhülse); ein langes, als integrierter Teil des Laufes angeordnetes Magazin in Form eines unten offenen Rohres, in dem 15 Patronen hintereinander liegen; ein löffelartiger Hebel, der (mit dem Unterhebel gekoppelt) den Patronenzuführer senkrecht nach oben hebt. Der Patronenzuführer wirft gleichzeitig die Hülse der abgeschossenen Patrone aus. Beim Schließen des Verschlusses wird die zugeführte Patrone vom Verschluss ins Patronenlager geschoben, und die Waffe ist schussbereit. Der Verschluss wird durch ein Kniegelenk verriegelt. Dieses entspricht dem einer Luger-Pistole, knickt jedoch nach unten.
Die nach ihrem Konstrukteur Henry benannte Henry-Rifle kam zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs auf den Markt, als in den USA ein enormer Bedarf an Waffen und entsprechende Investitionsbereitschaft bestanden. Zwischen 1860 und 1866 wurden circa 14.000 Henrygewehre hergestellt. Mehrere Repetiersysteme erreichten zu dieser Zeit Marktreife, darunter – neben der Henry – der bekannte Spencer-Karabiner. Vor allem Truppen der Union erprobten während des Krieges verschiedene Systeme parallel, wobei sich Henry und Spencer als die tauglichsten Systeme schließlich durchsetzten.
[Bearbeiten] Winchester: Modelle 66, 73, 76, 86, 92, 94
Benjamin Tyler Henry war bereits 1861 eine Partnerschaft mit dem Textilfabrikanten Oliver Winchester eingegangen. Winchester war ein weitaus besserer Geschäftsmann als Henry und vertrieb die Konstruktion schließlich unter seinem eigenen Namen. Durch Gründung der Winchester Repeating Arms Company trat der Name Henry-Rifle schließlich in den Hintergrund.
Die aus dem Henrygewehr entwickelte Winchester Modell 1866 im Henrykaliber, die 73 und 76 mit Zentralfeuer funktionierte gleich wie die Henry, hatte jedoch ein geschlossenes Röhrenmagazin, welches von hinten durch eine Ladeklappe (King's improvement) geladen wurde. Damit war der Hauptnachteil der Henry, verschmutzte Patronen, behoben. Das Model 66 wurde bald zum Verkaufsschlager und trat seinen Siegeszug als leichter Karabiner und Sattelgewehr in der nach dem Bürgerkrieg stürmisch einsetzenden Besiedlung des Westens an. Als Militärgewehr waren die Modelle 66 und 73 weniger geeignet, da sie — aufgrund der vergleichsweise leichten Konstruktion – keine starken Gewehrpatronen verschossen.
Das Modell 1876 war eine vergrößerte Ausführung und verschoss stärkere Schwarzpulverpatronen. Sie war eine Jagdwaffe und wurde auch von der Kanadischen Berittenen Polizei geführt. Erst 1886 brachte Winchester eine Waffe heraus, welche später auch rauchloses Pulver verdaute, da John Moses Browning ein neues Unterhebelsystem entwickelt hatte, welches den Verschluss mit einem Keil blockierte anstatt mit dem Kniegelenk. Die Nachfolgemodelle des Mod. 1886 waren das Mod. 1892 für kurze Patronen und das Mod. 1894 für Mittelpatronen. In diesen Waffen mit Röhrenmagazin konnten keine Spitzpatronen verschossen werden, die Gefahr von Magazinzündern war zu groß. 1895 legte die Winchester Repeating Arms Company schließlich ein Modell vor, auch eine Browning-Entwicklung, das ein Kastenmagazin hatte und somit auch moderne Spitzpatronen verschießen konnte. Das Gewehr wurde als Großwildwaffe verwendet, aber auch in großer Zahl an die russische Armee verkauft, wo es die gleiche Patrone wie das Mosin Nagant Gewehr verschoss.
Die Schwäche der Winchester war zugleich eine Stärke, denn üblicherweise verschoss sie Patronen im Kaliber 44 - 40 WCF, die auch in den gebräuchlichsten Revolvermodellen des Wilden Westens Verwendung fanden (dem Single Action Army – auch Peacemaker – von Colt, in diesem Kaliber hieß er "Frontier Six Shooter", dem Remington, dem New Model No. 3 von Smith & Wesson). Der Besitzer war so in der Lage, die gleiche Patronensorte sowohl im Gewehr als auch in seiner Faustfeuerwaffe zu verwenden. Dabei handelte es sich vor allem um die 32-20 WCF, 38-40 WCF und 44-40 WCF (WCF = Winchester Centre Fire).
Kennzeichnend für die vielen Typen von Unterhebelrepetierern, die Winchester seit den 1860er Jahren auf den Markt brachte, ist die Benennung nach dem Jahr der Einführung (Winchester 66, Winchester 73, Winchester 76 Winchester 86, Winchester 92, Winchester 94, Winchester 95 usw.). Die Zusammenarbeit mit John Moses Browning fing 1885 an, nachdem er der Firma Winchester ein einschüssiges Gewehr angeboten hatte, welches als High-Wall und Low-Wall Mod. 1885 fabriziert wurde.
Als einzige, klassische Winchester wurde die Winchester 94 nahezu unverändert - vor allem im jagdtauglichen Kaliber .30-30 WCF - bis 2006 gebaut. Regelmäßig bringt Winchester hochwertig ausgestattete „Commemorative“ Modelle für Sammler heraus, die zumeist historischen Persönlichkeiten oder Ereignissen gewidmet sind: z.B. die Winchester 94 Bicentennial 1976 zum 200. Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung.
[Bearbeiten] andere Modelle
Auch die Konstruktion der Vorderschaft-Repetierflinte (die Pump-Action Flinte oder Pump-Gun) geht auf Winchester und Browning zurück. Die Winchester 1897 wurde ein beachtlicher kommerzieller Erfolg und von der U.S. Army noch in den Weltkriegen in den Schützengräben als sogenannte Trench-Gun zum Nahkampf eingesetzt. In beiden Weltkriegen baute Winchester im Regierungsauftrag auch große Mengen von Fremdkonstruktionen für das Militär und etablierte darüber hinaus eine bedeutende Munitionsfertigung.
Heute produziert die Firma Winchester vor allem hochwertige Jagdgewehre (Repetierbüchsen und Flinten) in allen gängigen Konfigurationen und Kalibern. Daneben vertreibt Winchester Munition für Jagd und Sport, Fan-Artikel und vielfältige Accessoires für Jäger und Sportschützen. Zahlreiche andere Firmen kopieren heute klassische Winchester-Modelle (einschließlich der Henry und der berühmten Winchester 73) für Liebhaber und zum sportlichen Schießen.
[Bearbeiten] Trivia
Das berühmteste Winchester-Modell der Geschichte war die Winchester 73. In dem gleichnamigen Western Winchester '73 mit dem Schauspieler James Stewart wird die Geschichte eines dieser Gewehre erzählt. In Deutschland wurde der „Henry-Stutzen“ zuerst durch den Volksschriftsteller Karl May bekannt gemacht, der in seinem ersten Roman der Winnetou-Reihe die Begegnung seiner Romanfigur Old Shatterhand mit dem Konstrukteur der Waffe beschreibt. Zu dieser Zeit war Karl May weder in Amerika gewesen, noch kannte er eine Henry-Rifle aus eigener Anschauung. Entsprechend phantasievoll (und waffentechnisch absurd) fällt denn auch seine Beschreibung des Mechanismus aus; Benjamin Tyler Henry verwandelte er kurzerhand in einen alten und leicht kauzigen Eigenbrötler. Auch mit der Wahl des Ortes – St. Louis – lag Karl May daneben.