Abwehrmechanismus
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Abwehrmechanismus ist ein Begriff aus der Psychologie, vor allem der Psychoanalyse. Mit ihm werden innere Vorgänge bezeichnet, die den Zweck haben, miteinander in Konflikt stehende psychische Tendenzen (Wünsche, Motive, Werte) mental so zu manipulieren, dass die resultierende seelische Verfassung konfliktfreier ist. Dies erfolgt meistens unbewusst.
In der Theoriesprache der freudschen Psychoanalyse bezeichnet der Begriff weitgehend unbewusst ablaufende Reaktionen, die das "Ich" zur Abwehr unerwünschter Triebimpulse des "Es" oder unangenehmer Affekte entwickelt. Die Abwehr gehört im psychoanalytischen Modell zu den Ich-Funktionen. Abwehrmechanismen werden in reifere (z.B. Verdrängung) und unreifere (z.B. Spaltung) unterteilt und sind die Voraussetzung zur Bewältigung unbewusster psychischer Konflikte und damit Grundlage der Fähigkeit zur Selbststeuerung. Sie werden der bewussten Problembewältigung bzw. Konfliktverarbeitung gegenübergestellt, die gemeinhin als Coping bezeichnet wird.
Abwehrvorgänge sind nicht als solche dysfunktional, sondern müssen immer im Gesamtzusammenhang der psychischen Struktur der jeweiligen Person gesehen werden. Meistens sind sie Bestandteil der bestmöglichen inneren Konfliktlösungen, die ein Individuum im Laufe seiner psychischen Entwicklung erreichen konnte. Dysfunktional sind insbesondere sogenannte primäre oder unreife Abwehrmechanismen wie Spaltung und Verleugnung, außerdem interpersonale Abwehrmechanismen, die andere Menschen in die Stabilisierung des eigenen psychischen Gleichgewichts einbeziehen und die betreffenden Beziehungen daher in der Regel belasten, wie z.B. bei der projektiven Identifizierung (s.u.).
In Psychoanalysen sind Abwehrvorgänge nicht nur als Widerstand zu verstehen, sondern dienen auch dem Schutz des psychischen Gleichgewichts des Analysanden. Die Geschwindigkeit des therapeutischen Prozesses muss sich weitgehend nach den Möglichkeiten des Patienten richten, Veränderungen und Entwicklungen zuzulassen.
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[Bearbeiten] Beispiele für Abwehrmechanismen nach Freud
- Affektualisierung: Ein Ereignis oder Verhalten wird dramatisiert.
- Entwertung / Idealisierung: Objekte werden unbewusst entwertet oder überhöht.
- Repression/Verdrängung: Unerwünschte Es-Impulse, die ein Gefühl von Schuld, Scham oder das Herabsetzen des Selbstwertgefühls hervorrufen, werden durch Ich und Über-Ich in das Unbewusstsein verdrängt. Von dort aus können sie allerdings in Träumen oder als unbewusste Ersatzhandlungen wieder zutage treten. Freuds Begriff der Repression muss vom Begriff der Unterdrückung (Supression) unterschieden werden, denn wenn wir bestimmte Gedanken, Handlungen und Wünsche unterdrücken, sind wir uns ihrer die ganze Zeit über bewusst.
- Rationalisierung: Rational-logische Handlungsmotive werden als alleinige Beweggründe für Handlungen angegeben. Gefühlshafte Anteile an Entscheidungen werden ignoriert oder unterbewertet.
- Reaktionsbildung: Gefühle oder Motive werden durch entgegengesetzte Gefühle/Motive niedergehalten (z. B. Mitleid statt aggressiver Impulse oder Hassgefühle, wenn Liebesgefühle gefährlich erscheinen). Abgrenzung zur bewusst ablaufenden Unterdrückung (z. B. wenn ein Arzt eine attraktive Patientin körperlich untersucht).
- Regression: es erfolgt eine unbewusste Rückentwicklung auf eine frühere Entwicklungsstufe
- Projektion: Eigene psychische Inhalte und Selbstanteile (v. A. Affekte, Stimmungen, Absichten und Bewertungen, etc.) werden anderen Personen zugeschrieben.
- Intellektualisierung: Entfernung vom unmittelbaren konfliktuösen Erleben durch Abstraktionsbildung (z.B. abstrakte Gespräche über das Wesen der Liebe; Fachsimpeln unter Ärzten oder Therapeuten über schwierige Patienten oder solche, die in ihrem Leid als psychische Belastung erlebt werden)
- Introjektion: Bestimmtes Verhalten, Merkmale oder Anschauungen einer anderen Person werden in die eigene Persönlichkeit übernommen.
- Verleugnung: Im Unterschied zur Verdrängung wird nicht ein konfliktreicher innerer Wunsch abgewehrt, sondern ein äußerer Realitätsausschnitt verleugnet, also nicht anerkannt.
- Vermeidung: Triebregungen werden umgangen.
- Verschiebung: Phantasien und Impulse werden von einer Person, der sie ursprünglich gelten auf eine andere verschoben, so dass die ursprünglich gemeinte Person unberührt bleibt (z. B. Aggression gegen eine tadelnde Autoritätsperson wird in Form von Beschimpfungen oder Tritten an einem Hund ausgelassen) oder ursprünglich vorhandene Zusammenhänge werden ausgeblendet und neue hergestellt.
- Spaltung: Inkompatible Inhalte werden auf mehrere Objekte verteilt.
- Sublimierung: Nicht erfüllte Triebwünsche werden durch gesellschaftlich höher bewertete Ersatzhandlungen befriedigt (Kunst, Wissenschaft, Musik, Sport, exzessive Arbeit).
- Verneinung: Negierung eines Sachverhalts. Im Gegensatz zur Reaktionsbildung wird ein Gefühl oder eine Einstellung nicht durch deren Gegenteil ersetzt, sondern nur deren Vorhandensein verneint („Ich empfinde überhaupt nichts für XXX.“)
- Projektive Identifizierung: Kombination von innerpsychischen und interpersonellen Vorgängen, bei dem das Gegenüber (unbewusst) so beeinflusst wird, dass er bestimmte Erwartungen erfüllt. Durch Externalisierung unangenehmer oder unerträglicher Selbstanteile werden innere Konflikte in der Außenwelt inszeniert, um das innerpsychische Gleichgewicht zu entlasten, was jedoch die Beziehungen zu anderen stark belasten kann.
- Identifikation mit dem Aggressor: Bei einem gewaltsamen Übergriff bzw. einer psychischen Grenzüberschreitung wird die Verantwortung für das Geschehen sich selbst zugeschrieben und/oder die Einstellung oder das Verhalten eines Angreifers übernommen. Beides dient der Abwehr unerträglicher Angst- und Hilflosigkeitsgefühle und einer symbolischen Rückerlangung von Kontrolle.
- Autoaggression: Aggressive Impulse werden gegen die eigene Person gerichtet und treffen so nicht die Person, der sie ursprünglich galten, um die Beziehung zu dieser Person nicht zu gefährden. Das interpersonelle Feld wird so von Störungen freigehalten, ein interpersoneller Konflikt wird zulasten eines intrapsychischen Konflikts vermieden.
- Ungeschehenmachen: Einsatz faktisch unwirksamer Handlungen und Rituale (z. B. auf Holz klopfen), denen eine symbolische Kraft zugeschrieben wird, mit dem Ziel Strafe bei Verbots- und Gebotsübertretungen abzuwenden
- Isolierung vom Affekt: Fehlen oder Dämpfung eines normalerweise spontan auftretenden Gefühls in einer bestimmten Situation. Sie dient auch der Bewusstmachung und rationalen Betrachtung bestimmter gefühlsintensiver Reaktionen.
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
- Freud, Sigmund, Die Verdrängung, Gesammelte Werke, Bd. X, London.(1915/1946)
- Freud, Anna, Das Ich und seine Abwehrmechanismen, München: Kindler.(1936/1964)
- Cramer, Phebe, Protecting the Self - Defense Mechanisms in Action, Guilford Press, 2006 [1]
- König, Karl, Abwehrmechanismen, Göttingen: Vanderhoeck und Ruprecht. (1996)
- Atkinson, R.L., Atkinson, E.E., Bem, D.J. & Hilgard, E.R. (1990). Introduction to psychology. Fort Worth: HBJ. (S. 554-607)