Dialektischer Materialismus
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Der Begriff Dialektischer Materialismus wurde im Rahmen der Systematisierung des Marxismus vor allem von Lenin und Stalin als Einheit mit dem Historischen Materialismus gebildet und entwickelt die Geschichtstheorie von Karl Marx und Friedrich Engels als Lehre in der Sowjetideologie. Abkürzend wird er auch als Diamat bezeichnet.
Die für die Praxis gravierendste Formulierung stammt von Josef Stalin: „Über Dialektischen und Historischen Materialismus“.
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[Bearbeiten] Grundlagen
Der dialektische Materialismus basiert auf der von Marx' geistigem Lehrer, dem deutschen Philosophen Hegel, entwickelten Dialektik. Diese geht davon aus, dass die Realität aus Widersprüchen besteht, welche zwangsläufig ihre eigene Veränderung sowie die Zukunft erzeugen und bestimmen. Nach dieser Theorie gerät der Geist mit sich selbst in Widerspruch und generiert so das Werden der objektiven Wirklichkeit.
Marx dreht die Hegel'sche Dialektik um (stellt sie "vom Kopf auf die Füße") und postuliert, dass sich die Welt, die objektive Wirklichkeit, aus ihrer materiellen Existenz und deren Entwicklung erklären lässt (Materialismus) und nicht als Verwirklichung einer göttlichen "absoluten Idee" (Idealismus) oder des menschlichen Denkens. Das heißt,die objektive Realität existiert also außerhalb und unabhängig des menschlichen Bewusstseins. Daher stammt Marx' berühmter Satz: "Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein" (im Gegensatz zu Hegel'schem Denken, demzufolge das Bewusstsein das Sein bestimmen würde). Dieser Satz ist eine Grundlage des marx'schen Denkens.
Vier Grundregeln liegen der Theorie des dialektischen Materialismus zugrunde:
- das Universum muss als Ganzes angesehen werden;
- dieses Ganze besteht aus untereinander in Beziehung stehenden, voneinander abhängigen und sich in ständiger Bewegung befindenden Materien (objektiver Zusammenhang);
- diese Bewegung ist aufsteigend, vom Einfachen zum Komplexen fortschreitend und durchläuft dabei bestimmte Ebenen; jeder Ebene entsprechen bestimmte qualitative Veränderungen;
- die jeweilige Entwicklung einer bestimmten Ebene resultiert nicht aus einem harmonischen Fortschreiten, sondern entsteht durch den Konflikt und die Aktualisierung der jeweiligen, den entsprechenden Phänomenen innewohnenden Gegensätzlichkeiten ("Grundwidersprüche").
Die materialistische Dialektik - von Marx "meine dialektische Methode" genannt - wurde anfangs durch die Neu-Interpretation der Geschichte entwickelt, später von Marx durch die Beschreibung der Produktion des Kapitals und durch Friedrich Engels in einer "Dialektik der Natur".
Engels stellte gegenüber späteren Theoretikern fest, dass nach Marx und seiner Auffassung Materielles ideelle Prozesse freilich "nur in letzter Instanz" festlege und beeinflusse.
[Bearbeiten] Aufbau der Gesellschaft
Nach Marx ist der Mensch ein "Opfer" seiner Bedürfnisse, und die Gesellschaft befindet sich in einem permanenten Kampf gegen die Natur, mit dem Ziel, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Dieser Kampf ist nur mithilfe einer bestimmten materiellen und wirtschaftlichen Basis möglich: der so genannten Infrastruktur oder dem Unterbau.
Der so genannte Unterbau besteht aus zwei, sich ebenfalls widersprüchlich gegenüberstehenden Elementen:
a) Die Produktivkräfte, d. h. alle am Produktionsprozess beteiligten Kräfte. Darunter versteht Marx die Arbeitskräfte einerseits und die Produktionsmittel (natürliche Ressourcen, zur Verfügung stehende Technologie, etc.) andererseits. Die Produktivkräfte verändern sich im Laufe der Zeit - einer bestimmten Entwicklung der Produktivkräfte entspricht eine bestimmte Art der Produktionsverhältnisse.
b) Die Produktionsverhältnisse, d. h. die gesellschaftliche Arbeitsteilung einerseits und die Besitzverteilung andererseits.
Dieser von den materiellen Verhältnissen bestimmte "Unterbau" bestimmt seinerseits den so genannten "Überbau", d. h. das gesellschaftliche Bewusstsein der zu einem bestimmten Zeitpunkt dominierenden Klassen. Zum Überbau gehören u. a. das politische System, das Bildungswesen, die Sprache, das Rechtssystem, die Religion (Theologie), die Wissenschaften, die Künste, etc.
Stalin veränderte diese Theorie dahingehend, dass er für ein bestimmtes Entwicklungsstadium der Gesellschaft genaue Erkenntnisse über den Unterbau angeben konnte. Außerdem brachte er die Naturwissenschaften, die Kunst und auch die Linguistik, die bisher von metaphysischen Überlegungen gesteuert waren, in Einklang mit der Theorie des dialektischen Materialismus.
[Bearbeiten] Weiterentwicklungen
Der dialektische Materialismus wurde als Teil der politischen Ideologie von den wissenschaftlichen Gremien der politischen Führung der früheren DDR und der UdSSR weitergeführt. Relativitätstheorie, Quantenmechanik und andere neuere naturwissenschaftliche Erkenntnisse machten eine Anpassung bzw. Erweiterung gegenüber der Orthodoxie erforderlich. Die neuen Erkenntnisse wurden von den Anhängern des dialektischen Materialismus als Bestätigung gewertet, dieser wurde darauf aufbauend weiter entwickelt. Kritiker wie Wolfgang Leonhard wenden ein, dass der dialektische Materialismus im Sozialismus/Kommunismus vor allem systematisch genutzt wurde, vergleichbare Zustände im Westen scharf zu kritisieren, die man im Osten elegisch feierte. Leonhard beschreibt den dialektischen Materialismus der Sowjetunion in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg als reine Worthülse, um herrschende Zustände zu legitimieren.
[Bearbeiten] Beispiele für die dialektische Bewegung
- Elementarteilchenphysik: bei dem Zusammenprall eines Teilchens mit positiver Ladung (Positron) und negativer Ladung (Elektron) entsteht über einen Zwischenschritt elektromagnetische Strahlung (Photonen), wobei der Gesamtbetrag der Energie nach der Umwandlung gemäß Energieerhaltungssatz unverändert bleibt.
- Replikation der Desoxyribonukleinsäure (DNA): die polare Struktur der Doppelhelix wird durch einen enzymatischen Prozess aufgetrennt. Danach wird an beiden Strängen jeweils ein neuer komplementärer Strang synthetisiert. Alter und neuer Strang auf erhöhter Komplexitätsstufe mit zusätzlichen Strängen bestätigen die Grundcharakteristik einer dialektischen Negation.
- Das dialektische Aufeinanderbeziehen der Geschlechterpole bei Tier und Mensch führen zu dialektischen Negationen in der Form der Vermehrung sowie zu Prozessen der Anpassung und Änderung in sozialen Organisationen.
siehe auch: Historischer Materialismus; Wissenschaftlicher Sozialismus; Marxismus
[Bearbeiten] Literatur
- Georg Klaus und Manfred Buhr (Hersg.), Marxistisch-Leninistisches Wörterbuch der Philosophie, Rowohlt, Hamburg 1972, ISBN 99 16155 9
- Wissenschaftlicher Rat für philosophische Fragen der Naturwissenschaften beim Institut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR (Hersg.), Struktur und Formen der Materie, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin(Ost) 1969
- Herbert Hörz, Heinz Liebscher, Rolf Löther, Siegfried Wollgast (Hersg.), Philosophie und Naturwissenschaften, Wörterbuch zu den philosophischen Fragen der Naturwissenschaften, Dietz, Berlin(Ost) 1983
- B. A. Čagin, Der subjektive Faktor, Struktur und Gesetzmäßigkeiten, Akademie, Berlin(Ost) 1973
- Wolfgang Leonhard, Die Revolution entlässt ihre Kinder, Kiepenheuer & Witsch, Neuauflage 2005
[Bearbeiten] Weblinks
- MODELLE DER MATERIALISTISCHEN DIALEKTIK
- http://club-dialektik.de/texte/materialismus_bei_marx.html
- http://kulturkritik.net/begriffe/di.html#dialektischermaterialismus Dialektische Materialismus im Kulturkritischen Lexikon