Entstuckung
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Entstuckung (zuweilen auch Abstuckung) ist die vorsätzliche Beseitigung von Stuckornamenten an Gebäuden. Von etwa 1920 bis 1975 wurde, vorwiegend in Deutschland, vor allem von Fassaden und in Innenräumen aus der Gründerzeit der als häßlich und "lügnerisch" empfundene Gipsstuck-Dekor abgeschlagen. Fassaden oder Zimmerdecken wurden anschließend meist glatt verputzt.
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[Bearbeiten] Anfänge
Die theoretischen Grundlagen für die Entstuckung wurden vor dem 1. Weltkrieg gelegt. Aus den Kreisen der kunstgewerblichen und architektonischen Reformbewegung um Adolf Loos, Hermann Muthesius oder Paul Schultze-Naumburg wurde bereits um 1900 massive Kritik an den industriell gefertigten Dekorelementen in Stilformen der Gotik, Renaissance, Barock, Rokoko oder Klassizismus geübt, mit denen in der Gründerzeit die Architektur nobilitiert wurde. Vor allem der Stuck an Mietshäusern wurde als Verschleierung elender sozialer Verhältnisse gebrandmarkt. In einer mit moralischen Argumenten geführten Debatte wurde die historistische Stuckfassade zunehmend abqualifiziert. Als erster absichtsvoll vom Baudekor befreiter Bau kann jedoch ein Industriebau gelten: Peter Behrens ließ 1911 von der erst wenige Jahre zuvor errichteten "Alten Fabrik für Bahnmaterialien" der AEG in der Voltastraße in Berlin-Wedding den in Klinkerformsteinen ausgeführten Dekor entfernen.
[Bearbeiten] Entstuckung und Neues Bauen
Mit der aktiven Beseitigung des Dekors im größeren Stil wurde jedoch erst in den 1920er Jahren in Berlin begonnen. Pioniere der Entstuckung waren dort Architekten des Neuen Bauens wie Erich Mendelsohn oder die Brüder Hans und Wassili Luckhardt, aber auch ältere Architekten wie Peter Behrens oder Richard Riemerschmid. Einige ihrer Fassadenumgestaltungen waren gestalterisch durchaus bemerkenswert und wurden als eigenständige Bauten der jeweiligen Architekten wahrgenommen. Von Berlin breitete sich die Entstuckung, befördert durch befürwortende Artikel in den wichtigsten Architekturzeitschriften, als städtebauliches Leitbild in ganz Deutschland aus.
[Bearbeiten] Entstuckung und "Entschandelung" im Dritten Reich
In der Zeit des Nationalsozialismus lebte das Leitbild Entstuckung fort und wurde nun vor allem für Kleinstädte und Dörfer propagiert. Als Teil der so genannten "Entschandelung" wurde nun der Versuch gemacht, ganze Straßen, Plätze und Ensembles vom Dekor des späten 19. Jahrhunderts zu befreien. Eine zentrale Rolle kam bei diesen Bemühungen dem Architekten und Heimatschützer Werner Lindner zu.
[Bearbeiten] Höhepunkt in den 1950er Jahren
Ihren quantitativen Höhepunkt erreichte die Entstuckung jedoch erst nach 1945, als in fast allen deutschen Städten den Formen der Gründerzeit der Kampf angesagt wurde. Allein in Berlin-Kreuzberg, einem der größten Gründerzeitviertel Europas, wurde bis 1979 von etwa 1.400 Häusern der Stuck abgeschlagen.
[Bearbeiten] Ende der Entstuckung seit den 1960er Jahren
Seit den frühen 1960er Jahren begann sich Kritik gegen die Entstuckung zu regen. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Erscheinen des polemischen Bildbandes "Die gemordete Stadt" des Publizisten Wolf Jobst Siedler und der Fotografin Elisabeth Niggemeyer im Jahr 1964 zu. Seit den 1970er Jahren wurde die Gründerzeit zunehmend von der Denkmalpflege, aber auch in der breiten Öffentlichkeit wieder entdeckt. In der Folge wurden sogar zahlreiche entstuckte Fassaden rekonstruiert und die Entstuckung vielerorts untersagt.
[Bearbeiten] Literatur
- Hans Georg Hiller von Gaertringen: Fort mit Schnörkel, Stuck und Schaden. Die Entstuckung Berlins im 20. Jahrhundert. In: BerlinLabor (Hg.): Berlin-Forschungen junger Wissenschaftler, Bd. 1. Berlin: Verlag für Wissenschaft und Forschung 2005, ISBN 3-89700-129-2