Indologie
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Indologie ist eine grundlagenforschende Geisteswissenschaft, die sich mit der Erkenntnis und Deskription der indischen Kultur befasst.
Ihre Quellen sind vorwiegend sprachlicher Natur. Die kulturhistorisch wichtigsten Quellsprachen des indischen Altertums und der Vormoderne sind die Sprache des Veda (Vedisch), das (klassische) Sanskrit und mittelindische Idiome, die sogenannten Prakrits sowie Pali und Tamil. Mit den Primärmethoden der historisch-kritischen Philologie erforscht die Indologie systematische Teilbereiche des indischen Kulturraums, besonders die indische Geistes- und Kulturgeschichte und versucht, durch objektive Datenerhebung eine universalgeschichtliche Beurteilung Indiens zu ermöglichen. Unter die indologischen Teildisziplinen fallen auch politische Geschichte, Sprachen, Literaturen, Philosophie, Medizin, Rituale, Religionen, Kunst und Recht des indischen Subkontinents. Um die Texte in ihrem zeitgenössisch ausgedrückten Sinn verstehen und interpretieren zu können, muss die Indologie intra-disziplinär arbeiten, d.h., sich den Verständnis- und Wissenshorizont der alten indischen Autoren aneignen und sich in ihre sakralen Überlieferungen und säkularen Wissenschaften einarbeiten. Die Erforschung des modernen Indien bietet der Indologie die Möglichkeit, Methoden gegenwartsbezogener Fächer wie Soziologie oder Ethnologie als Hilfswissenschaften anzuwenden. Hier ist die Beherrschung und Anwendung der zahlreichen neuindischen Idiome maßgeblich, deren Lehre und Studium besonders in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s auf großes Interesse stieß. Auch die darstellende Kunst, wie beispielsweise klassischer indischer Tanz, wird von der mehr gegenwartsbezogen arbeitenden Indologie berücksichtigt.
Die moderne, wissenschaftliche indologische Forschung setzt im späten 18. Jh. ein, mit der Gründung der Asiatic Society of Bengal (1784) in Calcutta durch William Jones (1746–1794). Eine große Wirkungsgeschichte erzielten auch Charles Wilkins (1750–1833) und Henry Thomas Colebrooke (1765–1837), die sich ebenfalls auf Originalquellen in Sanskrit stützten, und nicht mehr das Persische als indirektes Medium der Vermittlung heranzogen. Dies war erst aufgrund der kolonialen Präsenz der Briten in Ostindien möglich geworden. Ihre Blüte hatte die Indologie im 19. Jh., als heute noch unentbehrliche Großwörterbücher entstanden, erste wichtige Texte ediert und erste Übersetzungen versucht worden waren. Hier wirkte die deutsche Indologie, die weder wirtschaftliche noch koloniale Interessen verfolgte, international bahnbrechend. Das umfassendste Sanskrit-Wörterbuch sind die sogenannten "Petersburger Wörterbücher" ["Großes PW" in 7 Bänden 1852–1875, "Kleines pw" in 7 Bänden 1879–1889] von Otto von Boethlingk (1815–1904, in Leipzig).
Aufgrund der Rezeption indischer Werke durch deutsche Denker und Dichter (Herder, Schopenhauer, Goethe, Nietzsche) kam es zu einer Diffusion indischen Gedankenguts in das Bildungsbürgertum, zunächst noch über sekundäre deutsche Übersetzungen. Die deutsche Romantik (bes. Friedrich Schlegel [1772–1829]) war für die Indienbegeisterung mitverantwortlich. Auch Schlegel wandte sich in Paris (1802) dem Originalquellenstudium zu (Persisch, Sanskrit). Schlüsselwerk für die europäische Indologie wurde sein „Über die Sprache und Weisheit der Indier“ (1808). Begleitend erzielte die Sprachwissenschaft einen entscheidenden wissenschaftlichen Durchbruch. Der Mainzer Franz Bopp (1791–1867) erbrachte 1816 den Nachweis der Sprachverwandtschaft des Sanskrit mit den antiken, iranischen und germanischen Sprachen, und begründete die Vergleichende Sprachwissenschaft (Indogermanistik) als selbständige Wissenschaft. Nun wurde auch die Lehre des Sanskrit als Universitätsfach institutionalisiert (Bonn 1818), und zwar durch Friedrich Schlegels Bruder August Wilhelm Schlegel (1767–1845). Mit den Methoden der Klassischen Philologie stellte er kritische Editionen und historisch-kritische Übersetzungen her. Es war eine Zeit großer und einflussreicher Gestalten. Wilhelm von Humboldt studierte Sanskrit und verfasste Publikationen zur Bhagavadgita, auf die Hegel in kritischen Rezensionen antwortete. Friedrich Rückert (1788–1866), ein Schüler Franz Bopps, tat sich mit meisterlichen Übersetzungen indischer schöner Literatur hervor. Er gilt als philologischer Dichter. Sein weitreichender Einfluss machte sich besonders über die germanistische Literaturwissenschaft geltend.
Der deutsche Indologe Friedrich Max Müller (Oxford) edierte zum ersten Mal den vollständigen Rigveda zusammen mit dem Kommentar des Sayana, das älteste sprachliche Dokument des indischen Kulturraums.
Großen Einfluss auf die europäische Rezeption indischer Philosophie hatte der Philosophiehistoriker und Indologe Paul Deussen, ein Mitschüler (in Schulpforta) und lebenslanger Freund von Friedrich Nietzsche.
Während des 3. Reiches missbrauchte die herrschende Ideologie Einzelergebnisse indologischer und indogermanistischer Forschung, indem sie sich in anachronistischer Weise gewisser altindischer Begriffe ("Arier") und modifizierter Symbole (Svastika) für ihre Zwecke bemächtigte und in unwissenschaftlicher Weise versuchte, durch Propagandamaßnahmen einen Zusammenhang zwischen "Rasse" und "Sprachfamilie" glaubhaft zu machen.
[Bearbeiten] Literatur
- Heinz Bechert, Georg von Simson, Peter Bachman (Hrsg.): Einführung in die Indologie. Stand, Methoden, Aufgaben. 2. durchges., erg. und erw. Aufl., Darmstadt 1993, ISBN 3-534-05466-0
- Thomas Burrow: Sanskrit. In: Current trends in linguistics. Vol. 5: Linguistics in South Asia. Ed. by Thomas A. Sebeok. The Hague [usw.] 1969, S. 3-35 [Forschungsbericht]
- Narendra Nath Bhattacharyya: Indian religious historiography. New Delhi 1996, ISBN 81-215-0637-9
- Douglas T. McGetchin, Peter K.J. Park, Damodar SarDesai: Sanskrit and 'Orientalism'. Indology and comparative linguistics in Germany, 1750-1958. New Delhi 2004, ISBN 81-7304-557-7
- Jan Willem de Jong: A brief history of Buddhist studies in Europe and America. Varanasi 1976
- Willibald Kirfel: August Wilhelm von Schlegel und die Bonner indologische Schule. In: Kleine Schriften. Hrsg. von Robert Birwe. Wiesbaden 1976, S. 1–18
- Hermann Oldenberg: Vedaforschung. Suttgart, Berlin 1905 (Pdf)
- Hans-Wolfgang Schumann: Buddhism and Buddhist studies in Germany. Bonn 1972 [S. 9-28: German research in Buddhism]
- Wilhelm Rau: Bilder 135 deutscher Indologen. Wiesbaden 1982 (Glasenapp-Stiftung 23), ISBN 3-515-03864-7
- Hans-Wilm Schütte: Die Asienwissenschaften in Deutschland. Geschichte, Stand und Perspektiven. Hamburg 2004 (Mitteilungen des Instituts für Asienkunde 380) [1.2: Geschichte der Indologie in Deutschland, 2.2.4.1: Arbeitsschwerpunkte der Indologie, Buddhologie, Turfanforschung], ISBN 3-88910-307-3
- Indra Sengupta: From salon to discipline. State, University and Indology in Germany 1821–1914. Heidelberg 2005 (Beiträge zur Südasienforschung 198), ISBN 3-89913-454-0
- Walter Slaje: Was ist und welchem Zwecke dient Indologie? In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 153,2 (2003), S. 311–331 (Pdf)
- Valentina Stache-Rosen: German indologists. Biographies of scholars in Indian studies writing in German. 2. Aufl. New Delhi 1990, ISBN 81-85054-97-5
- Albert Thumb: Handbuch des Sanskrit. I,1: Einleitung und Lautlehre. 3. Aufl. Heidelberg 1958 [§41: Das Studium des Sanskrit in Europa]
- Christian Wagner: Die Bedeutung Südasiens in der Forschungs- und Universitätslandschaft der Bundesrepublik Deutschland. Eine Bestandsaufnahme. Hamburg 2001 (Mitteilungen des Instituts für Asienkunde 335), ISBN 3-88910-252-2
- Albrecht Wezler: Towards a reconstruction of Indian cultural history: Observations and reflections on 18th and 19th century Indology. In: Studien zur Indologie und Iranistik 18 (1993), S. 305-329
- Ernst Windisch: Geschichte der Sanskrit-Philologie und indischen Altertumskunde. 1., 2. Teil sowie nachgelassene Kapitel des 3. Teils. Berlin, New York 1992, ISBN 3-11-013013-0
[Bearbeiten] Weblinks
- Indologie und Südasienkunde im deutschsprachigen Raum
- Fachprofil von der Indologie in Bonn
- Institut für Indische Philologie und Kunstgeschichte der Freien Universität Berlin
- German Indology. A list of institutions and persons concerned with Sanskrit and associated studies
- Fachinformationsführer der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen
- GRETIL - Göttinger register of electronic texts in Indian languages
- INDOLOGY: Resources for indological scholarship
- Virtuelle Fachbibliothek Südasien (SAVIFA) Heidelberg
- SARDS 2: Online-Datenbank unselbständiger Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Indologie, Seminar für Indologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg