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Ritual

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Ein Ritual (von lateinisch ritualis = "den Ritus betreffend") ist eine nach vorgegebenen Regeln ablaufende, feierlich-festliche Handlung mit hohem Symbolgehalt. Sie wird häufig von bestimmten Wortformeln und festgelegten Gesten begleitet und kann religiöser oder weltlicher Art sein (z. B. Gottesdienst, Begrüßung, Hochzeit, Begräbnis, Aufnahmefeier usw.). Ein festgelegtes Zeremoniell (Ordnung) von Ritualen oder rituellen Handlungen bezeichnet man als Ritus.


Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Funktionen des Rituals

Rituale sind ein allgemeines Phänomen der Interaktion mit der Umwelt (vgl. Walter Burkerts Definition von Ritual als kommunikative Handlung[1]). Sie finden sowohl auf der Ebene des individuellen Verhaltens (persönliche Rituale, autistische Rituale, Zwangshandlungen) als auch im menschlichen Miteinander (Rituale im Familienleben, geregelte Kommunikationsabläufe, Feste und gesellschaftliche Veranstaltungen, Gepflogenheiten und Konventionen, religiöse Riten und Zeremonien) statt.

Ein Ritual ist normalerweise kulturell eingebunden oder bedingt. Es bedient sich strukturierter Mittel, um die Bedeutung einer Handlung sichtbar oder nachvollziehbar zu machen oder über deren profane Alltagsbedeutung hinaus weisende Bedeutungs- oder Sinnzusammenhänge symbolisch darzustellen oder auf sie zu verweisen.

Indem Rituale auf vorgefertigte Handlungsabläufe und bekannte Symbole zurückgreifen, vereinfachen sie die Bewältigung komplexer lebensweltlicher Aufgaben und vermitteln Halt und Orientierung, sie erleichtern die Kommunikation, den Umgang mit der Welt und das Treffen von Entscheidungen. Durch den gemeinschaftlichen Vollzug besitzen viele Rituale einheitsstiftenden und einbindenden Charakter und fördern den Gruppenzusammenhalt und die Verständigung im Allgemeinen.

Rituale dienen insbesondere auch der Rhythmisierung zeitlicher und sozialer Abläufe (vgl. Karl Bücher[2]). So gibt es

Rituale ermöglichen darüber hinaus die symbolische Auseinandersetzung mit Grundfragen der menschlichen Existenz, etwa dem Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Beziehung, dem Streben nach Sicherheit und Ordnung, dem Wissen um die eigene Sterblichkeit oder dem Glauben an eine transzendente Wirklichkeit (z. B. durch Freundschaftsrituale, Staatsrituale, Begräbnisrituale, Grabbeigaben). Derartige Rituale sind daher Ausdruck der Conditio humana, des menschlichen Selbstbewusstseins, der symbolischen Verfasstheit menschlichen Handelns und nach Auffassung einiger anthroplogischer Denker (etwa Helmuth Plessner[3]) einer Art "Veranlagung" (grob vereinfachend ausgedrückt) des Menschen zur Religiosität.

Manchmal verkehren sich ihre Wirkungen aber auch ins Negative, Rituale werden als abgegriffen, überholt, sinnentleert oder kontraproduktiv empfunden und einer Ritualkritik unterzogen.

Rituale, die nur von "Eingeweihten" verstanden oder praktiziert werden können, können auch der Ausgrenzung oder Beherrschung "Unwissender" dienen. Von derlei elitären oder geheimnisvollen Ritualen besonders stark geprägt sind magische Riten und Kulte oder Geheimlehren.

Medizinisch relevant sind Rituale auch als Zwangshandlungen (Zwangsrituale), die im Zusammenhang mit Zwangsstörungen von den Betroffenen gegen ihren Willen praktiziert werden.

Das Menschenopfer und der Ritualmord sind Formen der rituellen Tötung eines Menschen.

Kniefall Aller in eine Richtung, besondere Gewandung von Offizianten, Beleuchtungseffekt in einem Ritualgebäude:Katholischer Gottesdienst in einer Rigaer Kirche
Kniefall Aller in eine Richtung, besondere Gewandung von Offizianten, Beleuchtungseffekt in einem Ritualgebäude:
Katholischer Gottesdienst in einer Rigaer Kirche

[Bearbeiten] Religiöse Rituale

Rituale sind häufig im Bereich der Religion verankert (hierzu siehe ausführlicher: Religiöse Riten und Grundbegriffe der Religionssoziologie). Derartige Rituale fördern den Zusammenhalt religiöser Gruppen. So ergab die Auswertung von Daten über 83 US-amerikanische Religionsgemeinschaften aus dem 19. Jahrhundert, dass Religionsgemeinschaften desto langlebiger sind, je stärker sie von Ritualen und festen Verhaltensregeln bestimmt sind. Für weltliche Gemeinschaften lässt sich ein solcher Zusammenhang angeblich nicht feststellen.[4]

[Bearbeiten] Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis

Mit Ritualen beschäftigen sich eine Reihe von Sozialwissenschaften, unter anderen die Soziologie, die Psychologie, die Ethnologie und die Pädagogik.

Soziologisch lassen sich Rituale in allen Gesellschaften beobachten. Beispielsweise ermöglichen Macht-, Unterwerfungs- oder Kampfrituale die Klärung oder Festigung sozialer Rangordnungen und vermeiden gleichzeitig verlustreiche physische Auseinandersetzungen innerhalb der Gruppe (vgl. Ritualisierung im Tierreich). Rituale sind einem ständigen Wandel unterworfen. Sie erneuern sich und treten in veränderter Gestalt in die gewandelte gesellschaftliche Wirklichkeit. So lassen sich etwa moderne soziale Rituale in gesellschaftlichen Kontexten wie dem Sport, dem Personenkult, der Jugendkultur und der Werbung erkennen.

Ethnologisch sind beobachtbare Rituale vielfach ein Einstieg in die Erforschung von Stammeskulturen.

Auch in der Psychotherapie spielt die Ritualisierung eine wichtige Rolle. Mit ihrer Hilfe sollen Ordnungen wiederhergestellt werden, wo sie nicht mehr als Struktur vorhanden sind. Auch die struktur- und bedeutungsstiftende Kraft von Ritualen für den sozialen Zusammenhalt von Gruppen soll im therapeutischen Raum nutzbar gemacht werden. Auf symbolische Weise wird der Kern der Gesamtproblematik herausgearbeitet. Rituale und symbolische Handlungen (z. B. eine Versöhnungsgeste) unterstützen den Therapieerfolg etwa in der Familientherapie.

Zunehmend wird auch in der neueren Schulpädagogik, insbesondere in der Grundschule, bewusst mit Ritualen gearbeitet, um den Unterricht zu strukturieren und lebendiger zu machen. Früher waren Rituale gang und gäbe (z.B. Aufstehen, wenn der Lehrer den Klassenraum betritt, Morgengebet)

[Bearbeiten] Politische Rituale

Bereits die inzenierten Rituale der Weltanschauungsdiktaturen des 20. Jahrhunderts fielen allgemein auf: die Moskauer Paraden zum 1. Mai, der "Römische Gruß" der italienischen Fascisten, die "Fahnenweihen" der Nazis am 9. November u. v. a. m. Der US-amerikanische Politologe Murray Edelman (1919-2001) hat den Standpunkt zur Geltung gebracht, dass auch moderne Demokratien Rituale zu Propagandazwecken mythisierend verwenden.

Im deutschen Sprachraum hat sich z.B. Günter E. Braun mit Ritualen und Mythen im Bereich der Verwaltungsmodernisierung befasst. Bei der Einführung von modernen betriebswirtschaftlichen Instrumenten in die öffentliche Verwaltung geht es nicht um die tatsächliche Einführung. Die ist nicht möglich. Vielmehr geht es um eine Beruhigung der Diskussion: "Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass öffentliche Verwaltungen sich nur ein gewisses Maß an Konfliktträchtigkeit erlauben können. In diesem Sinne führt die öffentlich gewünschte Einführung von Methoden dazu, die öffentlich geführte, gegebenenfalls politisierte Debatte über die Ineffizienz der öffentlichen Verwaltung zu entschärfen oder gar zu beenden. Dass es sich bei der Anwendung nur um einen Schein handelt wird nicht erkannt. Treten Schwierigkeiten auf, so wird im weiteren über methodische Schwierigkeiten diskutiert, die an die Stelle der ursprünglichen politischen Schwierigkeiten treten. Sie machen ganz vergessen, dass die Methoden zur Handhabung politischer; also inhaltlicher Probleme eingeführt wurden."[5]

[Bearbeiten] Siehe auch

[Bearbeiten] Literatur

  • Andréa Belliger, David J. Krieger (Hrsg.): Ritualtheorien. Ein einführendes Handbuch. Westdeutscher Verlag, Opladen 1998, ISBN 3-531-13238-5.
  • Mary Douglas: Ritual, Tabu und Körpersymbolik. Sozialanthropologische Studien in Industriegesellschaft und Stammeskultur. S. Fischer, Frankfurt am Main 1974, ISBN 3-10-815601-2.
  • Murray Edelman: Politik als Ritual. Die symbolische Funktion staatlicher Institutionen und politischen Handelns. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 1976, ISBN 3-593-32512-8.
  • Lee, Daniel B.: "Ritual and the Social Meaning and Meaninglessness of Religion", in: Soziale Welt, 2005 (LVI), H. 1, S. 5-16
  • Roy A. Rappaport: Ritual and Religion in the Making of Humanity. Cambridge University Press, Cambridge 1999, ISBN 0-521-22873-5.

[Bearbeiten] Weblinks

[Bearbeiten] Quellen

  1. Vgl. W. Burkert, Homo necans (1972), S. 31-39.
  2. Vgl. K. Bücher, Arbeit und Rhythmus (1904)
  3. Vgl. H. Plessner, Die Stufen des Organischen und der Mensch (1928)
  4. Gehirn & Geist Nr. 1-2/2005
  5. Günther E. Braun: Ziele in öffentlicher Verwaltung und privatem Betrieb. Vergleich zwischen öffentl. Verwaltung u. privatem Betrieb sowie e. Analyse d. Einsatzbedingungen betriebswirtschaftl. Planungsmethoden in d. öffentl. Verwaltung. Nomos, Baden-Baden 1988, ISBN 3-7890-1438-9.
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