Kontorhausviertel
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Das Kontorhausviertel ist die Bezeichnung für den südöstlichen Bereich der Hamburger Altstadt zwischen der Steinstraße, dem Meßberg, dem Klosterwall und der Brandstwiete. Es ist gekennzeichnet durch die großen Kontorhäuser im Stil des Klinkerexpressionismus des frühen 20. Jahrhunderts. Zentraler Platz ist der Burchardplatz.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Entstehung
Seit dem 17. Jahrhundert war hier eine enge Wohnbebauung als Gängeviertel mit vielen schmalen Gassen, Twieten und Fleeten entstanden. Die durch den Hamburger Brand von 1842 verursachte Wohnungsnot führte zu einer weiteren Verdichtung der Bebauung.
Die Choleraepidemie von 1892 zwang zu einer nachhaltigen Sanierung des Gebietes. Zwar war die unzureichende Klärung des zur Trinkwassergewinnung verwendeten Elbwassers Ursache der Katastrophe, durch die unzulänglichen hygienischen Bedingungen in diesen Wohnquartieren kam es jedoch erst zu den verheerenden Auswirkungen.
Zuvor waren jedoch die weiter südlich in Elbnähe gelegenen Gebiete zu sanieren, um das von der Reichsregierung geforderte Freihafengebiet zu schaffen. Als man um 1900 mit der Neuordnung des Hamburger Eisenbahnwesens begann, hatte man daher - durch den Bau der Speicherstadt - schon Erfahrung mit der Umsiedlung großer Bevölkerungsteile. Der Durchbruch der für den U-Bahnbau benötigten Mönckebergstraße war 1912 vollzogen. Nach dem Bebauungsplan von 1912 und aufgrund des städtebaulichen Wettbewerbs von 1914 war für das Gebiet zwischen Mönckebergstraße und dem Zollkanal eine hafennahe Wohnbebauung vorgesehen.
Fritz Schumacher, seit 1909 Baudirektor und Leiter des Hochbauwesens, setzte sich mit seiner Idee der Citybildung durch und plante das Gebiet als ein Areal von Kontorhäusern, allerdings war beispielsweise beim Bau des Sprinkenhofes ursprünglich von einer teilweisen Wohnnutzung ausgegangen worden.
Fritz Schumachers Überarbeitung des Bebauungsplanes sah bereits große Baumassen vor, die dem Raumbedarf der aufstrebenden Kaufmannsschaft nach dem Zollanschluss Hamburgs Rechnung trugen. Dabei sollte jedes Bauwerk einen individuellen Charakter erhalten.
Die Bewohner des Viertels hatten 1925 noch den Bauverein Alt-Hamburg gegründet, mussten aber letztlich in die neuen Wohnbezirke in der Jarrestadt und der Veddel ausweichen.
[Bearbeiten] Einzelne Bauten
Charakteristisch für die Bausubstanz sind Stahlbetonbauten mit Klinkerfassaden.
Zur Auflockerung der großen Baumassen wurden verschiedene Stilelemente von den Architekten eingesetzt. Typischerweise haben die meisten Häuser kupfergedeckte Dächer. Das oberste Stockwerk, meist sogar die oberen Stockwerke sind jeweils etwas von der Hauptfront zurückgesetzt. Diese Staffelgeschosse öffnen die Straßenschluchten nach oben. Vertikale Gliederungselemente sind meist in Klinker ausgeführt, beispielsweise am Chilehaus und Meßberghof. Der Sprinkenhof hat im Zentralblock eine netzartige Struktur, im übrigen wird eine optische Auflockerung durch keramische Schmuckelemente erzielt.
Die meisten Bauten wurden 1999 unter Denkmalschutz gestellt,
[Bearbeiten] Miramar Haus
Als erster Bau entstand 1921-22 nach dem Entwurf von Max Bach im Bereich Kattrepel, Curienstraße, Schopenstehl für die Handelgesellschaft Miramar das erste große Kontorhaus. Es hat eine abgerundete Ecke, wie sie erst später für das "neue Bauen" typisch wurde. Einzelne Schmuckelemente weisen Merkmale des Klinkerexpressionismus auf. Den Eingangsbreich schmücken Keramiken von Richard Kuöhl.
[Bearbeiten] Chilehaus
Das Chilehaus (53° 32' 53" N, 10° 0' 7" O) mit 36.000 Quadratmeter Nutzfläche wurde von Fritz Höger 1922–1924 errichtet, es gilt als wegweisend für den Klinkerexpressionismus und verfügt europaweit über den spitzesten Fassadenwinkel.
[Bearbeiten] Geschichte
Das Chilehaus ist ein zehnstöckiges Kontorhaus in Hamburg, das beispielgebend für den Klinkerbaustil der 1920er Jahre ist, die von der Backsteingotik und dem Expressionismus inspiriert waren.
Der gewaltige Baukörper überspannt eine Straße, die Fischertwiete. Berühmt wurde das Gebäude durch seine Spitze, die an einen Schiffsbug erinnert und an der die Fassaden der Straßen Pumpen und Niedernstraße spitz zusammenlaufen. Den besten Blick hierauf hat man von Osten. Durch eine starke vertikale Gliederung und die zurückgesetzten oberen Stockwerke, zusammen mit der geschwungenen Fassade an den Pumpen wird trotz der Größe ein Eindruck von Leichtigkeit vermittelt.
Der Bau wurde von Fritz Höger entworfen und 1924 nach zweijähriger Bauzeit für den Reeder Henry B. Sloman fertiggestellt. Dieser hatte sein Vermögen durch seine Handelsbeziehungen mit Chile gemacht (Salpeter-Import) – daher auch der Name Chilehaus. Der Bau grenzt nach Süden an den Meßberg, ein Platz, der als Erweiterung des Gemüse-Großmarktes am Hopfenmarkt genutzt wurde. Die Speicherstadt liegt ebenso wie der Hauptbahnhof in unmittelbarer Nähe. Im Gebäude ließen sich viele kleine Import- und Exportfirmen nieder, die jeweils nur wenige Räume benötigten, um ihrem Gewerbe nachgehen zu können.
Am keramischen Wandschmuck der Fassade und der Treppenhäuser war der Bildhauer Richard Kuöhl maßgeblich beteiligt.
Nach dem großen Brand von 1842 war hier entlang mehrerer Fleete ein Wohngebiet entstanden. Durch den Hamburger Oberbaudirektor Fritz Schumacher wurde das Gebiet neu gegliedert und einige Fleete zugeschüttet, weitere Kontorhäuser entstanden hier ebenfalls als reine Klinkerbauten, so beispielsweise der Sprinkenhof (s. u.) in unmittelbarer Nachbarschaft.
In einem nachgelassenen Aufsatz berichtet Höger von 17 Senatsanträgen zum Bau, unter anderem auch für die Überbauung der öffentlichen Straße Fischertwiete. Seine Entwürfe fanden zunächst beim Bauherrn und der Fassadenkommission wenig Gefallen, da der monumentale Bau 2800 gleiche Fenster aufwies und Langeweile befürchtet wurde. Zur Auflockerung der Dachkonstruktion wurde als neue Lösung mit Staffelgeschossen gearbeitet, die dem Bauherrn als zu neumodisch erschienen.
Der Untergrund war sehr schlecht, und für den Bau wurden bis zu 16 m lange Eisenbetonpfähle, insgesamt mit einer Länge von 18.000 m verbaut. Die Nähe der Elbe machte eine besondere Abdichtung der Keller notwendig, der Heizungsraum wurde als beweglicher Caisson ausgeführt, der bei Springfluten aufschwimmen konnte. Zum 4,8 millionenfach verwandten Bockhorner Klinker schreibt Höger:
- „Erwähnt sei noch, daß ich für die Fronten des Chilehauses ausgerechnet Ausschussklinker wählte, die sonst normalerweise allenfalls für Schweineställe, Fußböden-Pflasterungen gut genug gehalten würden. Mir aber waren diese deformierten Brocken für meinen Riesenbau gerade so gut, nur durch ihre natürliche Knupperigkeit, so wie sie durch höchste Feuersglut wurden, waren sie mir lieb, nur ihnen verdanke ich einen Großteil der Wirkung des Riesenbaus, durch sie erhielt der Bau seine Beschwingtheit und nahm dem Riesen seine Erdenschwere.“
Das Chilehaus wurde zum Hauptwerk seines Architekten. Mitten in der Inflationszeit begonnen, wurde es zum Ausdruck des Aufbauwillens der Hamburger Wirtschaft nach dem ersten Weltkrieg.
Im Vorgriff auf einen Zugang zur Hamburger U-Bahn wurden bereits bei der Planung entsprechende Baumaßnahmen berücksichtigt. Der Anschluss unterblieb jedoch und so ist der Gang heute Bestandteil der Kellergewölbe.
Ende der 1990er Jahre wurde das Gebäude saniert, das heute im Besitz des Immobilienfonds der DIFA (Deutsche Immobilien Fonds AG) ist.
- Weblinks
Commons: Chilehaus – Bilder, Videos und/oder Audiodateien |
[Bearbeiten] Meßberghof
53° 32' 52" N, 10° 0' 10" O Der Meßberghof wurde zeitgleich mit dem Chilehaus von Hans und Oskar Gerson errichtet. Der Meßberghof steht seit 1983 unter Denkmalschutz.
[Bearbeiten] Namensänderung 1938
Zunächst bekam das architektonisch herausragende Gebäude den Namen Ballin-Haus. Unter Albert Ballin war die Hamburg-Americanische Packetfahrt Actien-Gesellschaft (HAPAG) bis 1914 zur weltgrößten Reederei aufgestiegen, doch 1938 war er als Namensträger des Kontorhauses wegen seiner jüdischen Abstammung nicht länger geduldet. Das Kontorhaus wird seither nach der anliegenden Straße Meßberghof genannt. Nach Rückfall des in Erbpacht errichteten Hauses an die Liegenschaft Mitte der 1970er wurde zeitweilig über einen Abriss nachgedacht, erst 1983 wurde es unter Denkmalschutz gestellt.
Der ehemalige Eigentümer, ein Unternehmen der Deutschen Bank, erklärte zwar auf Drängen 1997 seine Absicht, dem Gebäude seinen alten Namen wiederzugeben, doch ist dies bislang (Herbst 2006) nicht geschehen.
[Bearbeiten] Konflikt um Gedenktafel
Zu den zahlreichen Mietern im Meßberghof gehörte seit 1928 auch die Firma Tesch & Stabenow, die das hochgiftige Zyklon B an Konzentrationslager lieferte und deren Inhaber 1946 hingerichtet wurde.
Bereits 1992 plante die Kulturbehörde Hamburg, am Gebäude eine Informationstafel zur Geschichte des Hauses anzubringen, in der die Lieferfirma des Zyklon B deutlich hervorgehoben werden sollte. Diesen Vorschlag zu einer Vergangenheitsbewältigung lehnte der Eigentümer jedoch ab, da "die Informationstafel eine zügige Vermietung voraussichtlich behindern würde ..." Zeitweilig wurde überlegt, eine Informationstafel auf öffentlichem Grund aufzustellen. Der Eigentümer bot daraufhin an, eine Chronik-Tafel im Treppenhaus anzubringen. Erst 1997 wurde nach langem Streit um den Text und mögliche Standorte eine von außen deutlich sichtbare Erinnerungstafel angebracht.
[Bearbeiten] Bauplasik
Enigma-Variationen, acht Figuren von Lothar Fischer, 1996-97 erstellt.
[Bearbeiten] Sprinkenhof
Der Sprinkenhof entstand 1927 bis 1943 in drei Bauabschnitten.
1925 begannen die Gersons zusammen mit Höger die Arbeiten an einem weiteren Monumentalbau im Kontorhausviertel, dem Sprinkenhof, unmittelbar nordöstlich des Chilehauses, nur durch die Burchardstraße getrennt, gelegen. Die zentrale Grundform zur Überbauung der Sprinkentwiete war ein neunstöckiger Kubus. Die Fassade ist von einem rautenförmigen Klinkermuster überzogen und betont damit den Blockcharakter. Regelmäßige Ornamente von Richard Kuöhl mit Symbolen von Handel und Handwerk schmücken die Fassade.
Die Gersons beriefen sich in der Form auf Elemente des Dogenpalastes von Venedig und die Casa de las Conchas in Salamanca. Später kamen am Burchardplatz nach der Konzeption von Fritz Schumacher ein weiterer, leicht abgesetzter Flügel hinzu. Im Osten, am Johanniswall entstand ein weiterer Flügel, der Fritz Höger allein zugeschrieben wird, in dem die Innenbehörde ihren Sitz hat. Dieser Flügel weist an der Ecke Niedernstraße/Johanneswall eine große runde Ecke auf.
Hamburgs damals größter Bürokomplex mit Läden, Wohn- und Lagerräumen umschließt drei Innenhöfe. Den mittleren Hof teilen zwei Straßen, die zu einer Tiefgarage führten. Von 1999 bis 2002 fand ein Umbau mit umfassender Sanierung statt.
Für den Fassadenschmuck sind Klinker und Terrakotten eingesetzt.
[Bearbeiten] Montanhof
An der Niedernstaße/Kattrepel liegt ein weiterer großer Klinkerbau mit dekorativen Elementen des Art Déco. Diese keramischen Formstücke bereichern die Klinkerverkleidung der Fassade.
Es entstand in den Jahren 1924-26 nach Plänen der Architekten Distel & Grubitz für das Unternehmen Dobbertin & Co mit einem typischen Staffelgeschoss.
[Bearbeiten] Hubertushaus
An der Steinstraße / Burchardstraße entstand 1931 nach Entwürfen von Max Bach und Fritz Wischer ein Geschäftshaus mit Elementen eines Hochhauses in der Weiterentwicklung der Formensprache des Kontorhausviertels unter Betonung der Horizontalen mit dem typischen Staffelgeschoss und einem Flachdach.
[Bearbeiten] Bartholomayhaus
Zwischen Altstädter Straße, Steinstraße, Springeltwiete und Johanniswall wurde es 1938-39 durch den Architekten Rudolf Klophaus für Rudolf Bartholomay als letztes Kontorhaus im klassischen Stil mit großen Blendgiebeln in Anlehnung an alt-hanseatische Bürgerhäuser errichtet.
Heute ist es Verwaltungssitz der Mobil Oil.
[Bearbeiten] Wohnhaus Mohlenhof
An der Mohlenhofstraße / Steinstraße / Buchardstraße entstand 1935 nach Plänen des Architekten Rudolf Klophaus ein mehrteiliger Wohnhauskomplex mit Walmdach. Hier wird allerdings die Formensprache des Klinkerexpressionismus verlassen.
[Bearbeiten] Altstädter Hof
Das Gebäude wurde von 1935 bis 1937 erbaut und enthält im Erdgeschoss Läden und Geschäfte, in den Stockwerken darüber 220 Wohnungen. Der Architekt war Rudolf Klophaus. Zahlreiche Sandsteinskulpturen von Richard Kuöhl, über den Hauseingängen angeordnet, stellen typische Hamburger Berufe dar. Leider sind die Statuen ziemlich verwittert, einigen fehlt der Kopf (2006).
[Bearbeiten] Pressehaus
An der Steinstraße, neben dem Domplatz erstreckt sich das Pressehaus, in dem früher mehrere Verlage arbeiteten, heute hat dort noch DIE ZEIT ihre Redaktion. Gebaut wurde es 1938 nach einem Entwurf von Rudolf Klophaus für das Hamburger Tageblatt, einer nationalsozialistisch orientierten Pressegruppe. Das Firmenemblem, eine Hansekogge von Richard Kuöhl findet sich - jetzt ohne Hakenkreuz - an der Curienstraße.
Im Gegensatz zu den übrigen Klinkerbauten, hat es einzelne Elemente aus Muschelkalk, vor allem in den Arkaden Speersort / Steinstraße. Das ursprüngliche Walmdach wurde nach Bombenschäden durch ein Staffelgeschoss ersetzt. Nach dem Krieg hatten hier (u.a.) Der Spiegel und der Stern ihre Redaktionen.
Nach Westen war der klassizistische Bau des alten Johanneums benachbart, der 1838/1840 nach Entwürfen von Carl Ludwig Wimmel (* 1786 - † 1845) errichtet worden war. Diese Nachbarschaft wirkte sich beim Entwurf auf die Formensprache notgedrungen aus und zitieren die rundbogigen Arkaden des ursprünglichen Johanneums, das nach dem Auszug der Schule als Gebäude für die Commerzbibliothek und die spätere Staatsbibliothek dienten.
[Bearbeiten] Altbau
Einige Kontorhäuser im Plangebiet Schumachers entstanden bereits vor der Jahrhundertwende
[Bearbeiten] Schopenstehl 32
Dieses Haus wurde 1885-1888 von Arthur Viol erbaut. Die Fassade eines um 1780 erbauten Doppelhauses mit ihrem Rokoko-Portal und ihrem geschweiften Giebel wurden in den Neubau einbezogen. Dieses Haus ist eines der letzten Zeugnisse für die Hamburger Bürgerhausarchitektur des 17. und 18. Jahrhunderts am ursprünglichen Ort.
[Bearbeiten] Polizeiwache am Klingberg
Die 1906 von Albert Erbe erbaute Polizeiwache am Klingberg wurde vollständig in den Komplex des Chilehauses integriert.
Das Gebäude war als Polizeiwache und als Dienstgebäude der Landherrenschaften errichtet worden. Der Skulpturenschmuck, Portalfiguren mit Früchten, Getreide und Fischen, weist auf diese Bestimmung hin. Die Architektur folgt dem Vorbild Alt-Hamburgischer Bürgerhäuser des Barock.
[Bearbeiten] Neuzeit
In den 1990er Jahren entstanden neue Häuser in der Tradition der Klinkerbauten, wie das Danske Hus und der Neue Dovenhof.
[Bearbeiten] Literatur
- Jürgen Kalthoff / Martin Werner: Die Händler des Zyklon B. Tesch & Stabenow. Eine Firmengeschichte zwischen Hamburg und Auschwitz. VSA-Verlag, Hamburg 1998 ISBN 3-87975-713-5
- Alfred Kamphausen: Der Baumeister Fritz Höger, Verlag K. Wachholtz, Neumünster, 1972
- Mathias Wallner und Heike Werner: Architektur und Geschichte in Deutschland. S. 122-123, München 2006, ISBN 3-9809471-1-4
[Bearbeiten] Weblinks
Commons: Kontorhausviertel – Bilder, Videos und/oder Audiodateien |