Marxistische Soziologie
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die marxistische Soziologie ist eine Form der Soziologie, die ihrem Anspruch nach in der UdSSR und - in Deutschland - in der DDR entwickelt wurde und dort "marxistisch-leninistische Soziologie" genannt wurde (z.B. Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Soziologie, Opladen 1971). In der Bundesrepublik Deutschland entstand in der Folge der Studentenbewegung ab 1968 eine (neo-) marxistische Soziologie, die die Entwicklung der Marxschen Soziologie aufgriff und sich vielfältig entwickelte – Formen dieser Gesellschaftswissenschaft reichten vom direkten Bezug auf die marxistisch-leninistische (o.g. Wörterbuch wurde im Westen verlegt) bis hin zur Entwicklung einer undogmatischen marxistischen Soziologie durch eine Neurezeption der Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels.
Auch in anderen westlichen Ländern – vor allem in Frankreich – kam es zu einer bedeutenden Entfaltung marxistischer Soziologie.
Es kann zum Teil nur von marxistisch orientierter Soziologie gesprochen werden, die u. a. kritisiert, dass die späte Arbeit Engels (u. a. zur "Dialektik der Natur") sich von der marx'schen Dialektik entfernt. Siehe dazu auch die Kritische Theorie (Alfred Schmidt, Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx, Frankfurt 1993, 4. Aufl., ISBN 3-434-46209-0).
[Bearbeiten] Grundlegung
Mit der materialistischen Dialektik hat Marx schon in den frühen 1840er Jahren eine systemische "Selbsterzeugung" der Erde und des Menschen angenommen. Im bipolaren Spannungsfeld von "Natur - Menschwerdung" wird die Geschichte der Menschen von ihnen in der konkreten Praxis gemacht, ist aber von ihnen nicht präzise zu steuern. Der Mensch kann sich aus der Naturwüchsigkeit nur weitgehend befreien, aus dem Primat der Natur wird dann der Primat des Humanismus (aber mehr nicht, und immer nicht-teleologisch und bei Strafe des Untergangs: Sozialismus oder Barbarei; siehe: Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEW Ergänzungsband I). Marx strebte mit seiner "dialektischen Methode" einerseits eine gründliche "positive" empirische Wissenschaft an, die dann andererseits dialektisch als Geschichtsprozeß zu interpretieren sei. Engels' Arbeit über "Die Lage der arbeitenden Klasse in England" war schon 1844 eine klar beobachtende, wenn auch "engagierte" soziologische Studie.
Undogmatische Formen einer marxistischen Soziologie knüpfen an der materialistischen Dialektik und am Marxschen Freiheitsgedanken an und betonen oft die besondere Berücksichtigung der unterdrückten Klassen und Schichten einer Gesellschaft, aber oft auch den "Klassenstandpunkt" als Basis der Wissenschaft (was nicht selten als politische Parteilichkeit missverstanden wurde). Einen Beitrag lieferte die marxistische Soziologie in der Ideologie-Kritik der "bürgerlichen Soziologie", etwa gegenüber Konstruktionen wie Schelskys "nivellierter Mittelstandsgesellschaft", aber auch - methodologisch - gegenüber Popper (2. Methodenstreit in der Soziologie).
Die marxistisch-leninistische Soziologie baut gegenüber einem Konzept der materialistischen Dialektik auf einer Dualität von dialektischem und historischem Materialismus auf, wie ihn Josef Stalin formulierte (Über Dialektischen und Historischen Materialismus (Stalin)). Insbesondere wurde die Dialektik zur Weltanschauung (der kommunistischen Partei), in der Gesellschaft analog zur Natur Bewegungsgesetzen der Materie folgt. Anstelle des Verstehens und Erklärens gesellschaftlicher Prozesse kam es dabei zu deren Zurichtung in Hinsicht auf die Theorie vom gesetzesmäßigen Übergang der bürgerlichen zur sozialistischen Gesellschaft. Aus Wissenschaft wurde - teleologische - Ideologie.
[Bearbeiten] Marxistische gegenüber "bürgerlicher" Soziologie
Die Unterscheidung von "marxistischer" und "bürgerlicher" Soziologie ist seit den 1980er/1990er Jahren ohne besonderen Erkenntnisgewinn, weil in neueren soziologischen Ansätzen beide aufgehoben sind. Jedenfalls erwies sich der Marxismus als gute "Zusatzausbildung" für die gesellschaftliche Analyse, solange sie undogmatisch blieb.
Das hängt auch damit zusammen, dass die Begründer der deutschen Soziologie z. T. einen direkten Bezug zu Marx hatten. Ferdinand Tönnies, der - als junger Mann - Marx in der Londoner Britischen Bibliothek sah, ihn aber nicht anzusprechen wagte, hat mit der Arbeit "Gemeinschaft und Gesellschaft" (gemeinschaftlichen) "Communismus" und (gesellschaftlichen) "Socialismus" als empirische Kulturformen untersucht. Max Weber schien Vielen mit der Studie "Die protestantische Ethik und der 'Geist' des Kapitalismus" Marx zu widerlegen - allerdings dessen Ansatz entgegen, weil Marx im "Sein", das das Bewusstsein präge, das Ideologische als seinsgeprägt sah, (das eben war wieder das Dialektische von "Produktivkräften und Produktionsverhältnissen" oder "Natur - Mensch"). Auch der 1. Methodenstreit in der deutschen Soziologie ist nicht zuletzt unter Bezug auf die Parteilichkeit der Wissenschaft in Hinsicht auf den Marxismus geführt worden.
Siehe auch die Diskussionseite!