Theokratie
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Theokratie (griechisch θεοκρατία, von θεός, theós - Gott und κρατεiν, Krat(e)ía- Herrschaft) ist eine Herrschaftsform, bei der die Staatsgewalt allein religiös legitimiert und von einer (in der Sicht der Anhänger der Staatsreligion) göttlich erwählten Person (gottberufener Prophet, gottbegnadeter König, usw.), einer Priesterschaft (Klerus) oder sakralen Institution (Hierokratie) auf der Grundlage religiöser Prinzipien ausgeübt wird. Ein auf der Theokratie basierender Staat wird auch als Gottesstaat bezeichnet.
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[Bearbeiten] Theokratien in der Geschichte
Theokratischen Konzeptionen begegnet man in vielen alten Kulturen bzw. Religionen (Ägypten, Griechenland, China, Japan) und vor allem im Islam. Auch die Zwölf Stämme Israels bildeten in vorstaatlicher Zeit - ob als Amphiktyonie, ist umstritten - von circa 1250 v. Chr. bis zum Königtum ab Saul rund 1050 v. Chr. nach dem Tanach eine von Gott gelenkte und besonders im Verteidungskrieg einheitliche auftretende Größe. Kennzeichnend für die israelische Theokratie der Richterzeit war das Fehlen von ständigen Verwaltungsorganen und das geringe Maß an Organisation, sowie die Zuweisung von Eigenverantwortung an die Bürger, das insbesondere an der Verbundenheit zu Gott gemessen wurde. Die in dieser Zeit häufigen Einfälle von Nachbarstämmen wurden genau wie die Einsetzung von Richtern als regulierende Maßnahmen Gottes angesehen, die abhängig von dem allgemeinen Grad an Verbundenheit zu Gott ergriffen wurden.
Theokratisch war auch die Regierungspraxis der antiken römischen Kaiser. Nach dem Vorbild Alexanders des Großen ließen sie sich selbst als Götter verehren und forderten offizielle Huldigung. Abgesehen vom öffentlichen Kaiserkult (sacra publica) galt Religion jedoch als Privatangelegenheit (sacra privata). Der polytheistische Götterhimmel der Römer bot sogar Raum für religiöse Vielfalt und Toleranz.
Juden und Christen zogen gleichwohl Zorn auf sich, wenn sie sich beharrlich weigerten den Kaiser als Gott anzuerkennen. Insbesondere Christen wurden daher als politische Gefahr angesehen und grausam verfolgt.
Kaiser Konstantin I. leitet eine fundamentalen Wende ein. Er bricht mit dem antiken Gottkaiser-Kult nimmt die christliche Religion an und wird erster christlicher Kaiser der Geschichte. Theodosius I. erhebt später das Christentum zur Staatsreligion des römischen Reiches. Die einst verfolgte Kirche wird nun mit politischen Privilegien ausgestattet, welche die umfassende Ausbreitung des Christentums ermöglichen.
Zu einer Fehldeutung kann der Titel der Schrift De civitate Dei (wörtlich: "Von der Bürgergemeinschaft Gottes") des Kirchenvaters Augustinus verleiten, welche oft unzutreffend mit dem Begriff "Gottesstaat" übersetzt wird. Dieser epochemachende Text behandelt jedoch keine theokratische Verschmelzung von Religion und Politik, sondern stellt vielmehr die unsichtbare, aber umfassende Herrschaft Gottes über die gesamte Weltgeschichte heraus. Augustinus unterscheidet dabei grundsätzlich zwischen der "Gemeinschaft Gottes" (civitas dei) und der rein "irdisch-orientierten Gemeinschaft" (civitas terrena). Damit liefert Augustinus bereits die theoretische Grundlage für die spätere Zweiteilung von geistlicher und weltlicher Macht, die im christlichen Mittelalter durch die gleichsam rivalisierende Verbindung zwischen Papst und Kaiser - in den modernen politischen Systemen seit der Aufklärung als organisatorische Trennung von Kirche und Staat zum Ausdruck kommt.
[Bearbeiten] Theokratien heute
Ein Beispiel für einen Gottesstaat in der heutigen Zeit ist die 1979 gegründete Islamische Republik Iran, die den Anspruch erhebt, eine Theokratie zu sein.
Auch der Vatikanstaat ist nach katholischem Selbstverständnis eine Theokratie. Der Papst amtiert dabei als Stellvertreter Christi auf Erden und trägt ebenso wie die römischen Kaiser den Titel Pontifex Maximus. Als gewähltes Oberhaupt der Katholischen Kirche ist er zugleich uneingeschränkt regierendes Staatsoberhaupt. Der Vatikanstaat ist damit die letzte absolute Monarchie Europas. Als Angleichung an die Rechtspraxis moderner Verfassungsstaaten verfügt der Vatikan seit 1929 über ein Grundgesetz, welches im Jahre 2000 erneuert wurde. [1]
Christen erwarten für die Zeit nach der Wiederkunft Christi beim Jüngsten Gericht eine "Königsherrschaft Gottes" (basileia tou theou) unter der unmittelbaren "Macht und Herrlichkeit" des Herrn Jesus Christus, welche seit der Frühzeit des Christentums mit chiliastischen und millenaristischen Vorstellungen verbunden ist.
Die Zeugen Jehovas erwarten eine konkrete, diesseitige Theokratie auf der "gereinigten Erde", während die traditionellen Christen das Reich Gottes als ein jenseitiges Himmelreich in der Ewigkeit des allmächtigen Herrgottes - außerhalb der Raum-Zeit-Dimension - begreifen.
Der Theokratismus dagegen möchte an der Verwirklichung dieses Reiches Gottes "auf Erden" mitwirken und die Theokratie als politisches Gestaltungsbild durchsetzen und wird dadurch zur politischen Religion. Die absolutistische Vorstellung des Gottesgnadentums kommt einer theokratischen Vorstellung sehr nahe.
Westliche Staaten strebten seit der Aufklärung eine Trennung zwischen Staat und Religion an. Manche versuchen sogar explizit einen Laizismus zu vertreten, was aber nicht selten fundamentalistische Gegenreaktionen ausgelöst hat.
[Bearbeiten] Siehe auch
- Amphiktyonie
- Zeitalter der Aufklärung
- Säkularisierung
- Islamische Revolution
- Dominionisten
- Klerikalismus
[Bearbeiten] Literatur
- Ulrich Enderwitz: Reichtum und Religion. Zweites Buch 2 (Der religiöse Kult). Freiburg: Ça ira Verlag, 1991. - ISBN 3-92462-727-4 (online)
- Kevin Phillips: American Theocracy. The Peril and Politics of Radical Religion, Oil, and Borrowed Money in the 21st Century. Viking Books, März 2006. - ISBN 0-67003-486-X (Rezension: [2]; auch als Audiobuch erhältlich)