Österreichischer Turnerbund
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Der Österreichischer Turnerbund (ÖTB) versteht sich als Dachverband jener österreichischen Turnvereine, „welche die Satzungen und Leitsätze des ÖTB anerkennen und auf den zeitlosen Grundlagen des Turnens nach Friedrich Ludwig Jahn aufbauen“.
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[Bearbeiten] Geschichte
[Bearbeiten] Deutschland
Historisch begründet wurde das Turnen 1807 in Deutschland vom „Turnvater Jahn“, Friedrich Ludwig Jahn. Turnen war für ihn vor allem Leibeserziehung, das von Jahn und seinen Schülern ab 1811 auch als patriotische Erziehung zur Vorbereitung auf den Befreiungskrieg gelehrt und gelebt wurde. Das Jahnsche Turnen gilt bis heute als Grundlage für verschiedenste Bestrebungen zur Körperertüchtigung, nicht aber seine politischen Ansichten, die hoffnungslos veraltet sind.
[Bearbeiten] Österreich
Die ersten Turnvereine in Österreich entstanden 1845 (Salzburg, Bregenz, Dornbirn, Innsbruck) und 1848 (Ried im Innkreis, Universitätsturnanstalt Wien). Viele dieser Vereine wurden aber im Zug des Absolutionismus zwischenzeitlich immer wieder verboten.
Der Erlass des Oktoberdiploms im Jahr 1860 brachte mehr bürgerliche Freiheiten für Österreich, nun waren Vereinsgründungen erlaubt. Im Juli 1862 bestanden in Österreich 25, im Oktober 1863 schon 76 und im Jahr 1869 bereits 104 Turnvereine.
Seit 1868 schlossen sich diese Vereine zum Kreisverband der Turnvereine Deutschösterreichs zusammen, der sich noch 1868 als 15. Turnkreis der Deutschen Turnerschaft angeschlossen hat.
1889 kam es aus politischen Gründen zur Spaltung, es gründete sich zusätzlich der Deutsche Turnerbund 1889 als Vorgänger des heutigen Turnerbundes. 1893 trennte sich der Deutsche Arbeiter Turn- und Sportbund (heute ASKÖ), der 1913 eine Teilorganisation der Sozialdemokratischen Partei (heute SPÖ) wurde. Eine weitere Spaltung gab es 1911, der deutschvölkische Verband alldeutscher Turnvereine Arndt trennte sich vom Deutschen Turnerbund 1889. 1911 gründete sich dann die Christlich Deutsche Turnerschaft (heute Sportunion). Alle diese Abspaltungen hatten politische und weltanschauliche Gründe.
[Bearbeiten] nach 1919
Nach dem Ersten Weltkrieg schlossen sich 1919 einige dieser Verbände wieder zusammen zum „Deutschen Turnerbund 1919“. 1932 gehörten diesem Turnerbund 825 Vereine an.
[Bearbeiten] nach 1938
Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 wurde der „Deutsche Turnerbund 1919“ bereits im Mai 1938 in den Deutschen Reichsbund für Leibesübungen eingegliedert, womit seine Eigenständigkeit erlosch. Die Jugendabteilungen wurden den Vereinen verboten, Turnen im Jahnschen Sinn wurde nicht mehr ausgeübt, nur die Technik der Leibesübungen wurde vermittelt. Laut Angaben des ÖTB hat keiner aus der Führung des DTB eine Parteikarriere in der NSDAP gemacht.
[Bearbeiten] nach 1945
Nach dem Kriegsende, im Jahr 1945, wurden die Vereine des ehemaligen Deutschen Turnerbundes 1919 verboten, aufgelöst und ihr Vermögen beschlagnahmt, unter der unrichtigen Annahme, diese Vereine wären eine Teilorganisation der NSDAP. 1947 stellten Innenministerium und Verwaltungsgerichtshof die Unrichtigkeit dieser Annahme fest.
Der so genannte „Siebenerausschuss“ begann folgerichtig 1948 damit, sich um jene Immobilien (Turnhallen und -plätze) zu bemühen, die mit Ende des Krieges konfisziert worden waren.
[Bearbeiten] Österreichischer Turnerbund
Nachdem seit 1949 bereits zahlreiche Turnvereine wieder neu gegründet worden waren, entwarf Hermann Seidel die Satzungen für einen Dachverband, die am 8. Mai 1952 genehmigt wurden. Am 6. Juli 1952 fand im Pollheimer Schlössl in Wels die Gründungsversammlung statt. Sitz des ab nun „Österreichischer Turnerbund“ (ÖTB) genannten Verbandes ist Linz.
Nach eigenen Angaben hatte der ÖTB im Jahr 1994 228 Vereine mit etwa 57.000 Mitgliedern.
[Bearbeiten] Ziele des ÖTB
Zweck des Turnerbundes ist nach den Satzungen „die Erhaltung, Hebung und Förderung der Volksgesundheit durch das von Friedrich Ludwig Jahn begründete Turnen“. Jahnsches Turnen will den Menschen an Körper, Geist und Seele bilden.
Ziele sind Leibesübungen auf breitester Grundlage bis zur gesundheitlich vertretbaren Spitzenleistung, darüber hinaus die Förderung musischer Betätigungen und heimischen Brauchtums. Dabei sollen möglichst alle Menschen (begabte und weniger talentierte) eingebunden werden. Der einzelne Mensch soll sich nicht einzelnen Sparten widmen, sondern sich in allen Leibesübungsarten heranbilden, soll Geräteturnen, Leichtathletik betreiben, schwimmen, wandern und anderes.
Im Gegensatz zu den beiden anderen in Österreich bestehenden Dachverbänden UNION und ASKÖ wird im ÖTB das Turnen um Geld- und Wertpreise abgelehnt. Als Preis in sportlichen Wettkämpfen werden ausschließlich Eichenkränze und Eichenbrüche verteilt. Auch die Funktionäre und die Vorturnerschaft arbeiten freiwillig und unentgeltlich. Abgelehnt wird auch der direkte Eingriff von Sponsoren auf die Vereine, Aufschriften von Sponsorfirmen etwa auf der Turnkleidung sind untersagt.
Gemäß den Satzungen tritt der ÖTB für die Grund- und Freiheitsrechte der Menschen, sowie für eine demokratische Verfassung und die Freiheit, Unabhängigkeit und Unteilbarkeit der Republik Österreich ein. Parteipolitische Bestrebungen sind innerhalb des ÖTB satzungsgemäß ausgeschlossen. Die Verbandstätigkeit erfolgt frei von Parteipolitik und unabhängig von Glaubensbekenntnissen. Allerdings haben eine Reihe von Politikern der FPÖ auch Führungspositionen im ÖTB inne, aber auch einige Politiker anderer Parteien sind Mitglieder und Funktionäre.
Sinnbild für den ÖTB sind die 1846 erstmalig verwendeten, in Kreuzform angeordneten 4 F, sie stehen für den Sinnspruch „frisch, fromm, fröhlich, frei“. Turnergruß ist seit 1817 „Gut Heil“.
[Bearbeiten] Kritik
Nach Aussage des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes ist „der ÖTB nach seinem Selbstverständnis keine Sportorganisation, sondern reklamiert einen umfassenden ‚Erziehungs- und Bildungsanspruch eines nationalbewussten völkischen Vereines‘ für sich, wobei er sich auf den Turnvater Friedrich Ludwig Jahn und dessen chauvinistisch-deutschnationales antiklerikales und antisemitisches Gedankengut beruft.“
Weiters wird der ÖTB als „Vorfeldorganisation der FPÖ“ angesehen, da zahlreiche FPÖ Politiker gleichzeitig zu ihrer politischen Tätigkeit Führungspositionen im ÖTB einnehmen.
Der Politikwissenschafter Univ.-Prof. Dr. Anton Pelinka (Universität Innsbruck): „Die verschiedenen Aktivitäten des ÖTB überschreiten vielfältig die Grenze zum Rechtsextremismus.“
Zu den frühen Mitgliedern des neu gegründeten Turnerbundes gehörte auch Joseph Hieß, der bereits 1923 der österreichischen NSDAP beigetreten war und in der Partei Karriere als Propagandaredner und ab 1940 „Gaugeschäftsführer“ des „Grenzlandamtes“ gemacht hatte. Nachdem er aus dem Lager in Glasenbach, in dem die Alliierten Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher inhaftierten, freigelassen worden war, wurde er „Bundesdietwart“ des ÖTB. Er war auch Gründer des Vereins „Dichterstein Offenhausen“, der 1999 wegen NS-Wiederbetätigung von den österreichischen Bundesbehörden aufgelöst wurde.
1980 endet ein Prozess, der den Inhalt der Bundesturnzeitung betraf. Das Landesgericht für Strafsachen in Wien bestätigte die der Turnzeitung vorgeworfene „neofaschistische“ und „antisemitische“ Schreibweise, sowie die „geradezu penetrante Propaganda im Sinne des Nationalsozialismus“ in „fast wörtlichem Gleichklang mit Goebbels“ betreibe. In der Folge trennte sich der ÖTB von seinem Schriftleiter.
Der ÖTB betont sich nicht auf das „seit langem überholte Gedankengut des Turnvaters Jahn“ zu berufen, sondern ausschließlich auf dessen „Jahnsches Turnen“. Dass Nationalsozialisten nach 1945 auch im ÖTB Unterschlupf fanden, wird mit dem Verweis darauf relativiert, dass das auch in anderen Organisationen wie beispielsweise dem Bund Sozialistischer Akademiker oder der Sozialdemokratischen Partei Österreichs der Fall gewesen ist. Die Haltung und Politik des ÖTB seien davon aber nicht berührt.
[Bearbeiten] Weblinks
- Österreichischer Turnerbund
- Informationen über den ÖTB beim Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstand („Turnerbund“ in die Suchmaske eingeben)