Bäckerjungensage
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Die Bäckerjungensage ist das Motiv mehrerer Gedichte seit dem 19. Jahrhundert. Der Stoff stammt keineswegs aus dem Volksmund. Er hat vielmehr einen literarischen Hintergrund. Karl Simrock veröffentlichte die Erzählung 1869 in seinen Rheinsagen. Bereits 1855 hatte der Andernacher Wilhelm Reuter ein Gedicht mit dem gleichen Sujet veröffentlicht. Noch interessanter wird die Geschichte, wenn man liest, was der Koblenzer Friedrich Wilhelm Carové 1816 den Brüdern Grimm schickte. Bei ihm sind die Gestalten im Rheintor keine Bäckerjungen sondern Bierbrauer, die im Schwedenkrieg die Stadt dadurch gerettet haben sollen, dass sie heißes Wasser auf die Angreifer schütteten. Carové war übrigens von Februar bis August 1816 in Andernach Einnehmer der Rheinschifffahrtsgebühren. Er saß also schon an der Quelle.
Bei den Steinfiguren im Rheintor handelt es sich jedoch weder um Bäckerjungen noch um Bierbrauer. Vielmehr stehen hier zwei Kriegerfiguren aus der Zeit der Frühromanik.
[Bearbeiten] Historischer Hintergrund
Die Geschichte vermischt zwei historische Ereignisse miteinander. 1365 hatte der Erzbischof von Köln den einträglichen Zoll von Andernach nach Linz verlegt. Ursache dazu war die zunehmende Gegnerschaft zwischen Stadt und Bischof. Als die Andernacher in der Folge die bischöfliche Burg stürmten und zerstörten, wurde die Stadt 1367 von den Truppen des Bischofs belagert und schließlich auch erobert. Im Burgundischen Krieg (15. Jahrhundert) war Andernach dann wieder auf der Seite des Erzbischofs und unterstützte diesen und den Kaiser gegen Karl den Kühnen mit 150 Büchsenschützen. Diese hatten die Aufgabe eine Erdbefestigung gegenüber der Stadt Linz zu verteidigen, die sich auf die Seite Karls des Kühnen geschlagen hatte. Als burgundische Truppen am 16. Februar 1475 die Erdbefestigung nach heftiger Gegenwehr eroberten, wurden fast alle Andernacher Schützen niedergemacht. Aus Dank verlegte der Kaiser im gleichen Jahr den Zoll zurück nach Andernach und stiftete einen kaiserlichen Altar im Dom. Soweit erklärt sich der Gegensatz zwischen Andernach und Linz.
Das zweite in die Sage eingewoben historische Ereignis war der Überfall Oliviers van den Tempel, auf die Stadt während des Kölner Krieg (1583-88), auch truchsessischer Krieg genannt, bei dem die Kornpforte (Rheintor) teilweise zerstört wurde. De Tempel war mit Truppen aus den Niederlanden an den Rhein gekommen, um den südlichen Teil des Erzbistums im Auftrag des nach den Niederlanden geflohenen Gebhard I. von Waldburg gegen seinen Nachfolger Ernst von Bayern zu bekämpfen. Der Überfall scheiterte am Widerstand der Andernacher Bürger.
Die Bäckerjungen von Andernach haben auch Namen, "Fränzje" und "Döres". Nach der Sage waren sie wach - im Gegensatz zu den übrigen Andernachern, die abends gerne feierten und lange ausschliefen, weswegen die Andernacher "Siebenschläfer" (uf Annenache Platt: Annenache Siwweschlööwe) genannt wurden. So konnten die beiden den Angriff vereiteln.
[Bearbeiten] Simrocks Bäckerjungen
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- Die Andernacher schlafen lange;
- Im Schlafe schlägt man keinen tot;
- Doch vor den Linzern weicht ihr bange
- Zur Seite, weil euch Todschlag droht.
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- Einst hatte zwischen Andernachern
- Und Linzern lange Krieg getobt;
- Ihr wißt, daß mit den Widersachern
- Noch heut kein Mädchen sich verlobt.
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- "Gesegnen wirs den Siebenschläfern!"
- Hieß es zu Linz beim Morgenschein.
- "Wohlauf, so soll den faulen Schläfern
- Das letzte Brot gebacken sein."
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- Die Rechnung ohne Wirt zu machen
- Das widerrät ein altes Wort.
- Denn wenn auch alles schläft, so wachen
- Die Bäcker doch am faulsten Ort.
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- "Den Bäckern dürfen wir vertrauen;
- Sie stehn, das Brot zu backen, auf;
- Wenn sie den Feind von fern erschauen,
- So wecken sie uns in den Kauf."
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- Hierbei blieb eins nur unerwogen;
- Daß Bäcker auch und Bäckerskind
- Nicht aus der Ferne hergezogen,
- Nein, selber Siebenschläfer sind.
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- Wenn sie das Brot gebacken haben,
- So liegen sie davor gestreckt,
- Am Morgenschlummer sich zu laben,
- Wenn schon der Feind die Zähne bleckt.
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- Den Linzern wär der Streich gelungen,
- Sie äßen Andernacher Brot,
- Wenn nicht zwei fremde Bäckerjungen
- Den Meistern halfen aus der Not.
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- Sie waren auf den Turm gelaufen
- Und standen, frischen Honigs satt;
- Da sahen sie den Linzer Haufen,
- Der überrumpeln will die Stadt.
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- Doch als sie jetzt ans Stadtthor rücken,
- Was war der Bäckerknaben Gruß?
- Die Bienenkörb in tausend Stücken
- Schleudern sie ihnen vor den Fuß.
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- Da stechen ungezählte Summer,
- Und hundert töten einen Mann;
- Gewiß, da zog die beste Nummer,
- Wer noch mit heiler Haut entrann.
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- Die Jungen zerren an den Glocken,
- Auf stehn die Andernacher Herrn;
- Sie finden in die Milch zu brocken,
- Doch keinen Feind mehr nah und fern.
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- "Wir hatten trefflich uns gebettet;
- Ja, solche Wacht empfahl Vernunft;
- Und hat kein Bäcker uns gerettet,
- So thats die junge Bäckerzunft."
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- Kommt ihr ins Thor, ihr seht inwendig
- Noch heut die Bäckerjungen stehn.
- Und halten sie die Wacht beständig,
- Kein Linzer läßt sich leicht mehr sehn.
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Quelle: Karl Simrock: Rheinsagen - aus dem Munde des Volkes und deutscher Dichter. Zehnte Auflage. Eduard Weber's Verlag (Julius Flittner), Bonn 1891