Bauernbefreiung
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Die Bauernbefreiung bezeichnet die (oftmals allmähliche) Auflösung der persönlichen Verpflichtungen von Bauern gegenüber ihren Grundherren (Leibeigenschaft) im 18. und 19. Jahrhundert. Der Begriff Bauernbefreiung wurde erst 1887 von Georg Friedrich Knapp ("Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Teilen Preußens") als liberale Kritik an der Politik der preußischen Regierung geprägt.
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[Bearbeiten] Situation vom späten Mittelalter bis Anfang des 19. Jahrhunderts
Im Mittelalter und der frühen Neuzeit bestand der überwiegende Teil der europäischen Bevölkerung aus Bauern. Die Bauern waren aber nicht Eigentümer des von ihnen bestellten Landes, sondern hatten meist nur das Recht auf Nutzung durch Dienste von einem "Grundherrn" erworben, die in den einzelnen Regionen Deutschlands sehr unterschiedlich ausgestaltet waren. Für die Bauernbefreiung wurden in der späten Neuzeit diese Dienste und Zwänge wichtig, genannt "Frondienst": Diese waren gegliedert in "Handdienste" (Ernte- und Drescharbeiten, Jagdpfrunden[1]) und "Spanndienste" (Ackerbestellung und Baufuhren), an deren Ertrag der Bauer nicht beteiligt wurde; außerdem unterlagen die Bauern dem Schollenzwang. Das Land war meist Eigentum eines Grundherrn, wobei es auch das geteilte Eigentum "Emphyteuse" (aus dem römischen Recht) gab, das zwischen dem Obereigentum des Grundherrn und dem Untereigentum des Bauern unterschied. Die Bauern waren oft, aber nicht grundsäzlich, persönlich unfrei, sie befanden sich im Zustand der "Eigenbehörigkeit"; ob von Leibeigenschaft im engeren Sinn gesprochen werden kann, ist umstritten. Die Bauern (gleich, ob eigenbehörig oder nicht) bewirtschafteten Höfe, die ihren Grundherren gehörten, oder diesen als Lehen zur Verfügung standen. Die Bauern mussten Grundabgaben entrichten und u.a. Frondienste (oft unterteilt in Hand- und Spanndienste) leisten. Eine weitere wichtige Abgabe war der Zehnt, wobei der Zehntherr nicht nur die Kirche, sondern auch ein Adeliger, eine Stadt oder der Landesherr sein konnte.
Kennzeichnend war die großen regionalen Unterschiede, die nicht in einem einfachen Ost-West-Gegensatz zu fassen sind. Zwar war die Gutsherrschaft als intensive Form der Grundherrschaft vorrangig in den östlichen Gebieten vertreten, jedoch gab es hier auch Gebiete mit Grundherrschaft. Andererseits mussten die Bauern in einigen nordwestdeutschen Gebieten auch hohe Dienstleistungen erbringen, während in anderen Gebieten des westlichen Deutschlands die Rentengrundherrschaft vorherrschte, in der Dienstleistungen der Bauern nur in geringem Umfang verlangt wurden.
[Bearbeiten] 18. Jahrhundert
Aus England war die Bauernbefreiung schon die ganze Neuzeit bekannt, wo den Bauern die persönliche Freiheit schon Ende des 15. Jahrhunderts verliehen worden war. Auf dem Kontinent begann die Überlegung, die Bauern von herrschaftlichen Verpflichtungen zu lösen, aber erst in der Aufklärung.
In Deutschland hatte es auch im 18. Jahrhundert erste Reformen gegeben (1781 Aufhebung der Leibeigenschaft in Österreich (noch offiziell, aber nicht faktisch im HRR), Aufhebung der Leibeigenschaft in Baden (Umwandlung der Frondienste in Geldzahlungen unter Hans Graf zu Rantzau), aber eine grundlegende Reform fand nicht statt, und mit dem Ende der Leibeigenschaft schwanden nicht gleich die bäuerlichen Lasten.
Einen entscheidenden Anstoß zur Bauernbefreiung gab die Französische Revolution, in deren Folge die feudalen Abhängigkeiten aufgehoben wurden. Die französische Nationalversammlung hatte bereits im August 1789 alle Fronen, Zehnten und sonstigen Feudalrechte, insoweit diese keine andere rechtliche Grundlage als gewaltsame Einführung hatten oder sonst mit dem Gemeinwohl unverträglich waren, ohne Entschädigung aufgehoben.
[Bearbeiten] 19. Jahrhundert
In Preußen wurde 1799 die Leibeigenschaft der Domänenbauern im Rahmen der preußischen Agrarverfassung aufgehoben. Zunächst gab es keine Reformanstrengungen bei den Privatbauern. Einen entscheidenden Schub gab es erst 1807 im Rahmen der Preußischen Reformen unter vom Stein und Hardenberg. Diese Stein- und Hardenbergschen Reformen waren unmittelbare Folge der Napoleonischen Kriege und der militärischen Niederlage Preußens gegen die französische "Revolutionsarmee".
- das Oktoberedikt vom 9. Oktober 1807 hob die Erbuntertänigkeit für Bauern auf.
- das Regulierungsedikt vom 14. September 1811 sollte den Bauern das Eigentum an den von ihnen bewirtschafteten Höfen übertragen. Sie mussten sich von bisherigen Abgaben und Frondiensten durch eine Zahlung an die Gutsherrn und die königlichen Domainen-Ämter freikaufen. Dies geschah über Jahrzehnte durch die neue "General-Kommissionen zur Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse", die in Zusammenarbeit mit den Regierungen die Eigentumsverleihung (Ablösung, Austhuung) vornahm (abgeschlossen um 1855).
- die Deklaration zum Regulierungsedikt (1816) regelte die Entschädigungen für die Gutsbesitzer.
Die Reformen von 1807 bis 1816 betrafen nur die Bauern, die in einem gutsherrlichen Verhältnis standen und besonders hohe Dienste zu leisten hatten. Nicht betroffen waren zunächst die mit einem besseren Besitzrecht ausgestatteten grundherrlichen Bauern. Außerdem wurde der Kreis der Bauern, die eine vollständige Aufhebung des Abhängigkeitsverhältnisses erreichen konnte, erheblich verkleinert. Durch hohe Landabtretungen wurden die Bauern zusätzlich belastet. Diese Reformen galten zudem nur für das Preußen im Gebietsstand von 1807 nach dem Frieden von Tilsit.
- 1850 Ablösung aller Servituten (Dienstbarkeiten) auf Grundstücken ohne Entschädigung der Grundherrn. Ablösung, Austhuung, Regulierung des Grundbesitzes im wesentlichen abgeschlossen für erbliche Pächter, Gärtner usw. (Ablösungs-Gesetz vom 2. März 1850). Amortisationszahlungen dauerten oft bis zum Ende des 19. Jahrhundert und wurden durch neue Rentenbanken vorfinanziert.
Die Bauernbefreiung in Preußen war 1816 noch nicht abgeschlossen. Die grundherrlichen Bauern konnten erst 1821 eine Geld-Ablösung beantragen; einen Abschluss erfuhren die Reformen erst nach 1848/49 mit dem Gesetz vom 2. März 1850.
Neben der Abschaffung der Erbuntertänigkeit und der Leibeigenschaft zählten dazu auch die Ablösung des Zehnt und weiterer Abgaben und Dienstleistungen, wofür den Grundherren hohe Entschädigungszahlungen zustanden. Da es in der Regel keine Stützungskredite von staatlicher Seite für die Bauern gab, blieben viele Höfe noch lange Zeit ihrem Grundherren verpflichtet oder waren über eine lange Zeit durch hohe Schulden belastet.
Über die Folgen der preußischen Bauernbefreiung gab es eine intensive Forschungsdebatte. Die ursprüngliche Annahme, durch die Landabtretungen wären die Bauernbetriebe erheblich zurückgegangen, ließ sich allerdings nicht bestätigen.
In den deutschen Staaten westlich der Elbe, die unter direktem oder indirektem französischen Einfluss standen, fanden ebenfalls Reformen statt, die eine Befreiung von feudalen Lasten ermöglichten, allerdings nur gegen finanzielle Entschädigung. Teilweise wurden diese Reformen nach dem Ende der französischen Herrschaft wieder zurückgenommen. Eine zweite Reformwelle setzte nach 1830 (Julirevolution) ein. Sie führte zu sogenannten Ablösungsgesetzen, die genau die Entschädigungsleistungen der Bauern an ihre Feudalherren regelten. In den südwestdeutschen Staaten verhinderten die Standesherren eine vollständige Umsetzung dieser Reformen, so dass dort erst die Märzrevolution von 1848 zu einem Durchbruch bei der Aufhebung bäuerlicher Abhängigkeit führte.
Seit den späten 1830er Jahren ermöglichten Ablösungstilgungskassen den Bauern eine finanziell günstige Ablösung, die aber immer noch auf Jahrzehnte höchst belastend blieb. Die Deutsche Inflation 1914 bis 1923 erleichterte den letzten, sich noch ablösenden Bauern die Tilgung ihrer Schulden enorm, und durch die Revolution 1918/1919 hörten auch die letzten halbfeudalen Strukturen auf zu bestehen.
[Bearbeiten] Literatur
- Christof Dipper: Die Bauernbefreiung in Deutschland. 1790-1850. Kohlhammer, Stuttgart 1980, ISBN 3-17-005233-3.
- Christof Dipper: Landwirtschaft im Wandel. Neue Perspektiven der preußisch-deutschen Agrargeschichte im 19. Jahrhundert. In: Neue politische Literatur, Bd. 38 (1993), S. 29-42.
- Hartmut Harnisch: Kapitalistische Agrarreform und industrielle Revolution. Agrarhistorische Untersuchung über das ostelbische Preußen zwischen Spätfeudalismus und bürgerlich-demokratische Revolution von 1848/49 unter besonderer Berücksichtigung der Provinz Brandenburg ("Veröffentlichungen des Staatsarchivs Potsdam"; 19). Böhlau, Weimar 1984.
- Wolfgang von Hippel: Die Bauernbefreiung im Königreich Württemberg ("Forschungen zur deutschen Sozialgeschichte"). Verlag Boldt, Boppard/Rhein 1977, ISBN 3-7646-1672-5.
- Darstellungen
- Quellen
- Georg F. Knapp: Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Theilen Preussens. Duncker & Humblot, München 1927
- Überblick der Entwicklung
- die Regulirung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse von 1406 bis 1857 nach den Acten