Neuzeit
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Die Neuzeit folgt auf das europäische Mittelalter und dauert bis heute an. Die Geschichtswissenschaft ist über den genauen Beginn uneins. Meist nennt sie entweder die osmanische Eroberung Konstantinopels im Jahr 1453 oder die Entdeckung Amerikas 1492, manchmal geben – besonders deutsche - Historiker auch Luthers Reformation von 1517 als Anfang des historischen Zeitraums an. Weitere damit verbundene Zäsuren sind die Renaissance, der Humanismus und die Entwicklung des Buchdrucks in Europa mit beweglichen Schriftzeichenstempeln.
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[Bearbeiten] Periodisierung
[Bearbeiten] Beginn
Schon Philipp Melanchthon vertrat die Datierung 1453: der Fall von Konstantinopel als Beginn der Neuzeit führte zur Flucht von Gelehrten nach Italien und dort zum Aufblühen des Humanismus. Dessen Verbreitung förderte die Erfindung der Buchdruckerkunst um 1450 wesentlich und gab der kulturgeschichtlichen Epoche der Renaissance weitere Impulse. Manche neuere Historiker-Schulen kehren heute wieder zu dieser Auffassung zurück.
Ideengeschichtlich bestimmten historisch arbeitende Philosophen wie Wilhelm Kamlah und Jürgen Mittelstraß den Beginn der Neuzeit sehr viel später auf die Zeit um 1600. Ihr Ausgangspunkt ist die bis dahin etablierte Ausbildung der neuzeitlichen Wissenschaft im Sinne der modernen, prototypisch in der Physik ausgebildeten wissenschaftlichen Forschung als methodisch durchgeklärte Verbindung von mathematischer Theorie und technischer Empirie (Kamlah), die in der oberitalienischen Werkstättentradition entwickelt und Grundlage des modernen Szientismus wurde.
[Bearbeiten] Unterteilung
Die Neuzeit ihrerseits unterteilt die Geschichtswissenschaft wiederum begrifflich in:
- die Frühe Neuzeit von der "Entdeckung Amerikas" bis zur Amerikanischen Revolution 1776 bzw. der Französischen Revolution 1789 und
- die Moderne, auch "Späte Neuzeit" oder "Neueste Zeit", für die Zeit danach.
Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs bzw. seit der russischen Oktoberrevolution spricht man bis dato (noch) von der Zeitgeschichte, die in der historischen Betrachtung natürlich weiterhin Teil der Epoche der Neuzeit ist.
[Bearbeiten] Bedeutung
Eine wesentliche Rolle spielte die Entdeckung des Seewegs nach Indien und Ostasien. Damit wurden wesentliche Waren- und Finanzströme auf neue Handelswege umgeleitet, der Aufschwung von Lissabon und Antwerpen im 16. Jahrhundert als Welthandelsplätze begründete und die Voraussetzungen geschaffen, dass asiatische Waren (nicht nur Gewürze) den Europäern nun auch ohne Zwischenhändler, d.h. auf direktem Wege zugänglich wurden.
Die Ablösung des geozentrischen (Ptolemäus) durch das heliozentrische Weltbild (Nikolaus Kopernikus) und die mit der Erstürmung Konstantinopels durch das Osmanische Reich verbundene Flucht vieler griechischer Gelehrter in den Westen bildeten weitere Markierungspunkte auf unterschiedlichen Ebenen, die den Paradigmenwechsel einer Zeitenwende begründen.
Somit werden der Beginn des überseeischen Kolonialismus (und die beginnende Vorherrschaft Westeuropas) als Übergang zur neuen Zeit angesehen. Gerade die Revolutionierung des geographisch-astronomischen Weltbildes läutete das Ende jenes ideologischen Monopols ein, das die Kirche im Mittelalter innegehabt hatte. Das Deutungsmonopol ging von der Kirche schrittweise zu den Naturwissenschaften über. Die wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen wiederum (Krise des Feudalsystems) erlaubten den Beginn der Reformation, die ebenfalls die beiden Epochen voneinander abgrenzt.
[Bearbeiten] Soziologie
Die Soziologie führt die Debatte um eine Analyse dieser Prozesse meist mit dem Begriff der "Moderne", auch "reflexive Moderne" usw. (statt "Neuzeit"), mit oft changierender Bedeutung (selbst z.B. im Werk Max Webers).
Ferdinand Tönnies hingegen benutzte "Neuzeit" genau im Sinne seines theoretischen Werks Gemeinschaft und Gesellschaft als exakten Gegenbegriff zum "Mittelalter": In dem seien die Menschen geneigt gewesen, alle sozialen Kollektive als "Gemeinschaften" zu verstehen, ganz anders als in der Neuzeit, wo sie diese sämtlich eher als "Gesellschaften" wahrnähmen. Im Mittelalter sei also ein großer Fernhandels- und Bankkonzern wie der Templerorden eher als religiöse "Gemeinschaft" aufgefasst worden, in der Neuzeit sogar die Ehe als rein "gesellschaftliches" Geschöpf eines Vertrages.
[Bearbeiten] Literatur
- Ferdinand Tönnies, Geist der Neuzeit, EA 1936, Berlin/New York: de Gruyter 1998 (in: TG, Bd. 22).
- S. Skalweit, Der Beginn der Neuzeit. Epochengrenze und Epochenbegriff, 1982.
- Wilhelm Kamlah: Der Aufbruch der Neuen Wissenschaft. in: Utopie Eschatologie Geschichtsteleologie. Kritische Untersuchungen zum Ursprung und zum Futurischen Denken der Neuzeit, Bibliographisches Institut, Mannheim 1969 (BI Htb 461) S. 73-88
- Jürgen Mittelstraß: Neuzeit und Aufklärung, de Gruyter, Berlin 1970
- Friedrich Jaeger (Hg.) Enzyklopädie der Neuzeit. Metzler, Stuttgart ab 2005