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Der Kaufmann von Venedig - Wikipedia

Der Kaufmann von Venedig

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

William Shakespeares Komödie Der Kaufmann von Venedig (The Merchant of Venice) entstand zwischen 1596 und 1598 und wurde 1600 in der ersten Quartoausgabe veröffentlicht. Die erste bekannte Aufführung fand am 10. Februar 1605 vor König Jakob I. statt.

Das Stück spielt nur zum Teil in der Lagunenstadt. Wichtige Szenen finden in Belmont, einem Landsitz auf dem Festland, statt.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Handlung

Shylock und Jessica von Maurycy Gottlieb (1856-1879)
Shylock und Jessica von Maurycy Gottlieb (1856-1879)

Antonio, ein venezianischer Kaufmann, möchte seinen Freund Bassanio unterstützen, der auf Freiersfüßen wandelt: Bassanio hat sich in Portia, eine junge Adelige, verliebt und die Brautwerbung verspricht teuer zu werden. Um dem Freund mit dem nötigen Geld unter die Arme greifen zu können macht Antonio selber Schulden, und zwar bei dem Juden Shylock. Shylock, der von den Christen Venedigs missachtet wird, überredet Antonio zu einem ungewöhnlichen Vertrag: Gelingt es dem Schuldner nicht, das geliehene Geld rechtzeitig zurück zu zahlen, so hat Shylock Anspruch auf „ein Pfund Fleisch“ aus Antonios Brust. Antonio willigt ein, ist er sich doch sicher, dass seine Handelsschiffe, die zur Zeit auf großer Fahrt sind, bald reich beladen nach Venedig zurückkehren werden.

In Belmont muss sich auch Bassanio auf eine ungewöhnliche Übereinkunft einlassen: Wenn er Portia heiraten möchte, muss er von drei Kästchen jenes auswählen, welches Portias Bild enthält. Gelingt ihm das nicht, so muss er zeitlebens ehelos bleiben, das jedenfalls verfügt das Testament von Portias Vater. Natürlich wählt Bassanio - anders als seine Mitbewerber - das richtige Kästchen und heiratet Portia.

Zurück in Venedig findet er Antonio in argen Sorgen: Die Schiffe des Kaufmanns scheinen verschollen und es ist aussichtslos, dass er Shylock die geschuldete Summe rechtzeitig zahlen kann. Da Shylocks Tochter nun einen Christen geheiratet hat, der Antonios Freund ist, macht nun Shylock aus Zorn in einer Gerichtsverhandlug seinen Anspruch auf Antonios Fleisch geltend, einem jungen „Advokaten“ (bei dem es sich in Wirklichkeit um die verkleidete Portia handelt) gelingt es jedoch, in letzter Minute eine Lösung zu finden: Zwar habe Shylock vertragsgemäß Anspruch auf das Fleisch, er dürfe dabei jedoch kein Blut vergießen. Tut er es doch, so drohe ihm wegen Mordes die Todesstrafe. Verbittert muss der Gläubiger seine Niederlage eingestehen und zur Strafe für die geplante Untat zum Christentum konvertieren.

[Bearbeiten] zum Verständnis

In diesem Stück greift Shakespeare mit Shylock, dem reichen jüdischen Wucherer, auf die Figur des Vice zurück. Man begegnet dem Vice in verschiedenen anderen Figuren Shakespeares, etwa in Richard III., Jago, Lady Macbeth oder in Hamlets Onkel, dem König Claudius. Eine Verteufelung des Jüdischen ist darum hier so wenig angezeigt, wie in den anderen Beispielen eine Herabsetzung des Königtums. Der Verlauf des Stücks rückt denn auch weder Shylocks Jude-Sein, noch seinen Wucher ins Zentrum, sondern wie Karl Marx es nennt: Das „Shylocksche Festklammern am Buchstaben des Gesetzes“. Dieses blinde Bestehen auf Recht und Gesetz ist es eben, das, im Höhepunkt der Handlung, auf den Vice selber zurückfällt. Portia sagt es unmißverständlich: „Denn, weil du so auf Recht pochst, sei gewiß: Recht sollst du bekommen, mehr als du begehrst.“

Wie später im Hamlet vertieft, lastet auf dem Gegenspieler des Vice und Anführer der guten Mächte Antonio, die Schwermut. Obwohl im Verlauf des Stücks nicht mehr erwähnt, wird sie als eigentliches Thema dem Publikum von Antonio selber angekündigt: „Aus welchem Stoff sie ist, woraus erzeugt, das soll ich erst erfahren.“ Die „Schwermut“ ist in das Christentum unter dem Begriff der Acedia eingegangen. Im Verbund mit der Sünde der Sünden, der Eitelkeit, als Verhärtung des Herzens vor Gott, rechnet sie das Mittelalter unter die Todsünden. Im Übergang zur Renaissance wird die Acedia radikal neu bestimmt und als Tugend umgewertet. Das ist der Sinn, in dem sie Shakespeare gebraucht: die Traurigkeit kommt aus der Tugend der Empfindlichkeit für das Unrecht in der Welt.

Was „Shylock sich von seinem Todfeind halb zum Spott ausbedingt“ (Mommsen) ist moralische Allegorie auf Fortuna oder mit christlichem Begriff gesagt auf: „die Prädestination oder das Schicksal“. Fortuna nennt Shakespeare darum gerne eine „Hure“, weil sie es mit den guten und den verworfenen Mächten ohne Unterscheidung „treibt“, bald diesen und bald jenen günstig. Das Vice-Personal hat jene launische Göttin stets zunächst auf seiner Seite. Im Falle von Macbeth tritt ihre Macht leibhaftig als die „drei Schicksalsschwestern“ auf. In diesem Stück wirkt sie zunächst die Schicksalsschläge gegen den selbstlosen Antonio. „Nicht ein einziger Treffer“ gelingt ihm und die höheren Mächte scheinen seine Liebe und seinen Großmut schlecht zu bezahlen. Auf dieses nämlich, auf das Verhängnis, genauer aber auf die Gerechtigkeit Gottes, die iustitia dei, zielt Antonios bittere Ironie in der Schicksalsstunde: „Denn schneidet der Jude tief genug, dann zahl ich sie [meine Liebe] gleich mit ganzem Herzen.“

Mit der plötzlichen Wendung im Prozess hat die Macht des Schicksals augenscheinlich zumindest nichts zu tun. Es ist aber kaum Zufall, daß die Fügung sich, im Augenblick der Wende, dem guten Bunde wieder günstig zeigt. Als hätte eigentlich sie die Hand im Spiel. Der Hinweis auf das Schicksal wird ausdrücklich gegeben: „drei Eurer Galeonen sind reich beladen plötzlich eingelaufen; ich sag Euch nicht, was für ein eigner Zufall den Brief mir zugespielt hat.“ Das erinnert an antikes Vorbild. Zum Beispiel an eine tiefe und zentrale Formulierung schon bei Homer: „Wer auf die Götter hört, den hören sie wieder.“

Der hier zum Fall verdammten rein weltlichen Gerechtigkeit wird, wie eben dem „Bösen“ in vielen anderen Werken Shakespeares, nicht gleich und gleich vergolten. So eröffnet der Richter Shylocks Urteilsspruch: „Damit Du siehst wie anders wir denken, schenke ich Dir Dein Leben noch bevor Du darum bittest.“ Vielmehr fällt die Tat auf den Mörder zurück, in diesem Fall eben „das Recht“, das heißt auf das falsche Recht fällt hier das Wahre. Dem Recht an welchem „die Welt“ klammert, vom Vice hier vertreten, ist eines übergeordnet und steht über aller weltlicher Gewalt oder Wahrheit. Der Rechtsgelehrte, Doktor Bellario, der hier das Blatt zugunsten der guten Mächte wendet und der nicht zufällig „selbst nicht kommen kann“, verkörpert ganz andere Einsicht in „das Recht“. Sein buchstäbliches Lesen des brisanten Schuldscheins geht weit über alles Pochen des Vices auf das Recht und ist viel mehr als eine bloße Gegen-List.

Es steht dieses wirkliche Lesen für das reformatorische Lesen von Gerechtigkeit. Das heißt es steht für die Autorität des "Herzensgrundes" (Luther). Der Jude soll Christ werden - aber erst nachdem das wahre Christliche sich an der Gnade erwiesen hat. Jener „Niedertracht“ Antonios, mit welcher er „den Zinssatz in Venedig drückt und schon viele aus der mir verfallenen Schuld gelöst hat“(so das Vice-Wort), könnte noch immer, mit Luther geredet, der Schein der guten Werke anhaften. Antonios Traurigkeit hätte dann ihren tieferen Grund in der Verworfenheit der guten Tat bis in die Erbschuld. Erst die Gnade, die wirklich Gnade ist, durchbricht die alte Schuld. Antonio, gerade dem Leben zurück geschenkt, sorgt für die Tochter Shylocks, und besser wohl als es der eigene Vater würde. Das (und nicht die Gegenlist) ist eigentlich der Grund, warum dem Vice „übel“ wird, weil ihm die fremde Sorge um seine Erbschafts-Linie den letzten Ausweg nimmt und sein Reich richtet.

[Bearbeiten] Kritik

Shakespeares Komödie wird oft der offensichtliche Antisemitismus vorgeworfen, welcher der Handlung zugrunde liegt, der aber im elisabethanischen Drama nichts Ungewöhnliches war. Bekanntestes Beispiel neben Shakespeares „Kaufmann“ ist Christopher Marlowes wesentlich undifferenzierteres The Jew of Malta. Shylocks Handeln wird durch die Unterdrückung der jüdischen Gemeinden und der einzelnen Juden (Gutwilligkeit des Rezipienten vorausgesetzt) verständlich, die im Stück, wenn auch nicht sonderlich zentral, durchaus erwähnt wird. Auch das weltbekannte Zitat aus einem Monolog Shylocks, in dem er sich über die Ungerechtigkeiten beklagt, unter denen er zu leiden hat: „Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen?“ (III.1) mildert den antisemitischen Grundtenor des Stückes. Daneben besteht aber auch eine Interpretation dieses Zitats, die es als gegen die Figur des Shylock gewendet begreift. Er zählt nur körperliche Ähnlichkeiten mit Christen auf, die auch auf einen Affen zutreffen könnten - das Einzige, das ihn als Menschen auszeichnet, ist seine Rachsucht. Die Großmütigkeit der christlichen Protagonisten des Stücks steht im Kontrast zur Rachsucht und Engherzigkeit Shylocks, was im 17. Jahrhundert auch genau so aufgefasst wurde – als antijüdische Propaganda.

Wie in den mittelalterlichen Mysterienspielen soll mit diesem Stück der ethische Grundsatz "Gnade vor Recht" demonstriert werden. Das ist die Tradition, die Shakespeare einfach übernimmt, auch wenn seine Figuren nicht mehr so allegorisch wirken wie einst. Die jüdischen Menschen sind aus mittelalterlicher christlicher Sicht ein exemplarisches Symbol für die Verweigerung der Gnade. Denn weil die jüdischen Menschen beharrlich seit Jahrtausenden, auch nach dem Christentum, ihre religiöse Tradition behalten und leben wollen, verschließen sie sich der göttlichen Gnade, die nur Christusgläubige erreichen können. Die Bekehrung zum christlichen Glauben des Shylocks am Ende soll ein Zeichen dafür sein, dass auch er in Zukunft Gnade vor Recht ergehen lassen kann. – Ein Happyend also aus mittelalterlicher Sicht und erst für heutige Christen etwas verstörend, denn sicher mussten es die seinerzeitigen Juden ebenso als empörend und herabsetzend empfinden. Zu beachten ist außerdem, dass zu Shakespeares Zeit schon lange keine Juden mehr in England lebten, da sie vorher schon von dort verbannt wurden. Shakespeare stützt sich hier auf allgemeine Vorurteile und antisemitische Klischees.

Jedoch ermöglichte Shakespeares facettenreiche Charakterisierung des eigentlich als komischen Schurken angelegten Shylocks auch andere Interpretationen des Stoffs. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts gab es erste mitfühlende Darstellungen des Shylock, die seine tragische Ambivalenz herausstellten. Ludwig Börne weist in seinem Essay Der Jude Shylock im „Kaufmann von Venedig“ (1828)([1]) auf die menschliche Tragik Shylocks hin. Noch engagierter tut dies Heinrich Heine in seinen sehr lesenswerten Ausführungen über Jessica und Portia in seiner Schrift Shakespeares Mädchen und Frauen. (1839) ([2]) Auch die jüngste Verfilmung des Stoffs, Michael Radfords „Kaufmann von Venedig“ mit Al Pacino in der Rolle des Shylock, verfährt so. Der Film beginnt mit einer Montage von Szenen, die den zeitgenössischen Antisemitismus zeigen: Hetzreden fanatischer Wanderprediger, das Verbrennen von Talmuddrucken, sowie das Bespucken und Schlagen von Juden.

Der aufmerksamen Betrachtung fällt auf, dass der christlich dominierten Gesellschaft zur Zeit Shakespears der moralische Spiegel vorgehalten wird, indirekt. Denn man stelle sich einmal vor, die jüdischen, angepassten Menschen der Diaspora, legten weniger Wert auf ihr Überleben und eher auf ihr Recht, so könnten viele christliche Vertragsnehmer und christliche Geldleihende bei Juden, in unangenehme Situationen gekommen sein, was das Gesellschaftsgefüge durchaus hätte stören können. So zeigt das Verhalten des jüdischen Geschäftsmanns Shylock eher ein fantastisches unreales Bild des Verhaltens der damaligen jüdischen Nebenbürger zweiter Klasse. Sicher konnten jüdische Menschen der damaligen Zeit keine "Gnade" von Seiten der christlichen Gesellschaft erwarten, sondern eher Rechtsbruch und Ausbeutung um Schulden nicht begleichen zu müssen.

[Bearbeiten] Literatur

  • Stephen Greenblatt: Gelächter am Schafott: In: Grennblatt: Will in der Welt. Wie Shakespeare zu Shakespeare wurde. Berlin, 2004

[Bearbeiten] Weblinks

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