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Ethnische Säuberung

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Ethnische Säuberung ist eine beschönigende Bezeichnung für die Vertreibung oder zwangsweise Überführung „unerwünschter“ Völker aus ihrem angestammten Siedlungsgebiet aufgrund kultureller (insbesondere sprachlicher oder religiöser) Unterschiede. Entgegen der Wortbedeutung von Ethnie werden aber in der Regel Vertreibungen, die wegen "rassischer" Merkmale durchgeführt werden, ebenfalls unter ethnische Säuberung gefasst. Der Begriff wurde aufgrund seines Zynismus zum Unwort des Jahres 1992 gewählt. Heute hat der Begriff „ethnische Säuberung“ sogar Eingang als international übliche Bezeichnung für die Vertreibung von Völkern gefunden.

Hintergrund ethnischer Säuberungen sind oft strategische oder weltanschauliche Erwägungen. Im zwanzigsten Jahrhundert geht es vor allem die Herstellung eines „völkisch einheitlichen“ Staatsgebietes.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Herkunft und Verwendung

Wiewohl die Erscheinung älter ist, taucht die Formulierung Anfang der neunziger Jahre im Verlauf der Jugoslawienkriege als Übersetzung aus dem entsprechenden Sprachraum auf.

Obwohl ethnische Säuberungen zu allen Zeiten auftraten (beispielsweise die Babylonische Gefangenschaft der Juden im 6. Jahrhundert vor Christi Geburt, die Türkenkriege, die Mehrzahl der Konflikte auf dem Balkan, die Kolonisierung von Nord- und Südamerika), erfolgte im 20. Jahrhundert eine Kulmination ethnischer Säuberungen. Die erste war sicherlich 1904 die Vertreibung und Tötung von ca. 60.000 Herero in Namibia, ausgeführt unter der Führung des deutschen Generals von Trotha. Die Vertreibung von schwarzafrikanischen Stämmen in Darfur/Sudan kann als momentan größte "ethnische Säuberung" bezeichnet werden.

Eine frühe Erwähnung des Begriffes „Säuberung“ als Euphemismus für Kriegsverbrechen findet man bereits im Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht, wo er sich im Besonderen auf Tötungen und „Sühnemaßnahmen“ bezieht, die von der Wehrmacht an jugoslawischen Partisanen, Tschetniks und Zivilisten im ehemaligen Jugoslawiens begangen wurden. Der Begriff wurde im Zusammenhang des Kroatien-Krieges, des Bosnienkrieges und es Kosovo-Krieges um das Adjektiv "ethnisch" ergänzt und von der westlichen Presse – mutmaßlich allerdings als direkte Übersetzung aus dem dortigem Sprachraum –aufgegriffen, um damit vorwiegend die ausgedehnten, und hier hauptsächlich von der serbischen Kriegspartei verübten Vertreibungsaktionen zu charakterisieren und anzuprangern.

[Bearbeiten] Abgrenzung zum Völkermord

Ethnische Säuberung ist nicht mit Völkermord gleichzusetzen: Unterscheidungskriterium ist die Absicht. Während unter Völkermord die absichtliche teilweise oder vollständige Tötung einer ethnischen, religiösen oder nationalen Gruppe verstanden wird, ist das Ziel der Ethnischen Säuberung, eine derartige Gruppe aus einem Gebiet zu entfernen. Das Spektrum der dabei angewandten Zwangsmaßnahmen reicht von der erzwungenen Ausreise über den so genannten Bevölkerungsaustausch bis hin zur Lagerverschickung (Deportation) und zum Massenmord. Den Massenmord während einer Ethnischen Säuberung unterscheidet im Extremfall vom Völkermord nur das Ziel.

[Bearbeiten] Ethnische Säuberung im Krieg

In Kriegen werden Grundrechte im Namen militärischer Notwendigkeiten außer Kraft gesetzt, die Militärzensur verhindert Berichte über Greueltaten und die internationale Gemeinschaft toleriert gewöhnlich mehr, als sie in Friedenszeiten zu akzeptieren bereit ist. Dies schafft die Möglichkeit, störende Minderheiten zu beseitigen. Der Krieg beruht auf Gehorchen und Töten. Fast immer sind reguläre Streitkräfte an ethnischen Säuberungen beteiligt. Auch paramilitärische Milizen, die die wiedergewonnenen Gebieten durchstreifen und marodieren, sind Akteure bei ethnischen Säuberungen.

[Bearbeiten] Formen der Gewalt

Raub und Diebstahl sind die Begleitumstände ethnischer Säuberungen. Meist trifft ein bewaffneter Täter auf ein unbewaffnetes Opfer. Die Gewalt wird anders als im Krieg aus nächster Nähe, persönlich und bösartig ausgeübt, um die Menschen aus ihren Häusern zu vertreiben.

[Bearbeiten] Bestrafung Ethnischer Säuberungen

Ethnische Säuberungen erfüllen einige der bei den Nürnberger Prozessen festgelegten Kriterien von Verbrechen gegen die Menschheit. Da es sich bei „ethnischer Säuberung“ jedoch nicht um einen eindeutigen juristischen, sondern um einen vorwiegend politischen Begriff handelt, erfolgten die Anklagen und Verurteilungen am Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien wegen anders bezeichneter Tatbestände, wie u. a. Verbrechen gegen die Menschheit bei der Vertreibung von über 170.000 Kroaten aus Teilen Kroatiens während des Kroatien-Krieges, der später folgenden Massenflucht von Serben während der Militäroperation Sturm in Kroatien im August 1995, oder im Falle des Verantwortlichen für die Massenerschießungen von Bosniaken in der UN-Schutzzone Srebrenica wegen Völkermordes.

Nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 Völkerstrafgesetzbuch sind ethnische Säuberungen in Deutschland strafbar.

Eine Art "sanfter ethnischer Säuberungen" gibt es nicht, so wie sie angeblich zum Beispiel in Südtirol zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg betrieben wurde, da auch dort die Bevölkerung gezwungen wurde, die ihr fremde (in diesem Fall italienische) Kultur anzunehmen oder nach Österreich oder Deutschland auszusiedeln. Jedoch muss nicht jede Vertreibung gleichermaßen grausam ausfallen, um als "ethnische Säuberung" verstanden zu werden.

[Bearbeiten] Beispiele von ethnischen Säuberungen in der Vergangenheit

[Bearbeiten] Mittelalter und frühe Neuzeit

  • Das Ausweisungsdekret Edwards I von England von 1290 mit der Ausweisung der Juden aus England für 350 Jahre
  • Das Alhambra-Dekret, ausgestellt 1492 durch Königin Isabella von Kastilien und König Ferdinand II von Aragon, mit der Vertreibung aller Juden aus Spanien
  • Vertreibung der großen muslimischen Minderheit der vorherigen islamischen Königreiche nach der Rückeroberung der ganzen spanischen Halbinsel durch Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon im Jahre 1502 und der zum Christentum konvertierten ehemaligen Mohammedaner (Moriscos) zwischen 1609 und 1614

[Bearbeiten] Kolonialperiode

  • Vertreibung der französischsprachigen Akadier in Nordamerika durch die Briten zwischen 1755 und 1763
  • Vertreibung der ursprünglichen andalusischen Bevölkerung vom britisch gewordenen Felsen von Gibraltar im Jahre 1704 und Neuansiedlung britischer Siedler
  • Erzwungene Umsiedlung aller noch östlich des Mississippi verbliebenen Indianerstämme durch die US-Amerikanische Regierung in zum Teil öde und zum Teil von andern Stämmen bereits besiedelte Gebiete westlich des Mississippi im 19. Jahrhundert (vor allem um 1830) mit den besonders bekannten Trail of Tears (Zug der Tränen) der Cherokees mit ca. 2.000 bis 8.000 Toten, dem Long Walk (Langer Marsch) der Navajo und den Seminolenkriegen mit den sich der Deportation widersetzenden Indianer in Florida
  • Vertreibung der türkischen, muslimischen und jüdischen Bevölkerungen vom Balkan nach Rückzug des Osmanischen Reiches aus den Gebieten der nun unabhängigen Staaten (wie Serbien, Bulgarien, Griechenland) im 19. Jh.
  • Vertreibung der mohammedanischen Völker wie der Circassier (1864) im Nordkaukasus durch das zaristische Russland im 19. Jh.

[Bearbeiten] 20. Jahrhundert

  • Vertreibung der Hereros im Hereroaufstand in Deutsch-Südwestafrika 1904-1908
  • Genozid an den Armeniern durch die Jungtürken 1914–1922
  • Massendeportation von pontischen Griechen aus dem Schwarzmeerraum durch Türken 1913–1923
  • Vertreibung und nachfolgende Ghettoisierung, Deportation und Massenvernichtung (Holocaust) der Juden, Sinti und Roma in den von den Nationalsozialisten beherrschten Gebieten Europas im Zweiten Weltkrieg, besonders ab 1941
  • Vertreibung von über 8 Millionen Deutschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten wie Schlesien, Pommern und Ostpreußen von 1945 bis 1949
  • Massenvertreibung und Bevölkerungsaustausch von Millionen von Moslems, Hindus und Sikhs im Anschluss an die Teilung von Britisch-Indiens in die unabhängigen Staaten Indien und Pakistan im Jahre 1947
  • Massendeportation ethnischer Minderheiten aus ihrem Heimatgebiet in Indonesien inklusive West-Irian und Ost-Timor seit der Unabhängigkeit von 1949 bis 1999
  • Vertreibung von rund 500.000 kaschmirischen Hindus seit den Kämpfen um den Status von Kaschmir
  • Erzwungene Ausweisung der gesamten Bevölkerung (Ilois) des britischen Tschagos-Archipels mit dem Hauptstützpunkt Diego Garcia um 1965 durch Großbritannien auf Wunsch der USA
  • Erzwungene Umsiedelungen nichtweißer Personen in Südafrika unter der Apartheidgesetzgebung
  • Gegenseitige Vertreibungen von Griechisch- und Türkisch-Zyprioten zwischen Süden und Norden der Insel zwischen 1974 und 1975
  • Verschiedene Vertreibungen, zum Teil verbunden mit Massenvergewaltigungen und Massakern wie in Vukovar, Omarska und in Srebrenica zwischen 1991 und 1999, so im Kroatien-Krieg (1991–1995) und im Bosnienkrieg (1992-1995).
  • Vertreibung von rund 200.000 Georgiern aus Abchasien im Jahre 1993
  • Das Massaker an rund 1 Million Tutsis durch Hutus 1994 in Ruanda

[Bearbeiten] 21. Jahrhundert

  • Attacken der arabischen Janjaweed-Milizen auf nichtarabische Menschen in Darfur, einer Region im westlichen Sudan

[Bearbeiten] Literatur

  • Andreas Hillgruber, Walther Hubatsch, Hans-Adolf Jacobsen, Percy Ernst Schramm (Hrsg. 1996): Das Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht – 1940–1945. 8 Bände, ca. 6.900 Seiten. ISBN 3763759336
  • Maninger, Stephan, „Ethnische Konflikte entlang der Entwicklungsperipherie“ Ordo Inter Nationes, Nr. 6, Juni 1998, Institut für internationale Politik und Völkerrecht, München
  • Mann, Michael: The Dark Side of Democracy: Explaining Ethnic Cleansing. Cambridge 2005.
  • Naimark, Norman M.: Flammender Hass. Ethnische Säuberung im 20. Jahrhundert. Beck, München 2004, ISBN 3406517579
  • Vardy, Stephen Bela: Ethnic Cleansing in Twentieth Century Europe. New York: Columbia Press, 2003

Siehe auch: Vertreibung, Generalplan Ost

[Bearbeiten] Weblinks

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