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Frantz Fanon

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Frantz Fanon, (* 20. Juli 1925 in Fort-de-France, Martinique; † 6. Dezember 1961 in New York) war ein Psychiater, Schriftsteller und Vordenker der Entkolonialisierung.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Leben

Frantz Fanon wurde 1925 auf Martinique als Sohne von Eléonore und Casimir Fanon, einem Zollinspektor, als drittes von sechs Kindern geboren. Die dunkelhäutigen Bewohner der Karibik-Insel - bis (19. März) 1946 französische Kolonie, dann Département d’outre-mer (Übersee-Departement) - galten zu dieser Zeit zwar formal als Franzosen, wurden jedoch von den weißen Siedlern als „Schwarze“ bezeichnet und wie Bürger zweiter Klasse behandelt. An jedem Nationalfeiertag der Franzosen erinnerte der Vater Fanons seine Familie daran, dass die in der Französischen Revolution propagierten Ideale „Liberté, égalité, fraternité“ („Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“) den Sklaven auf Martinique keineswegs die Freiheit gebracht hätten. Vielmehr wurde hier die Sklaverei erst im Jahre 1848 abgeschafft, als der Abgeordnete der Nationalversammlung und spätere Senator von Martinique und Guadeloupe, Victor Schoelcher, mit dem décret d’abolition de l’esclavage du 27 avril 1848 (Dekret zur Abschaffung der Sklaverei vom 27.April 1848) das Ende der Sklaverei festschreiben ließ.

Obwohl mit Reichtümern nicht gerade gesegnet, ermöglichte die Familie Frantz Fanon den Besuch des Lycée Schoelcher in Fort-de-France, wo er u.a. von Aimé Césaire unterrichtet wurde. Der Weg zum Lycée führte Fanon jeden Tag an einem Denkmal Schoelchers vorbei. Doch schon im Alter von zehn Jahren, so erinnerte sich Fanon später, habe er sich gefragt, warum nicht an die zahlreichen Revolten der Schwarzen erinnert wurde, die schon zu einem viel früheren Zeitpunkt für die Abschaffung der Sklaverei gekämpft und dafür hingerichtet wurden.

„Damals habe ich zum ersten Mal begriffen, dass man mir einen verfälschten Lauf der Geschichte erzählt hat.“ (Frantz Fanon)

Er meldete sich mit 17 freiwillig zum Militärdienst im Zweiten Weltkrieg und erlebte, wie schwarze Soldaten als Menschen zweiter Klasse behandelt wurden. Nach dem Krieg kehrte er nach Martinique zurück, holte seinen Schulabschluss nach und studierte dann in Lyon Medizin und Philosophie.

Er heiratete eine Französin, wurde 1953 zum Leiter der psychiatrischen Abteilung der Klinik von Blida-Joinville in Algerien berufen. 1956 trat er aus politischen Gründen von diesem Posten zurück. Danach arbeitete er für die Nationale Befreiungsfront in Algerien und zeitweise als Botschafter der algerischen Regierung in Accra.

Er starb im Dezember 1961 in New York an Leukämie, am selben Tag, an dem sein Hauptwerk Die Verdammten dieser Erde veröffentlicht wurde, das noch heute als Manifest des Antikolonialismus gilt. Jean-Paul Sartre spitzt im Vorwort zu diesem Buch die antikoloniale Revolutionstheorie Fanons über die gewaltsame Befreiung der unterdrückten Kolonialvölker moralisch rigoros zu:

Einen Europäer erschlagen, heißt zwei Fliegen mit einer Klappe treffen“ (vgl. U. Wolter)

[Bearbeiten] Theorie und Bedeutung

Fanons Absicht war es, eine universelle emanzipatorisch-humanistische Vision zu entwerfen. In seiner grundsätzlichen Kritik an Rassismen und kolonialer Unterdrückung gilt er in seinen Ansätzen als ein sehr früher und vielseitiger Theoretiker, der seiner Zeit weit voraus war. So untersuchte er, welchen Einfluss Unterdrückung und Rassismus auf die Kolonialisierten hat und wie sich eine entfremdete Selbstwahrnehmung bei den Betroffenen entwickelt und auswirkt (soziologisch: „Subjektkonstruktion“). Hierbei geht er in „Schwarze Haut, weiße Masken“ u.a. mit Hilfe von Lacans Spiegelungstheorem psychoanalytisch vor und bezieht sich auf Sartres Phänomenologie des Blickes“. Er fragt danach, wie sich die von der Unterdrückung durch Rassismus und Kolonialismus Betroffenen (in der soziologischen Sprache „kolonialsierte Subjekte genannt) dagegen wehren können.

Der schwarze Mensch erscheint aus der Perspektive des Weißen als minderwertig, aber umgekehrt ist der Weiße mit seinen „Errungenschaften“ Zivilisation, Kultur, kurz Intellekt, nachahmenswert.

Deshalb spricht Fanon davon, dass der schwarze Mensch in eine neurotische Situation geworfen wird, wenn er in einer weißen Gesellschaft lebt, die deren Überlegenheit gegenüber der schwarzen Bevölkerung proklamiert (Philipp Dorestal). Fanon kritisiert also, dass die „Schwarze Person“ eine „weiße Maske“ tragen muss, um in einer kolonialisierten Welt ernst genommen zu werden.

Daran anknüpfend nimmt er positiven Bezug auf die Négritude-Bewegung, die auf die Rückbesinnung auf afrikanische Kulturen zur Entwicklung eines schwarzen Selbstbewusstseins beitragen will. Er kritisiert sie jedoch dort, wo lediglich eine reine Umkehrung der Zuschreibungen stattfindet, und nicht grundsätzliche die Mechanismen der wesensmäßigen Zuschreibung und Markierung von Menschen in Frage gestellt wird.

Umstritten ist, ob Fanon als Begründer einer „antikolonialen Gewalt“ verstanden werden kann. Fanon sieht in ihr ein Mittel, sich auch von der tiefsitzenden Entfremdung zu befreien. Dabei geht es ihm keineswegs um die Gewalt an sich, sondern ausdrücklich um die widerständige Gegengewalt zur bestehenden Gewaltanwendung der Kolonialisatoren, die auf eine bestimmte historisch-konkrete Situation bezogen ist und nur hier als legitim angesehen wird. Dagegen verweist er deutlich auf die „pathologischen Folgen exzessiver Gewaltanwendung“ (Dorestal). Seine Theorie der Befreiung gründet dabei vor allem auf den Existentialismus Sartres, als auch, wie Udo Wolter feststellt, in der „Hegelschen Herr-Knecht-Dialektik“.

Fanon entwickelte ein kritisches und widersprüchliches Verhältnis zu „kollektiven Identitäten“, wie Nation und Volk. Einerseites erkannte er im Nationalismus der Kolonialherren die unterdrückenden, zerstörenden und entfremdenden Mechanismen vor allem für die „Kolonialisierten“. Andererseits übertrug er die befreiende Wirkung antikolonialer Gegengewalt auch auf die so genannte „nationale Befreiungsbewegung“ und damit auf das Konzept der Nation. So kommt es in der Folge dazu, dass einerseits postkoloniale Kritiker, insbesondere Homi K. Bhabha, Stuart Hall, Ania Loomba und Gayatri Chakravorty Spivak die Revolutionstheorien Fanons als Kritik an bipolaren Entgegensetzungen wie Kolonialherr/Kolonisierter, Westen/Rest, Zivilisation/Wildheit, männlich/weiblich etc.“ werten und mit seiner Theorie ebenso die „Festschreibungen ethnischer und nationaler Identitäten dekonstruktivistisch auflösen wollen, und fließende, hybride Subjektivitäten als Grundlage neuer kultureller und politischer Formen widerständigen Handelns verstehen“ (Wolter).

Andererseits muss aber Frantz Fanons Klassiker „Die Verdammten dieser Erde“ als eine Art Letztbegründung für das Festhalten an einem kruden Antiimperialismus der Machart gutes kämpfendes Volk gegen das imperialistische Übel“„“ (Wolter) herhalten. Stokeley Carmichael von der Black Panther Party interpretierte Fanon so, als stünde eine Revolution für die Afroamerikaner in den USA bevor.

Auch modernere marxistisch orientierte Kritiker des Postkolonialismus beziehen sich auf die rassismustheoretischen Arbeiten und Revolutionstheorien Fanons. Dazu zählen: Edward Palmer Thompson, Henry Louis Gates, Raymond Williams, Paul Gilroy und Lou Turner.

[Bearbeiten] Siehe auch

[Bearbeiten] Zitat

Verlassen wir dieses Europa, das nicht aufhört, vom Menschen zu reden, und ihn dabei niedermetzelt, wo es ihn trifft, an allen Ecken seiner eigenen Straßen, an allen Ecken der Welt. Ganze Jahrhunderte hat Europa nun schon den Fortschritt bei anderen Menschen aufgehalten und sie für seine Zwecke und seinen Ruhm unterjocht; ganze Jahrhunderte hat es im Namen seines angeblichen ‚geistigen Abenteuers‘ fast die ganze Menschheit erstickt. ... Also, meine Kampfgefährten, zahlen wir Europa nicht Tribut, in dem wir Staaten, Institutionen und Gesellschaften gründen, die von ihm inspiriert sind.“ (Frantz Fanon 1961, Die Verdammten dieser Erde)

[Bearbeiten] Werke

  • Aspekte der algerischen Revolution Suhrkamp, Frankfurt am Main 1969, ISBN 3-518-10337-7 (st 337, Sociologie d'une révolution)
  • Entkolonisierung und Revolution. Politische Schriften s.l., 1987, ISBN 3-888-80056-0
  • Für eine afrikanische Revolution. Politische Schriften s.l., 1982, ISBN 3-873-19110-5 (Pour la révolution Africaine)
  • Im fünften Jahr der algerischen Revolution s.l., 1959 (L'an cinq de la révolution Algérienne)
  • Das kolonisierte Ding wird Mensch. Ausgewählte Schriften Reclam, Leipzig 1986 (Reclams Universal-Bibliothek 1147)
  • Schwarze Haut, weiße Masken Übers. Eva Moldenhauer. Syndikat, Frankfurt 1980 ISBN 3810801453 und Suhrkamp, ebenda 1985 ISBN 3518376861 (st 1186. Franz. Peau noire, masques blancs) Neuübersetzung Unrast, Münster 2007 (Herbst)
  • Die Verdammten dieser Erde Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3518371681 (st 668. Les Damnés de la Terre)

[Bearbeiten] Literatur

  • Caute, David: Frantz Fanon. - London : Fontana Collins, 1970
  • Cherki, Alice: Frantz Fanon : ein Porträt. - Hamburg : Ed. Nautilus, 2002. - ISBN 3-89401-388-5
  • Geismar, Peter: Fanon. - New York : Dial Pr., 1971
  • Udo Wolter: Das obskure Subjekt der Begierde. Frantz Fanon und die Fallstricke des Subjekts der Befreiung. ISBN 3-89771-005-6

[Bearbeiten] Weblinks

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