Exotismus
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Der Exotismus hat zwei fachsprachliche Bedeutungen, je nachdem, ob er in einem soziologischen oder sprachwissenschaftlichen Zusammenhang verwendet wird.
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[Bearbeiten] Soziologie
Exotismus bezeichnet eine bestimmte Form des eurozentristischen Blicks auf die Fremde, die alleine deren „exotische“ Aspekte betrachtet, beziehungsweise deren Bewohner zu „edlen Wilden“ stilisiert. Am deutlichsten tritt er in der Dichtung auf.
Der Ursprung des Wortes liegt im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Der Romantiker Théophile Gautier gebraucht in einer programmatischen Erklärung an die Brüder Edmond und Jules de Goncourt vom 23. November 1863 das Wort. Gautier unterscheidet hierin einen Exotismus der räumlichen und einen Exotismus der zeitlichen Entfernung. Ungeachtet der praktischen Unbrauchbarkeit dieser Einteilung, die die Tatsache unberücksichtigt lässt, dass beide Arten in ihren literarischen Erscheinungsformen öfter in gemischter als in reiner Form auftreten, macht sie jedoch deutlich, dass der Begriff mehr umfasst als das bloße Substantiv zum Eigenschaftswort „exotisch“.
Als Begründer der Exotismus-Forschung gilt Jean Marie Guyau. Er sieht 1889 in L´art au point de vue sociologique den Exotismus als Mittel in der Kunst, um bei realistischer Stilintention der Gefahr des Trivialen zu entgehen. Als Resultat erhofft er sich daraus das sogenannte Malerische, wie er es bereits in den exotischen Romanen von „Realisten“ wie Bernardin de Saint-Pierre, Flaubert und bei dem unmittelbaren Zeitgenossen Pierre Loti vorfindet. Hauptkriterium der französischen Forschung ist das Malerische und Lokalkolorit. Der Französische Exotismus unterschied sich jedoch von den gleichzeitigen Entwicklungen in England, Dänemark oder Holland teilweise sehr.
Diese mit dem Kolonialismus aufgekommene Betrachtungsweise ist auf den ersten Blick eine Form des Umganges mit den eigenen Entsagungen im Prozess der Zivilisation. Einige Europäer projizierten ihre eigenen Wunschgedanken in die „Exoten“ in den für sie neu erschlossenen Welten. Hierzu gehören insbesondere Vertreter der europäischen Aufklärung, wie Jean-Jacques Rousseau oder Denis Diderot. Insbesondere sexuelle Entsagungen führten zu einem Bild „triebhafter Eingeborener“ mit einer besonderen sexuellen Potenz. Die zunehmende Entfremdung im Zuge der Industrialisierung hat eine besondere romantische Form der „Naturverbundenheit“ hervorgebracht, die ebenfalls den „Wilden“ zugeschrieben wurde. Bekannte Vertreter solcher Positionen waren Rudyard Kipling und Karl May.
Mit dem Exotismus geht eine Wahrnehmung der Fremden einher, deren Lebensumstände und Unterdrückung infolge des Kolonialismus kaum gesehen werden. Hinzu kommt, dass mit dem Bild der „Natürlichkeit“ zum Beispiel bei Rousseau eine Begründung der Unterlegenheit der „Wilden“ einhergeht. Diese seien zwar der Natur näher, aber dafür der Kultur ferner und insofern als Kinder anzusehen. Hierin drückt sich eine Form des Rassismus ohne Rassen aus, der formal sogar mit einer Hochachtung vor den „Wilden“ begründet wird.
Laut Friedrich Brie (Exotismus der Sinne. Eine Studie zur Psychologie der Romantik 1920) ist Wilhelm Heinses Roman Ardinghello und die glücklichen Inseln der einzige deutsche Roman mit ausgeprägtem Exotismus.
Bis heute kommt Exotismus in verschiedenen Varianten, zum Beispiel in der Werbung, in Filmen oder auch in Kinderbüchern vor. Kritiker werfen auch bestimmten multikulturellen Ansätzen einen entsprechenden Rassismus vor, wenn sie sich auf das Feiern exotischer Unterschiede begrenzen (im englischen als Politik der Steel-Bands, Sari, Samosas bezeichnet). Auch die sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern in „Entwicklungsländern“ durch so genannte „Sextouristen“ kann als eine Form des Exotismus gesehen werden, zum Beispiel wenn auf die „natürliche Unterwürfigkeit“ der Prostituierten angespielt wird.
[Bearbeiten] Siehe auch
Xenophilie, Xenophobie, Kulturalismus, Orientalismus, Antiziganismus, Völkerschau, Indianerbild im deutschen Sprachraum, Nihonjinron
[Bearbeiten] Literatur
- Susan Arndt (Hg.): AfrikaBilder. Studien zu Rassismus in Deutschland. ISBN 3-89771-407-8
- U. Bitterli: Die »Wilden« und die »Zivilisierten«'#. Die europäisch-überseeische Begegnung, München: dtv, 1982, ISBN 3-406-35583-8.
- jour fixe initiative berlin (Hg.): Wie wird man fremd?. Rassismustheorien. ISBN 3-89771-405-1
- H. Melber: Der Weißheit letzter Schluß. Rassismus und kolonialer Blick, Frankfurt: Brandes & Apsel, 1992, ISBN 3-86099-102-7.
- Institut für Auslandsbeziehungen [Hrsg. ]: Exotische Welten - Europäische Phantasien, Ausstellungskatalog, 1987.
- J. Kristeva: Fremde sind wir uns selbst. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990, ISBN 3-518-11604-5.
- M. Lorbeer, B. Wild [Hrsg.]: Menschenfresser - Negerküsse. Das Bild von Fremden im deutschen Alltag, 2. Auflage, Frankfurt am Main: Eichborn, 1993, ISBN 3-88520-394-4.
- P. Martin: Schwarze Teufel, edle Mohren. Hamburg: Hamburger Edition, 2001, ISBN 3930908646.
- Hito Steyerl, Encarnación Gutiérrez Rodríguez (Hg.): Spricht die Subalterne deutsch? Migration und postkoloniale Kritik, ISBN 3-89771-425-6
- Wolfgang Reif: Zivilisationsflucht und literarische Wunschräume. Der exotistische Roman im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. 1975
[Bearbeiten] Sprachwissenschaft
Exotismus bezeichnet eine Gruppe von Lehnwörtern, die Dinge und Gewohnheiten bezeichnen, die nur in der Kultur der Gebersprache verbreitet sind. Die Anwendung auch auf Realitäten der eigenen Kultur ist stets nur im übertragenen Sinne zu verstehen. Beispiele:
- pers. schah „Kaiser beziehungsweise König“ (der Schah von Bayern ist unmöglich)
- finn. vappu „Fest des 1. Mai, das mit einem kollektiven Besäufnis und allem, was daraus folgt, gefeiert wird“
- Berndeutsch Hornussen „Name einer Mannschaftssportart, die v.a. im westlichen Schweizer Mittelland verbreitet ist“
Natürlich können Sachen und Gewohnheiten wandern und auch in fremden Umgebungen heimisch werden, vergleiche etwa die ursprünglichen Exotismen Sauna (aus dem Finnischen), Iglu (aus der Sprache der Inuit), Putsch (aus dem Schweizerdeutschen, wo in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Staatsstreiche an der Tagesordnung waren).
[Bearbeiten] Weblinks
- http://www.pangloss.de/index.php?rid=1 M. Baier: Umfangreiche Abhandlung über den Exotismus
Wiktionary: Exotismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme und Übersetzungen |