Kastrat
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In der Musik bezeichnet man als Kastraten einen Sänger, dem zur Erhaltung seiner Sopran- oder Alt-Stimme vor dem Stimmbruch die Keimdrüsen, also beide Hoden, entfernt wurden, so dass in der Pubertät die Hormone fehlten, die beim unverstümmelten Heranwachsenden den Stimmwechsel herbeiführen. So erlangt der junge Mensch zwar die Größe eines Erwachsenen, behält aber seine Knabenstimme, mit der er später so kräftig singen kann wie ein Mann.
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[Bearbeiten] Geschichte
Die Praxis der Kastration war jedoch durchaus mit Problemen verbunden: Knaben mussten schon früh (vor dem Einsetzen der Pubertät, siehe auch Stimmwechsel) kastriert werden, um ein normales hormongesteuertes Wachstum zu verhindern. Zu diesem frühen Zeitpunkt konnte man natürlich nicht wissen, wie sich der betroffene Knabe stimmlich entwickeln wird - eine Kastration war alles andere als eine Garantie dafür, dass ein Junge später zu einem großem Sänger wurde. So wurden zeitweilig tausende Knaben kastriert - in der Hoffnung darauf, dass sie später einmal auf den Bühnen der Welt stünden. In der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle wurde diese naive Hoffnung enttäuscht, und die verstümmelten Männer hatten ein schweres Leben zu führen. Selbstverständlich waren es nach einer Kastration nicht allein die Stimmbänder, deren Wachstum anders verlief. Dem männlichen Körper fehlten in der entscheidenden Wachstumsphase wichtige Hormone: oft wurden sie überproportional groß und dick, waren Riesen mit einer mächtigen Kinderstimme. Auf der Bühne begeisterten sie oft das Publikum - im privaten Leben waren sie jedoch merkwürdige Zwitterwesen, die außerhalb ihrer künstlerischen Anerkennung wenig Zuneigung fanden.
Die Kastration war zwar schon früh verboten worden, wurde jedoch noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts immer wieder ausgeführt.
Im Christentum lehnte die Mehrzahl der Gelehrten die Kastration ab, es gab aber auch Befürworter (siehe Eunuchen für das Himmelreich). Erst Papst Sixtus V. hat am 7. Juni 1587 ein eindeutiges Verbot erlassen. Opfern der verbotswidrig fortgesetzten Praxis boten die Päpste eine Existenz in der päpstlichen Kapelle als Sänger für hohe Stimmen. 1922 starb mit dem päpstlichen Sänger Alessandro Moreschi einer der letzten Kastraten und der einzige, von dem Tondokumente erhalten sind.
[Bearbeiten] Kastraten seit dem Barock
Kastraten waren im europäischen Musikleben des 17. und 18. Jahrhunderts beliebt und genossen oft hohes Ansehen. Zu den berühmtesten Kastraten des 18. Jahrhunderts zählen Senesino, Farinelli, Caffarelli und Antonio Bernacchi. Sie gehörten zu den ersten Superstars der Musik, ihr Genre war vorzugsweise die Oper.
[Bearbeiten] 20. Jahrhundert
Seit der Abschaffung der Kastrationspraxis stellt die Besetzung von Männerrollen in Sopran- oder Altlage ein besonderes Problem für die Aufführung Alter Musik dar. Im 20. Jahrhundert war es lange üblich, solche Rollen in typische Männerlagen zu transponieren, um den von Werken des 19. Jahrhunderts geprägten Hörerwartungen zu entsprechen (→ Heldentenor). Mit der Entwicklung der Historischen Aufführungspraxis hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass eine Änderung der Stimmlage die Struktur der Musik beeinträchtigt – insbesondere etwa bei Liebesduetten in Barockopern, bei denen die beiden Stimmen oft in der gleichen Lage miteinander verwoben sind. Deshalb behilft man sich mit Frauenstimmen oder Countertenören, die aber mit ihrer Falsetttechnik sicherlich einen anderen Klang aufweisen als ein echter Kastrat. In wenigen Ausnahmefällen erhalten sich Männerstimmen auch ohne Kastration in Sopranlage. Diese männlichen Sopranisten sind vor allem für Alte Musik sehr gefragt.
Die Möglichkeiten digitaler Klangmanipulation wurden im Film über den Kastraten Farinelli (1994) angewandt, um aus den Stimmen einer Sopranistin und eines Countertenors eine synthetische Kastratenstimme zu mischen. Der sich ergebende Klangeindruck darf aber in seinem Realismus angezweifelt werden.
[Bearbeiten] Kastraten als Thema in der Literatur
- Im Buch „Melodien“ von Helmut Krausser wird die Figur des Kastraten und Komponisten Marc Antonio Pasqualini (1614-1691) mit einer fiktiven Vita beschrieben und besonders auf seinen Leidensweg und seine Stellung in der Gesellschaft eingegangen.
- Erzählung „Sarrasine“ von Honoré de Balzac [1]
[Bearbeiten] Siehe auch
- Eunuch
- Kastration
- Liste berühmter Sängerinnen und Sänger klassischer Musik - Kastraten sind dort ebenfalls aufgeführt
[Bearbeiten] Weblink
[Bearbeiten] Literatur
- Richard Somerset-Ward: Angels & monsters: male and female sopranos in the story of opera, 1600 - 1900, Yale Univ. Press, 2004
- Hans Fritz: Kastratengesang: hormonelle, konstitutionelle und pädagogische Aspekte, Schneider, 1994