Mühldorf-Prozess
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Der Mühldorf-Prozess wurde vom 1. April 1947 bis zum 13. Mai 1947 von einem amerikanischen Militärgericht gegen 14 NS-Täter durchgeführt (US457 Case No. 000-50-136 / United States of America vs. Franz Auer et al.). Den Beinamen „Mühldorf-Prozess“ erhielt der Prozess, da Verbrechen verhandelt wurden, die in mehreren nahe der Stadt Mühldorf am Inn gelegenen Konzentrationslagern (KZs) begangen wurden. Bei der sog. Mühldorf-Gruppe (auch „Außengruppe Mühldorf“ oder „Mühldorf-Ring“ genannt) handelte es sich um mehrere Außenlager des KZ-Stammlagers Dachau. Sie wurden ab Mitte 1944 errichtet, als im Raum Mühldorf eine unterirdische Fabrik in Verbindung mit Flugzeugbau-Fabriken aufgebaut werden sollte. Etwa 8.300 Insassen befanden sich in der Zeit von Juli 1944 bis zum April 1945 in diesen Lagern. Die Insassen waren Ungarn, Polen, Griechen, Tschechen, Jugoslawen, Litauer, Italiener, Niederländer, Franzosen und Russen. Einige der russischen, polnischen und italienischen Insassen waren Kriegsgefangene.
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[Bearbeiten] Rüstung im Mühldorfer Hart
Der „Mühldorfer Hart“, ein Gebiet bei Waldkraiburg, Ampfing und Mettenheim, stellte eine Rüstungsanlage gigantischen Ausmaßes dar. Es handelte sich um eine Produktionsanlage des Strahlflugzeugs „Messerschmitt Me 262“, einem Projekt, das als „kriegsentscheidend“ eingestuft war. Um dieses Ziel, die Produktion des Kampfflugzeugs, zu erreichen, wurden in der „Mühldorfer Hart“ nicht nur die Produktionsstätte selbst, sondern auch zahlreiche Nebenbaustellen und Konzentrations- bzw. Zwangsarbeiterlager für die Häftlinge, die zum Bau eingesetzt wurden, errichtet. Die verkehrsgünstige Lage (Eisenbahnknotenpunkt Mühldorf), als auch der dichte Wald der Umgebung, der die Möglichkeiten der Tarnung bot, waren bei der Entscheidung für diesen Standort maßgebend. Die Errichtung von vor Luftangriffen sicheren Bunkern sollte Anlagen und hochwertige technische Maschinen und Geräte vor Kriegseinwirkungen schützen. Die gesamte Planung und auch die Bauausführung oblag der Organisation Todt / OT, einer reichseigenen Bauorganisation für kriegswichtige Projekte, die in Mühldorf als „Einsatzgruppe Deutschland VI“ tätig war. Zur technischen Durchführung der Anlagen wurde die Firma Polensky & Zöllner verpflichtet und als „OT-Einheit Polensky & Zöllner, Bautrupp 773“ eingesetzt. Der überwiegende Teil der Arbeitskräfte, insgesamt über 10.000, setzte sich aus Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern und Häftlingen der umliegenden Konzentrationslager zusammen. Die Organisation Todt / OT stellte dabei die Facharbeiter, Ingenieure und das Verwaltungspersonal. Kern der Rüstungsanlage war die „Hauptbaustelle“, mit dem sog. „Fliegerbunker“ , der sich auf einer Länge von vierhundert Meter, bei 85 Meter Breite und 32 Meter Höhe – davon 19 Meter unterirdisch, erstrecken sollte. Das Gesamtbauwerk sollte mit 8 Stockwerken (4 oberirdisch, 4 unterirdisch) eine Produktionsfläche von insgesamt 110.000 Quadratmetern erreichen, die dann unter die an der Fertigung des Flugzeugs beteiligten Firmen (z.B. Siemens, Zeiss-Jena, AEG, Telefunken) aufgeteilt werden sollte. Die gesamte Anlage bestand aber nicht nur aus der sogenannten „Hauptbaustelle“, sondern auch aus zahlreichen in der gesamten Umgebung verstreuten Nebenbaustellen, die den Bau der Flugzeughalle unterstützen sollten.
[Bearbeiten] Das Waldlager (bei Ampfing)
Das sog. Waldlager war Teil der „Außengruppe Mühldorf“ ein Außenlager des KZ-Stammlagers in Dachau. Der Aufbau erfolgte im Juli 1944 von den ersten KZ -Häftlingen, die in den Landkreis Mühldorf kamen. Seine erste amtliche Erwähnung findet das Waldlager in amtlichen Unterlagen vom 9.August 1944. Das Lager war zunächst als reines Männerlager angelegt. Ca. 2.000 KZ-Häftlinge wurden bei der Errichtung einer unterirdischen Flugzeugfabrik im Mühldorfer Hart eingesetzt (Waldlager V). Später wurde dieses (erste) Waldlager erweitert - ein Waldlager VI errichtet. Beide Teillager wurden jedoch immer als Gesamtheit (Waldlager V/VI) angesehen. Ein Frauenlager – als Teil des Waldlagers V/VI wurde erst 1944/45 aufgebaut (erste Erwähnung 13. Januar 1945). Die ca. 250 weiblichen Insassen wurden zu Arbeiten bei verschiedenen Firmen bzw. der Oberbauleitung der Organisation Todt herangezogen. Die InsassInnen dieses Lagers waren zumeist ungarischer, französischer, italienischer, tschechischer oder griechischer Herkunft. Aber auch zahlreiche deutsche Häftlinge befanden sich darunter. Zum größeren Teil handelte es sich dabei um Juden – daher auch der Begriff „Judenlager“.
[Bearbeiten] Lager M I oder Mettenheim
Auch beim Lager Mettenheim handelte es sich um ein Außenlager des Stammlagers in Dachau. Erste amtliche Erwähnung am 28. Juli 1944. Die Belegstärke des Lagers betrug ca. 2.500 Häftlinge (2000 Männer, 500 Frauen)
[Bearbeiten] Das Lager Mittergars (auch als „Cone Lager“ bezeichnet)
Das Lager Mittergars wurde im Oktober 1944 errichtet und lag zwischen den Bahnhöfen Jettenbach und Mittergars, ca. 18 Kilometer südwestlich von Mühldorf. Es war dem Außenkommando Mühldorf unterstellt. Die 350 überwiegend jüdischen Häftlinge, größtenteils Ungarn, Polen, einige Litauer, sowie Franzosen, waren für die Organisation Todt(OT) (Oberbauleitung Mühldorf) zum Bau der Rüstungsanlage im Mühldorfer Hart im Arbeitseinsatz. Das Lager war als Todeslager berüchtigt. Aufgrund der entsetzlichen hygienischer Verhältnisse starben viele Häftlinge, u. a. am Fleckfieber. Neben „Vernichtung durch Arbeit“ wurden viele Häftlinge durch direkte Gewalteinwirkung ermordet.
[Bearbeiten] Das Lager Thalham
In der kleinen Ortschaft Thalham, zwischen Ampfing und Schwindegg, in der Gemeinde Obertaufkirchen, befand sich ein KZ - Unterkommando des Außenkommandos Mühldorf. Eingerichtet wurde das Lager im Juni oder Juli 1944 von italienischen Arbeitern. Ende Januar 1945 kamen dann die ersten Häftlinge, in der Regel französische, italienische und deutsche Gefangene. Anfang April 1945 wurden dann ca. 120 jüdische Häftlinge aus dem Lager Mettenheim hierher verlegt. Das Lager war ein reines Männerlager. Ca. 200 Personen waren dort interniert und mussten für die Oberbauleitung der Organisation Todt (OT) in einem nahegelegenen Steinbruch Zwangsarbeit zu leisten.
[Bearbeiten] Deportationen von Mühldorf
Zahlreiche Häftlinge, die im Juni 1944 nach Mühldorf transportiert wurden, waren bereits vier Monate später körperlich so ruiniert, dass sie „selektiert“ und nach Auschwitz zur Vergasung deportiert wurden. Die Transporte (sog. „Invalidentransporte“) wurden von der Lagerleitung angeordnet und von der Ärztin Dr. Erika Flocken zusammengestellt. Von Mühldorf wurden mehrere Transporte durchgeführt. Am 5. Oktober 1944 wurden 280 Häftlinge nach Auschwitz deportiert, am 1. November 1944 dann nochmals 555 Lagerinsassen. Auf sie alle wartete die Gaskammer. Am 27. April 1945 kam es - aufgrund der sich nähernden alliierten Armeen - dann zu einem letzten „Evakuierungstransport“ aus den Lagern bei Mühldorf. Ca. 3.600 Lagerinsassen wurden in Eisenbahnwaggons verladen und mit unbekanntem Ziel (?) abtransportiert. Nach einigen Irrfahrten konnten die Häftlinge glücklicherweise am 30. April 1945 in Tutzing und Seeshaupt von den amerikanischen Truppen befreit werden. 144 der Häftlinge waren allerdings bereits auf dem Transport umgekommen. Die in den Lagern bei Mühldorf verbliebenen Häftlinge sollten – nach den Plänen von Ernst Kaltenbrunner – durch die deutsche Luftwaffe bombardiert und umgebracht werden (Die geplante Aktion erhielt den Decknamen „Wolke A 1“ - s. hierzu etwa IMT, Bd.IV, S.339; Bd.XI,S.315f.) Zu dieser Mordaktion kam es jedoch nicht mehr, da amerikanische Truppen am 1. und 2. Mai 1945 in die Lager einrückten und die Häftlinge befreiten.
[Bearbeiten] Die Anklage
Laut damaliger Nachforschungen des amerikanischen Militärgerichts befanden sich in der Zeit von Juli 1944 – als der Aufbau der unterirdischen Produktionsanlagen für den Flugzeugbau begann – bis zum April 1945 rd. 8.300 Insassen in den verschiedenen Lagern der „Mühldorf-Gruppe“. Die Untersuchung eines War Investigating Teams stellte fest, dass - neben unmittelbaren Ermordungen von Häftlingen - physische Misshandlungen, Prügeln, Ausbeutung der Arbeitskraft der Häftlinge bis zur physischen Vernichtung, mangelhafte Unterbringung bei völlig unzureichender Kleidung und Ernährung, unhygienische Lebensbedingungen, das offenkundige Unterlassen jedweder medizinischer Versorgung, den Tod von mindestens 1.800 Lagerinsassen verursacht hatte. Vor allem die Überbeanspruchung durch unmenschliche Arbeitsbelastung, bei gleichzeitiger Unterernährung („starvation diet“) war die Hauptursache für die meisten Todesfälle gewesen („Vernichtung durch Arbeit“).
[Bearbeiten] Die Angeklagten
14 Personen wurden angeklagt und in der offiziellen Anklageschrift genannt:
- Franz Auer (SS Hauptscharführer) labor commitment official, responsible for supplying
required number of laborers.
- Karl Bachmann (Direktor der Firma Polensky & Zöllner - zuständig für den Einsatz der KZ-Insassen.
- Wilhelm Bayha (SS Oberscharführer) construction detail leader, responsible for special guard details.
- Heinrich Engelhardt (SS Hauptscharführer): Acting Adjutant, responsible for executive
duties.
- Dr. Erika Flocken, Organisation Todt / OT; Ärztin und zuständig für alle medizinischen Angelegenheiten
- Karl Gickeleiter, Angestellter der Firma Polensky & Zöllner; Ingenieur : construction engineer for Polensky & Zöllner, chief PZ representative at construction site.
- Hermann Giesler, Organisation Todt / OT: director in charge of all phases of OT activities at the level of OT Group Number 6 („Einsatzgruppe Deutschland VI“/s.o).
- Daniel Gottschling (SS Unterscharführer) food supply official, responsible for issuing food.
- Wilhelm Griesinger, Organisation Todt / OT: construction chief and principal technical supervisor of construction at main construction site, responsible for enforcement of contract.
- Wilhelm Jergas (SS Hauptscharführer) roll call leader, Waldlager V-VI, responsible for getting out details of laborers and in charge of SS Guards at main construction site.
- Anton Ostermann (SS Hauptsturmführer) Befehlshaber der Wachen von Waldlager V-VI.
- Jakob Schmidberger (SS Scharführer) detail leader, Waldlager V-VI, responsible for guard details.
- Herbert Spaeth (SS Hauptscharführer) guard and clerk responsible for issuing food at SS level.
- Otto Sperling Angestellter der Firma Polensky & Zöllner - supervisor of cement mixing at main construction site.
Alle Angeklagten erklärten sich für „nicht schuldig“.
[Bearbeiten] Das Urteil
Am 13. Mai 1947 wurde das Urteil verkündet:
Franz Auer, Erika Flocken, Wilhelm Jergas, Herbert Spaeth und Otto Sperling wurden zum Tode durch den Strang verurteilt. Heinrich Engelhardt und Hermann Giesler erhielten lebenslänglich. Karl Gickeleiter, Wilhelm Griesinger und Jacob Schmidberger wurden zu 20 Jahren, Daniel Gottschling zu 15 Jahren Haft und Wilhelm Bayha zu 10 Jahren Haft im War Criminal Prison No. 1 – Landsberg – verurteilt. Zwei der Angeklagten – Karl Bachmann und Anton Ostermann – wurden freigesprochen.
Nur ein einziges der Todesurteile wurde aber tatsächlich vollstreckt. Franz Auer wurde am 26. November 1948 in Landsberg hingerichtet. Die Todesurteile von Erika Flocken, Wilhelm Jergas, Herbert Spaeth und Otto Sperling wurden bereits im Mai 1947 in lebenslange Haftstrafen abgemildert. Wenig später wurden diese Haftstrafen – ebenso wie die der anderen Inhaftierten – zunächst erneut erheblich abgemildert, bis die Verurteilten dann ganz aus der Haft entlassen wurden: Wilhelm Bayhas 10-jährige Haftstrafe war bereits am 24. Februar 1952 – als er entlassen wurde - beendet. Heinrich Englelhardts lebenslange Haftstrafe wurde am 6.Mai 1948 auf 25 Jahre Haft, am 10. August 1951 auf 15 Jahre vermindert. Am 23. Dezember 1953 wurde er aus der Haft entlassen. Erika Flockens Todesurteil wurde am 16.August 1956 zunächst auf 38 Jahre Haft abgemildert, doch bereits am 29. April 1957 wurde sie entlassen. Karl Gickeleiters 20-jährige Haft wurde am 10. August 1951 auf 10 Jahre Haft abgemildert. Er wurde am 19. Juli 1952 wurde entlassen. Hermann Gieslers lebenslängliche Haftstrafe wurde am 6. Mai 1948 zunächst auf 25 Jahre Haft abgemildert, am 7. Juli 1951 dann auf 12 Jahre Haft. Entlassen wurde er aber bereits am 18.Oktober 1952. Er ließ sich in Düsseldorf nieder, wo er als Architekt und freier Autor arbeitete. Daniel Gottschlings 15-jährige Haftstrafe wurde am 18.Juli 1951 auf 10 Jahre abgemildert. Schon am 11. Januar 1952 jedoch wurde er entlassen. Wilhelm Griesingers 20-jährige Haftstrafe wurde am 7. Juli 1951 auf 10 Jahre Haft abgemildert. Am 28. Februar 1952 wurde er entlassen. Wilhelm Jergas’ Todesurteil wurde am 10. August 1951 auf 30 Jahre Haft abgemildert, auf 25 Jahre Haft am 19. Juli 1954. Entlassen wurde er aber bereits am 13. April 1955. Jacob Schmidbergers 20-jährige Haftstrafe wurde am 31. Mai 1950 auf 10 Jahre abgemildert. Entlassen wurde er bereits am 14. Dezember 1951. Herbert Spaeths Todesstrafe wurde am 10. August 1951 auf 15 Jahre Haft abgemildert. Bereits am 28. Januar 1954 wurde er aus der Haft entlassen. Otto Sperlings Todesstrafe wurde am 7. Juli 1951 auf 20 Jahre Haft abgemildert. Sperling wurde bereits am 5. Februar 1954 aus der Haft entlassen.