Morgenthau-Plan
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Der Morgenthau-Plan war ein vom damaligen US-Finanzminister Henry Morgenthau (1891–1967) entwickelter Plan, wie mit dem besiegten Deutschen Reich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verfahren werden sollte. Der Plan, den Morgenthau am 2. September 1944 niederlegte, sah eine Teilung Deutschlands in einen Norddeutschen Staat, einen Süddeutschen Staat und eine Internationale Zone sowie eine komplette De-Industrialisierung und die Umwandlung in ein Agrarland vor, wozu 20 Jahre angesetzt waren.
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Maßnahmen im Einzelnen
Der Morgenthau-Plan versammelt alle Vorschläge, die auf alliierter Seite im Rahmen einer Nachkriegsordnung für Deutschland diskutiert wurden. Er beinhaltete folgende Punkte:
- Demilitarisierung Deutschlands
- Umwandlung des Landes in einen Agrarstaat
- Demontage der deutschen Industrie
- Stilllegung bzw. Zerstörung der Bergwerke
- Gebietsverluste und Aufteilung Deutschlands in einen nord- und einen süddeutschen Staat
- Internationalisierung von Rheinland und Ruhrgebiet
Mit diesen Maßnahmen sollte sichergestellt werden, dass nie mehr ein Aggressionskrieg von deutschem Boden ausgeht.
Öffentliche Reaktion
Der Plan, zunächst geheim, sollte ein Gegengewicht zu den gemäßigteren Plänen des alliierten Oberkommandos unter Eisenhower bilden. Am 15. September 1944 wurde eine bereits abgeschwächte Version auf der Konferenz von Quebec vom britischen Premierminister Churchill und dem amerikanischen Präsidenten Roosevelt paraphiert. Der britische Außenminister Anthony Eden und der US-amerikanische Außenminister Cordell Hull protestierten. Durch eine gezielte Indiskretion wurde der Plan am 21. September 1944 in die Öffentlichkeit gespielt. Die öffentliche Reaktion war so negativ und antisemitisch, dass sich Roosevelt distanzierte. Im September 1944 wurde der Plan fallen gelassen, ohne dass sich die zuständigen Gremien damit befasst hatten.
Der Morgenthau-Plan wurde vom Reichspropagandaministerium wie zuvor der Kaufman-Plan zur Verbreitung von Durchhalteparolen massiv im propagandistischen Rahmen eingesetzt („jüdischer Mordplan“ zur „Versklavung Deutschlands“).
Auch heutzutage dient der Plan rechtsradikalen Gruppierungen als willkommener Aufhänger für antisemitische Propaganda.
Tatsächliches Vorgehen
Der Plan wurde, da bereits 1944 nicht weiterverfolgt, im Nachkriegsdeutschland nicht umgesetzt. So bestimmte die Trumandoktrin 1947 die außenpolitische Leitlinie der US-Außenpolitik im Kalten Krieg. Diese sah es als strategisch wichtig an, vor allem diejenigen sich zum Westen rechnenden Staaten militärisch und wirtschaftlich zu unterstützen, welche an den Ostblock grenzten. So kam es, dass Westdeutschland 1948 in den Marshallplan einbezogen wurde und bis 1952 ca. 1,4 Mrd. US-Dollar Wirtschaftshilfe von den USA erhielt.
Zur Person Morgenthaus - seine Aufzeichnungen und weitere Stimmen zu seinem Plan
Morgenthau war vor und während des Krieges einer der aktivsten Antifaschisten und Befürworter eines Krieges gegen Nazi-Deutschland in den USA. Auch setzte er sich aktiv für die Rettung der europäischen Juden ein, was ihm in letzter Instanz mit dem WRB (War Refugee Board) bei der Rettung von Zehntausenden von ungarischen Juden 1944 gelang. Morgenthau war ein Anhänger agrarromantischer Ideen, so dass aus diesem Blickwinkel die Umwandlung Deutschlands in einen Agrarstaat nicht nur als Bestrafungsakt und Maßnahme zur Verhinderung eines weiteren Krieges, sondern gleichzeitig auch als Umsetzung einer positiven Utopie zu deuten sein könnte. Dies wird vom Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, Wolfgang Benz, so eingeordnet. Auch in dem Buch John Morton Blums (Deutschland ein Ackerland?), auf das sich Benz bezieht, wird dies als einer der Beweggründe Morgenthaus genannt, jedoch verweist Blum nur am Rande darauf, dagegen in erster Linie auf die anderslautende Hauptmotivation Morgenthaus, die den Schwerpunkt seiner Pläne deutlich werden lässt.
Blums Buch liegen die in der Franklin-Delano-Roosevelt-Bibliothek, New York, lagernden Tagebücher und Aufzeichnungen Morgenthaus zugrunde, die dieser selbst autorisiert hat. Blum schrieb das Buch mit Genehmigung und unter Mithilfe Morgenthaus, der auch bei Erläuterungen und Ergänzungen behilflich war, sodass sichergestellt war, dass die Textstellen nicht aus dem Zusammenhang gerissen dargestellt wurden. Blum gibt Stellen aus Morgenthaus Aufzeichnungen wieder: „Wenn wir die Ruhr stillegen, werden die Minen und Zechen Englands auf Jahre florieren“ (31. August 1944). „Wir würden der Wirtschaft Englands damit einen großen Dienst erweisen.“ (2. September 1944). „Was aus den Deutschen wird, ist mir egal ... Ich bin dafür, dass das alles erst einmal vernichtet wird. Dann können wir uns über die Bevölkerung den Kopf zerbrechen.“ (4. September 1944). „Ich würde nicht davor zurückschrecken, unsere Empfehlungen so unbarmherzig zu machen, wie es nötig ist, um unsere Ziele zu erreichen.“ (Ende August 1944). Blum bezeichnet die „Zerstörung der Ruhr“ als Kernpunkt des Morgenthau-Planes. Morgenthau: „Diese Burschen (die Deutschen) sind ja so schlau und solche Teufel. Bevor man sich’s versieht, haben sie wieder ein Heer, das marschiert. Ich weiche keinen Zoll zurück. Natürlich ist es ein ungeheures Problem. Sollen die Deutschen es lösen. Warum zum Teufel soll ich mir den Kopf zerbrechen, was mit ihnen passiert. Die Lösung scheint schrecklich, unmenschlich, grausam zu sein. Wir haben den Krieg nicht gewollt. Wir haben nicht Millionen Menschen in die Gaskammern gejagt ... Sie haben es so gewollt. Ich denke an die Zukunft meiner Kinder und Enkel und will nicht, dass diese Bestien wieder Krieg führen. Ich weiss keinen andern Weg als die Sache im Kern zu treffen, und das ist das Ruhrgebiet.“ (4. September 1944). Morgenthau erwähnt Roosevelts Bemerkung vom 19. August 1944 : „Wir müssen mit den Deutschen hart sein. Das heißt mit dem deutschen Volk, nicht nur mit den Nazis. Wir müssen sie entweder kastrieren oder so mit ihnen verfahren, dass sie nicht länger Menschen zeugen, die so wie bisher weitermachen.“
Blum zog auch die Unterlagen des US-Kriegsministers Henry L. Stimson aus der Bibliothek der Yale University New Haven, Connecticut, heran, der „kollektive Rache“ als „sinnlos und gefährlich“ ablehnte und am 4. September 1944 äußerte: „..., dass die Zerstörung eines so grossen Teils der deutschen Industrie für 30 Millionen Menschen den Hungertod bedeuten würde.“ In einem Memorandum an Roosevelt vom 25. August 1944 schrieb Stimson: „Ich kann mich auch damit nicht einverstanden erklären, dass wir die Deutschen auf das Existenzminimum setzen. Damit würden sie im Zustand der Sklaverei leben ... Ein solcher Plan müsste Spannung und Widerstand erzeugen, die den augenblicklichen Vorteil der Sicherheit aufheben, mehr noch die Schuld und die Verbrechen der Nazis in den Schatten stellen.“ Weiter: „Es würde genauso ein Verbrechen sein, wie es die Deutschen ihren Opfern zuzufügen gedachten - es würde ein Verbrechen gegen die Zivilisation selbst sein“. (Aus Rudolf Schwarz So gewannen sie den Krieg und verloren den Frieden).
Jürgen Weber unterstreicht in Geschichte der Bundesrepublik Deutschland : „Für Henry Morgenthau waren die Deutschen das, was die Juden für die Nationalsozialisten waren: die Inkarnation des Bösen in der Politik. Durch Gebietsabtretung, staatliche Zerstückelung und Rückverwandlung Deutschlands in einen Agrarstaat sollte der internationale Friedensstörer Deutschland auf immer der Mittel zum Kriegführen beraubt werden. Den Hungertod vieler Millionen Deutscher wollte Morgenthau in Kauf nehmen.“ Weber erwähnt auch die spätere Direktive an die US-Besatzungstruppen in Deutschland „JCS 1067“ vom April 1945, in der es heißt: „Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als ein besiegter Feindstaat.“
Der US-Völkerrechtler und ehemalige Chef der Beschwerdeabteilung des UN-Hochkommissars für Menschenrechte, Prof. Alfred M. de Zayas stellt in seinem Buch Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen den Widerspruch dar, der sich daraus ergibt, aus Deutschland ein Agrarland machen zu wollen und ihm gleichzeitig seine wichtigsten Agrargebiete zu nehmen (im Morgenthau-Plan vorgesehene Gebietsabtretungen) und stellt fest, dass Deutschland nur als Industrieland überleben konnte, ansonsten verhungern müsste. Zayas gibt unter Quellennennung des Protokolls Congressional Record, Senate, S. 5039 vom 15. Mai 1946 die Äusserung des amerikanischen Senators Shipstead im Senat wieder, als der Plan schon ad acta gelegt worden war: „Amerikas ewiges Schanddenkmal, der Morgenthau-Plan für die Vernichtung der deutschsprechenden Menschen.“
Der Amerikaner George N. Crocker beschreibt in seinem Buch Schrittmacher der Sowjets einen ganz anderen Aspekt des Morgenthau-Plans. Er erwähnt die Meldung des FBI an das Weiße Haus vom 8. November 1945 und bestätigend vom 4. Dezember 1945, dass ein Mitarbeiter Morgenthaus, Harry Dexter White, der den Plan ausgearbeitet hatte, als Agent der sowjetischen Regierung überführt wurde. White habe den Plan im Auftrage der Sowjetunion erstellt, weil dieser die Wirtschaft Westeuropas zerstört und Europa so für die Übernahme durch den Kommunismus reif gemacht hätte. Der US-Außenminister Hull sprach von Morgenthaus Plan als „blinder Rache“, weil sie ganz Europa treffe, denn die Industrien der europäischen Staaten waren auf Lieferungen deutscher Kohle angewiesen. Hull: „Siebzig Millionen Menschen können nicht innerhalb Deutschlands nur von der Landwirtschaft leben. Sie müssten entweder verhungern oder andern Völkern zur Last fallen. Außerdem würde dieser Plan unter den Deutschen ewigen Hass entfachen, denn er würde sie alle - und ihre Kinder und Enkel dazu - für die Verbrechen eines Teiles von ihnen bestrafen. Ja, er würde nicht nur Deutschland, sondern fast ganz Europa bestrafen.“ Hull äusserte Roosevelt gegenüber, dass 40 % der Deutschen aufgrund des Plans verhungern müssten und die Briten nur gegen die Zusage eines 6-Milliarden-Dollar-Kredits in Quebec diesem zugestimmt hätten (Cordell Hull The Memoirs of Cordell Hull, Macmillan 1948).
Der Hamburger Politologe Bernd Greiner vertritt den Standpunkt, dass für Morgenthaus Handeln das Wissen um die Ermordung der europäischen Juden maßgeblich gewesen sei.
Siehe auch
Literatur
- W. Benz: Legenden, Lügen, Vorurteile. Ein Wörterbuch zur Zeitgeschichte, dtv, München 1994.
- John Morton Blum: Deutschland ein Ackerland? Morgenthau und die amerikanische Kriegspolitik 1941-1945. Aus den Morgenthau-Tagebüchern, Droste Verlag Düsseldorf 1968.
- George N. Crocker: Schrittmacher der Sowjets (Roosevelts Road to Russia), Fritz Schlichtenmayer Tübingen 1960
- H.G. Gelber: Der Morgenthau-Plan, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 13 (1965), S. 372–402.
- Bernd Greiner: Die Morgenthau-Legende. Zur Geschichte eines umstrittenen Plans, Hamburg 1995.
- Wilfried Mausbach: Zwischen Morgenthau und Marshall. Das wirtschaftspolitische Deutschlandkonzept der USA 1944–1947 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte, Bd. 30), Droste, Düsseldorf 1996.
- Heinz Nawratil: Vertreibungsverbrechen an Deutschen, Ullstein 1987
- Rudolf Schwarz: So gewannen sie den Krieg-und verloren den Frieden, Verlag Frankfurter Bücher 1960
- Jürgen Weber: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bd.1, Schöningh Paderborn 1979
- Alfred M.de Zayas: Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen, Ullstein 1988