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Philipp Franz von Siebold

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Büste von Philipp Franz von Siebold im Stadtteil Akashicho des Stadtbezirks Chūō in Tokio, 2003
Büste von Philipp Franz von Siebold im Stadtteil Akashicho des Stadtbezirks Chūō in Tokio, 2003

Philipp Franz Balthasar von Siebold (* 17. Februar 1796 in Würzburg; † 18. Oktober 1866 in München) war ein deutscher Arzt, Japan- und Naturforscher, Ethnologe und „Pflanzenjäger“. Erster Japanaufenthalt: 11. August 1823 bis 2. Januar 1830. Zweiter Japanaufenthalt: 4. August 1859 bis Ende April 1862. Siebold ist einer der letzten und wichtigsten Zeugen des „Alten Japan“ (späte Tokugawa-Zeit vor der Meiji-Restauration). In Japan ist er unter dem Namen Shīboruto-san bis heute hochverehrt.

„Unter den Gelehrten Europas gilt Siebold als wissenschaftlicher Entdecker Japans, und dieser Ruf ist wohlbegründet. Sein Name ist unsterblich durch seine große Tat, dass er das Edelste unseres Landes und Volkes erkannte und die Kunde davon den Nationen vermittelt hat.“
(Gedenkstein in Nagasaki, 1879; Inschrift von Ōmori Ichū (1844–1908))

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Studien, Anstellung und Auftrag

Siebold studierte seit 1815 an der Universität Würzburg, wo er sich neben der Medizin mit Naturwissenschaften, Länder- und Völkerkunde beschäftigte und 1820 die medizinische Doktorwürde erlangte. Während seines Studiums war er bei der Studentenverbindung Corps Moenania aktiv. Für selbige fochte er unzählige Partien und blieb der Verbindung bis zu seinem Tode treu. Im Jahre 1822 folgte er einem Ruf nach Den Haag, wo er am 21. Juli 1822 durch kgl. Erlass zum Chirurgijn-Majoor in der niederländisch-indischen Armee ernannt wurde. Es wurde ihm gleichzeitig in Aussicht gestellt, in den Kolonien mit Naturforschung beauftragt zu werden.

In Batavia bot ihm der Generalgouverneur an, die neue nach Japan abgehende holländische Mission zu begleiten und dort in der Eigenschaft als Arzt bei der Faktorei auf Deshima zu bleiben und sich im Auftrag der Regierung mit wissenschaftlichen, namentlich aber mit naturwissenschaftlichen Studien zu beschäftigen. Er steht damit in der Tradition von Caspar Schamberger, Christoph Frick, Engelbert Kaempfer (1651-1716), Carl Peter Thunberg (1743-1828) und anderen Ärzten und Wissenschaftlern in Diensten der Niederländischen Ostindischen Kompanie auf Deshima. Medizin, Naturgeschichte und Mathematik waren bei den Japanern beliebt, und so waren gebildete Personen bei der niederländischen Faktorei stets willkommen gewesen, und Ärzte wurden besonders gut aufgenommen. Man glaubte daher, durch die Sendung eines Arztes und Naturforschers auch die handelspolitischen Absichten zu unterstützen.

[Bearbeiten] Aufenthalt in Japan

Blick auf Deshima (Karree in Vordergrund), Ansicht der Bucht und des Hafens von Nagasaki im Jahre 1828 (Fig. 1 in Siebold: Nippon, ²1897)
Blick auf Deshima (Karree in Vordergrund), Ansicht der Bucht und des Hafens von Nagasaki im Jahre 1828 (Fig. 1 in Siebold: Nippon, ²1897)

Siebold lebte von 1823 bis 1829 auf der künstlichen Insel Deshima, Nagasaki. Er lehrte als erster Arzt aus dem westlichen Kulturkreis Medizin in Japan und ist bekannt für seine Studien zur japanischen Fauna und Flora.

Siebolds Beziehungen zu den japanischen Gelehrten und Ärzten waren bestens. Die Regierungsbeamten drückten ein Auge zu und gestatteten ihm nach und nach täglich den Ausgang von Deshima, wo die übrigen Mitglieder der Faktorei inklusive ihres Vorstandes wie Staatsgefangene streng bewacht, nur ein- oder zweimal im Jahr die Insel verlassen durften und zwar nur unter amtlicher japanischer Aufsicht. Siebold erwarb später unter einem japanischen Namen ein Landhaus in Narutaki. Dort versammelten sich seine Schüler sowie Wiss- und Lernbegierige, um den fremden „Meester“ (Meister/Lehrer) zu sehen und zu hören. Er hielt wöchentlich Vorlesungen in holländischer Sprache über westliche Natur- und Heilkunde.

Die japanischen Dolmetscher, denen die holländische Sprache geläufiger war als Siebold, hatten bald Verdacht geschöpft, dass er kein Nationalholländer sei. Bei ihrer etwas mangelhaften Kenntnis der europäischen Geographie jedoch wurde den Beamten erklärt, dass der Unterschied einfach darin bestände, dass Siebold kein Niederdeutscher (oder Niederländer) sei, sondern ein Hochdeutscher – man bediente sich des wohl eigentümlichen Ausdrucks Jama Hollanda, „Bergholländer“ oder „wilder Holländer“ – und deshalb einen merkwürdigen Dialekt (hochdeutsch sei bergholländisch) spräche.

Siebold behandelte Kranke, die schließlich aus allen Landesteilen zu ihm kamen, und führte erstmals Vakzine in Japan ein.

(25. Februar 1826) In aller Frühe kamen meine Schüler und andere Ärzte aus der Gegend mit ihren Kranken und fragten mich um Rat und Hülfe. Es waren, wie gewöhnlich, chronische, vernachlässigte und unheilbare Krankheiten, und die umständlichen Konsultationen kosteten viel Zeit und Geduld. Ich that alles meinen Schülern zuliebe, deren guter Ruf darunter gelitten hätte, wenn ihre Patienten, die sie auf mich vertröstet und oft aus entfernten Orten herbeigebracht hatten, rat und hülflos wieder von dannen gezogen wären. So mußte ich oft gegen meinen Willen den Charlatan spielen.“ – Siebold: Nippon, S. 117

Von Anfang an hatte Siebold sich zum Prinzip gemacht, keinerlei Entgelt für seine Krankenbehandlung anzunehmen, während er selbst mit Geschenken aller Art freigiebig vorging. Die generös angelegten Japaner konnten und wollten hierin nicht zurückbleiben und überhäuften ihn mit Geschenken, die aber immer einen ethnographischen Wert oder wissenschaftliches Interesse haben mussten, um Annahme zu finden. Die damalige japanische Regierung hatte auf das Strengste den Verkauf von allen die Verwaltung, Topographie oder Geschichte des Landes betreffenden Werken an Ausländer untersagt und auch alle auf Religion, Kriegskunst und das Hofleben bezüglichen Gegenstände als geheim erklärt. Diese Verordnung ging soweit, dass die Ausfuhr von Kultusgegenständen, Waffen, Münzen, Karten und der meisten Bücher (mit Ausnahme solcher ganz unschädlichen Inhalts) verboten wurde, und dass selbst bei kleinen Modellen und bei Spielsachen die Miniaturwaffen bei der Ausfuhr abgenommen werden mussten. Trotzdem gelang es Siebold, in dieser Hinsicht eine außerordentlich reichhaltige Sammlung zusammenzustellen. Zusätzlich durchstreiften eigens angestellte Jäger die Wälder, und von ihm instruierte Assistenten präparierten die Bälge und Skelette der zoologischen Ausbeute.

Mit Hilfe von Rangaku-Wissenschaftlern wurde ihm gestattet, an der 4-jährlichen offiziellen Hofreise der Holländer zur Audienz beim Shogun Tokugawa Ienari teilzunehmen und das Festland zu bereisen, was eigentlich für Ausländer streng verboten war. Die Reise nach Edo zum Regierungssitz des Shogun konnte Siebold für Tier- und Pflanzen-Bestimmung und – natürlich ebenfalls verbotene – Landvermessung nutzen.

Auskundschaftung des Landes, Nachforschung über Staats- und Kirchenverfassung, Kriegswesen und andere politische Verhältnisse und Einrichtungen sind Fremdlingen aufs strengste untersagt, und die schärfsten Gesetze verbieten den Unterthanen, ihnen darüber Mitteilungen zu machen oder gar auf irgend eine Weise bei ihren Nachforschungen behülflich zu sein. Unsere japanischen Begleiter auf der Reise nach dem Hofe werden zur genauen Beobachtung solcher Verordnungen eidlich verpflichtet, und strenge genommen dürfen und können sie uns keinen Schritt über die Schranken des buchstäblichen Gesetzes erlauben, ohne ihre eigene Existenz aufs Spiel zu setzen. Diese Leute jedoch, welche durch die Berührung mit gebildeten Europäern den Kreis ihrer politischen Ansichten erweitert haben und nur zu gut die Engherzigkeit solcher Vorkehrungen von seiten ihrer Regierung einsehen lernten, halten sich in den meisten Fällen bloß an die Form des Gesetzes und sehen uns, wo es nur immer möglich ist, durch die Finger. Ohne eine solche Nachsicht wäre dem Fremden auf Japan jede wissenschaftliche Forschung rein unmöglich, denn streng genommen ist ihm jede Berührung mit Land und Volk untersagt.“ – Siebold: Nippon, S. 108

In Folge der Bekanntschaft mit japanischen Gelehrten in Edo konnte Siebold seine Sammlung auch um einen ethnographischen Teil erweitern, der dann aber viele politisch riskante Objekte enthielt.

Exemplare der Sammlung (Lit.: Noever 1997, S. 12; Siebold ²1897, S. xxv)

  • 187 Präparate von 35 Säugetier-Arten
  • 827 Bälge von 188 Vogel-Arten
  • 540 (750?) Stück von 203 Fisch-Arten
  • 166 Stück von 28 Reptilien-Arten
  • über 5000 wirbellose Tiere (Mollusken, Krustazeen, Insekten usw.)
  • 800 lebende von 500 Pflanzen-Arten
  • ca. 12000 getrocknete von 2000 Pflanzen-Arten
  • ca. 5000 ethnographische Objekte: Bücher, Karten, Münzen, Wirtschaftserzeugnisse, Alltags- und Kunstobjekte, Werkzeuge mit Rohmaterialien, Modelle von Gebäuden und Schiffen, uva.

Während der Verschiffung der Sammlung im Jahre 1828 wurde entdeckt, dass Siebold im Besitz illegaler Dokumente (Landkarten und Grundrisse) war und diese ins Ausland ausführen wollte – die sog. „Siebold-Affäre“ – und ihm wurde ein Prozess gemacht. Viele seiner japanischen Schüler wurden verfolgt, inhaftiert oder sogar hingerichtet. Siebold selbst jedoch durfte ausreisen, aber eine Rückkehr nach Japan wurde ihm zunächst verboten. Seine japanische Frau Taki und seine Tochter Ine musste er in Japan zurücklassen. Erst 1858 bis 1862 durfte er noch einmal nach Japan, nachdem im Jahre 1853 durch die Mission von Commodore Matthew Perry Japan dem Ausland geöffnet und somit die alten Verträge, wie z. B. das Aufenthaltsverbot Siebolds, aufgehoben wurden.

[Bearbeiten] Arbeit und Wirkung in Europa

Titelseite der Flora Japonica
Titelseite der Flora Japonica

Die niederländische Regierung gab Siebold nach seiner Rückkehr nicht nur unbegrenzten Urlaub zur Herausgabe seiner wissenschaftlichen Werke und zur Ordnung seiner Sammlungen, sondern unterstützte ihn auch auf jede mögliche Weise und überhäufte ihn, nachdem die Resultate seiner Forschungen nach und nach in die Öffentlichkeit gedrungen waren, mit hohen Ehren. Nachdem er die Aufstellung seiner Sammlungen vollendet hatte, widmete Siebold sich ganz der literarischen Tätigkeit: der Herausgabe seiner Werke über Japan. Eine der bedeutenden Schriften ist „Nippon. Archiv zur Beschreibung Japans …“ in neun Abteilungen (1832–1858 veröffentlicht, ²1897 erweitert). Sie enthält auch die Tagebuchaufzeichnungen seiner Hofreise und der Audienz, seiner Forschung unter den Bedingungen von Japans Abschließung, seiner ärztlichen Tätigkeit. Ferner gelten als seine Hauptwerke die Fauna (Mammalia, Aves, Pisces, Reptilia) und Flora Japonica, sowie sein Atlas des Japanischen Reichs.

Über die 1839 gegründete Siebold-Gesellschaft und Siebolds Akklimatisationsgarten in Leiden führte er viele bedeutende Gartenpflanzen in Europa ein wie Hortensien, Hosta, Blauglockenbaum und Japanischen Staudenknöterich, der in Deutschland inzwischen als invasiver Neophyt verwildert.

In der deutschen Wissenschaftsgeschichte blieb Siebold lange Zeit verkannt, doch kann man seinen wissenschaftlichen Beitrag mit Forschungsreisenden wie z. B. Alexander v. Humboldt vergleichen. Siebold gilt als Wegbereiter der Japanologie. So wurde ihm in Bonn eine Professur für Japanologie angeboten, die die erste in Europa gewesen wäre, doch er lehnte etwas hochmütig ab, da er nicht „vom Ross auf einen Esel satteln“ wollte. Siebold sammelte während seiner Zeit in Ostasien unzählige Gegenstände aus Kunst und Alltag, ganz entsprechend seinem enzyklopädistischen Anspruch. Nach seiner Rückkehr nach Europa verkaufte er Teile der Sammlungen, u.a. an die Königs- bzw. Kaiserhöfe in Holland und Wien. Hiervon konnte er sich ein angenehmes „Rentenleben“ leisten, das er vor allem mit botanischen Studien ausfüllte. Siebolds Sammlungen stellen bis heute den Grundstock der Japansammlungen einiger wichtiger Museen Europas dar (z. B. die Völkerkundemuseen Leiden, München und Wien).

In Leiden befindet sich in einem zeitlebens von ihm gemieteten, als Ausstellungsraum benutztes Haus seit 2005 das Siebold-Haus, ein den Beziehungen zwischen Japan und den Niederlanden gewidmetes Museum. Mehrere wichtige von Siebold gesammelte Stücke sind dort ausgestellt. Auch Siebold selbst ist ein Teil des Museums gewidmet. Im Hortus Botanicus der Universität Leiden stehen noch ein Dutzend von Siebold selbst aus Japan eingeführter Bäume und Sträucher, sowie eine Büste des Wissenschaftlers.

Der Name „Siebold“ gehört zur botanischen Nomenklatur und viele Pflanzen sind nach ihm benannt: Primula sieboldii, Hosta sieboldii, Viburnum sieboldii, Magnolia sieboldii, Malus sieboldii, Prunus sieboldii, Dryopteris sieboldii, Sedum sieboldii, Tsuga sieboldii und noch einige mehr.

Sein Sohn Heinrich (Henry) v. Siebold, 1852–1908, führte Teile der Forschungen fort und gilt z. B. neben Edward S. Morse (engl.) als einer der Begründer der Archäologie in Japan.

[Bearbeiten] Literatur

  • Peter Noever (Hg.): Das alte Japan. Spuren und Objekte der Siebold-Reisen, München: Prestel 1997. – ISBN 3-7913-1850-0
  • Alexander v. Siebold: „Philipp Franz von Siebold. Eine biographische Skizze.“ Bd. 1, S. xiii–xxxiii in: Ph. F. v. Siebold, Nippon. Archiv zur Beschreibung von Japan …, 2 Bände, 2., veränderte und ergänzte Auflage, hrsg. von seinen Söhnen, Würzburg und Leipzig: Leo Woerl ²1897.
  • Stockhausen, Juliana von Der Mann in der Mondsichel. Aus dem Leben des Philipp Franz von Siebold 258 S. DVA Stuttgart 1970 ISBN 3421015457

[Bearbeiten] Weblinks

commons:Hauptseite
Commons
Commons: Philipp Franz von Siebold – Bilder, Videos und/oder Audiodateien
  • Siebold-Archiv der Ruhr-Universität Bochum
  • Siebolds Nippon (PDF, 930 KB) Text-Auszüge in vollständigen Kapiteln.
  • Siebolds Fauna Japonica (Abbildungen), Universität Kyoto
  • Siebolds Flora Japonica (Abbildungen), Universität Kyoto
  • Siebolds Fauna Japonica (französischer Text) und Flora Japonica 1, 2, 3 (lateinische Text- und Tafelbände), in Kurt Stübers
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