Postdramatisches Theater
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Der Begriff Postdramatisches Theater stammt aus der Hand des Frankfurter Theaterwissenschaftlers Hans-Thies Lehmann, der hierunter Tendenzen und Stilmittel von Theater seit den ausgehenden 1960er Jahren beschreibend zusammenfasst. Als postdramatisch bezeichnet Lehmann ein Theater, das sich nicht mehr vorrangig an das Primat des Dramas, sprich an den literarischen Dramentext hält, sondern eine Ästhetik entwickelt, die in der Aufführungssituation eine Möglichkeit aufbaut, den Dramentext in ein spezielles Verhältnis zum materiellen Bühnengeschehen zu setzen, um hierdurch eine entsprechende Wahrnehmung beim Zuschauer zu erzwingen. Postdramatisches Theater zielt somit weniger darauf ab, ein Drama „textgetreu“ zu inszenieren, als durch räumliche, visuelle und lautliche Zeichen eine entsprechende Wirkung beim Zuschauer zu erzielen. Es darf allerdings nicht etwa mit Brechts Konzept (Episches Theater) verwechselt werden, da Brecht nachweislich an der Fabel festhält und so, trotz aller Verfremdung, einen dramatischen Theaterbegriff vorzieht. Postdramatisches Theater kennt, den Gedanken radikal zu Ende gedacht, keine „Handlung“ mehr, sondern konzentriert sich darauf, die Aufführung zu zentralisieren und den Kommunikationsprozess zwischen Schauspielern und Publikum anzusprechen.
Zusammengefasst meint das postdramatische Theater solche Arbeiten, in denen der literarische Text, also das eigentliche Drama, nicht länger zentraler Gegenstand im Aufführungsprozess ist, sondern andere Zeichen besonders hervortreten. Theater stellt so seine phänomenologische Weise aus, um in ein spezielles Verhältnis zum Text zu geraten. Die Definition des Begriffes ist umfassend und daher nur bedingt einheitlich definierbar. Die Frage, ob bereits in der historischen Avantgarde Anzeichen von Postdramatik vorhanden sind, wird von Lehmann damit beantwortet, dass auch die Vertreter der anti-bürgerlichen Avantgarde noch das Drama als zentrale Referenz im Auge behielten.
Lehmanns großer Essay wird vor allem in der Theaterwissenschaft unter Studenten sehr gerne und freizügig zitiert und verwendet, meistens leider nur partiell. Schlechterdings lässt sich aus Lehmanns Essay beliebig zitieren; dabei sollte sein Konzept vom postdramatischen Theater jedoch besser in seiner Gesamtheit - unter den ästhetischen Schwerpunkten Zeit, Raum, Material, Körper, Drama etc. - beachtet werden.
Nützlich wird Lehmanns Theorie wenn es darum geht, aktuelle Fragen zu Theater und dessen Möglichkeiten neu zu stellen, so etwa die Frage nach dem Verhältnis von Theater und Politik bzw. dessen politischer Wirkung. So plädiert Lehmann getreu seiner Theorie dafür, das Politische nicht im Inhalt (etwa eines Theaterstückes) zu suchen, sondern in der „Form“ des Theaters, sprich im Aufführungsprozess, der unterbrochen und in seiner Regelmäßigkeit bewusst gemacht werden soll. Diese Eigenart wird für jede Inszenierung neu zu prüfen sein.
[Bearbeiten] Postdramatische Züge bei Regisseuren und Autoren
- Sebastian Baumgarten
- Frank Castorf
- Jan Fabre
- Forced Entertainment
- Heiner Goebbels
- Elfriede Jelinek
- Jürgen Kruse
- Jan Lauwers
- The Living Theatre
- Christoph Marthaler
- Heiner Müller
- René Pollesch
- Rimini Protokoll
- Christoph Schlingensief
- Michael Thalheimer
- Robert Wilson
- The Wooster Group
[Bearbeiten] Literatur
- Lehmann, Hans-Thies (1999): Postdramatisches Theater. Frankfurt am Main: Verlag der Autoren. ISBN 3886612090.
- Lehmann, Hans-Thies (2002): Das Politische Schreiben. Berlin: Theater der Zeit. ISBN 393434416X.
- Fischer-Lichte, Erika (2004): Ästhetik des Performativen. Frankfurt am Main: Suhrkamp. ISBN 3518123734.
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