Ständestaat
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Ständestaat ist die Bezeichnung eines nach Berufsgruppen organisierten Staates, altertümelnd "Stände" genannt. Der Begriff wurde von Zeitgenossen für die Staatsform Österreichs zwischen 1933 und 1938 verwendet, die in der heutigen Geschichtsschreibung außerhalb konservativer Kreise auch als Austrofaschismus bezeichnet wird.
Diese Idee geht in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Sie hat eine starke antiliberale Stoßrichtung und ist als Protest gegen den im Kapitalismus inhärenten sozialen Abstieg traditioneller Berufsgruppen wie Bauern oder Handwerker entstanden.
In Österreich wurde diese Konzeption von Karl von Vogelsang, einem der Ideengeber der Christlichsozialen Partei vertreten. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es vor allem Othmar Spann, der solche Ideen propagierte.
Eine starke Stoßrichtung hatte diese Idee gegen die organisierte Arbeiterbewegung: Arbeitgeber und Arbeitnehmer wären sich innerhalb der "Berufsstände" gegenüber gesessen, wodurch eine selbstständige und ständeübergreifende Gewerkschaftsbewegung hätte verunmöglicht werden sollen. Die Überwindung des Klassenkampfes war also ein vordringliches Ziel der Ständestaats-Idee.
Zwar berief sich das österreichische Ständestaats-Experiment auf die Enzyklika Quadragesimo anno von Papst Pius XI.; doch wird heute angeführt, dass diese Berufung auf die Enzyklika zu Unrecht erfolgt sei, da die Kritik des Papstes am faschistischen Korporativstaat (in Nr. 91-95) weitgehend auch die österreichische ständestaatliche Verfassung getroffen habe.
Bundeskanzler Engelbert Dollfuß löste 1933 nach dem Rücktritt aller drei Nationalratpräsidenten den Nationalrat auf und konnte seine Diktatur in den Februarkämpfen 1934 festigen. Am 1. Mai 1934 wurde die Maiverfassung erlassen, die vor allem von Otto Ender ausgearbeitet worden war. Es wurde ein "christlich-deutscher" "Ständestaat" proklamiert, bei dem die Staatsgewalt von berufständisch organisierten Kammern ausgehen sollte, die Parlament und Parteien ersetzen sollten.
In der politischen Wirklichkeit war diese Staatsordnung ein Torso und diente hauptsächlich dazu, den autoritären Charakter des Regimes zu verbrämen. Von den vorgesehenen sieben Kammern wurden mit der Landwirtschaftskammer und der Kammer für den Öffentlichen Dienst nur zwei tatsächlich eingerichtet. Die wirkliche Macht wurde von der Vaterländischen Front ausgeübt. Dem Regime standen sowohl Sozialdemokraten als auch Nationalsozialisten feindlich gegenüber, so dass es von Anfang an eine schmale Basis hatte. Nach Dollfuß' Ermordung im Juli 1934 im Zuge eines nationalsozialistischen Putschversuchs wurde Kurt Schuschnigg Bundeskanzler und damit Führer des Ständestaates, bis dieser 1938 unter dem militärischen Druck der deutschen Wehrmacht seinen Rücktritt erklärte.
Auf ähnliche Denkmodelle berief sich auch das faschistische Italien, sowie die autoritären Regimes in Spanien (Franquismus) und Portugal (Estado Novo).
Der Begriff Ständestaat impliziert starre Strukturen bzw. begrenzte Aufstiegschancen, die für einige Beteiligte und damit den gesamten Staat nachteilige Auswirkungen haben.
Siehe auch: Austrofaschismus, Geschichte Österreichs
[Bearbeiten] Weblinks
- Eintrag über Ständestaat im Österreich-Lexikon von aeiou
- „Wir werden ganze Arbeit leisten...“ Der austrofaschistische Staatsstreich 1934 (Hg. Stephan Neuhäuser)
- Der Republikanische Schutzbund und die militärische Vorbereitung auf den Bürgerkrieg (Otto Naderer, Bundesministerium für Landesverteidigung)
- Die Entwicklung zum österreichischen Ständestaat 1929-1934, PDF (Fachbereichsarbeit aus Geschichte und Politischer Bildung, Bischöfliches Gymnasium Graz)
- http://www.oesta.gv.at/ Homepage des österr. Staatsarchives
- Uni-Graz - Das ständestaatliche Experiment in Österreich