Streitbare Demokratie
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Das politische System der BRD wurde vom Bundesverfassungsgericht als streitbare, wehrhafte Demokratie bezeichnet. Damit soll gesagt werden, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung (FDGO) geschützt wird, und nicht auf legalem Weg oder mit Hilfe legaler Mittel aufgehoben werden kann. Andererseits bedeutet es auch, dass gegen verfassungsfeindliche Einzelpersonen und Parteien aktiv vorgegangen werden kann, bevor sie strafrechtlich relevante Taten verüben. Die FDGO ist damit ein Minimalkonsens, welcher von allen in Deutschland an der Politik Beteiligten akzeptiert werden muss.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Gründe für die streitbare Demokratie
Die Weimarer Republik wurde am Anfang, am Tag der Annahme ihrer Verfassung, dem 31. Juli 1919, von Innenminister David (SPD) als „demokratischste Demokratie der Welt“ bezeichnet, der Präsident der Nationalversammlung, Konstantin Fehrenbach (Zentrumspartei), bezeichnete die Deutschen als das „freieste Volk der Erde“. Am Ende der Weimarer Republik übernahm Adolf Hitler die Macht und nutzte die Offenheit der Weimarer Verfassung aus, um Deutschland zu einem totalitären Staat umzubauen. Entscheidungen waren nach der Weimarer Verfassung allein dem Willen der Mehrheit unterworfen, und nicht an Werte gebunden. Es handelte sich, wie es Otto Kirchheimer 1929, vier Jahre vor der Machtübernahme Hitlers, bezeichnete, um eine „Verfassung ohne Entscheidung“. Es gab nur veränderbares, positives Recht. Auch Hitler konnte sich auf die Redefreiheit der Verfassung berufen, die er beseitigen wollte.
In der wehrhaften Demokratie stehen die Demokratie und ihre wichtigsten Elemente selbst nicht mehr zur Diskussion, sie können auch durch eine noch so große Mehrheit nicht aufgehoben werden. Ein Grund für die Einschränkung des Mehrheitsprinzips ist, dass eine momentane Mehrheit nicht für nachfolgende Generationen entscheiden kann.
[Bearbeiten] Mittel der streitbaren Demokratie
Die Handhabung der wehrhaften Demokratie bedeutet oft eine Einschränkung von Grundrechten, da auch eine große Mehrheit keine legale Diktatur errichten kann. Insofern ist jedes einzelne Gesetz und jeder einzelne Eingriff heftig umstritten.
Um eine Wiederholung der Geschichte möglichst zu verhindern, sind durch das Grundgesetz folgende Mittel gegeben:
- Nach Artikel 1 ist die Würde des Menschen unantastbar und die Grundrechte sind unmittelbar geltendes Recht.
- Nach Artikel 2 wird die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch die FDGO eingeschränkt.
- Nach Artikel 5 entbindet die Freiheit der Lehre nicht von der Treue zur Verfassung.
- Vereinigungen, die gegen die Verfassung kämpfen, sind nach Artikel 9 Abs. 2 verboten.
- Eine Verwirkung bestimmter Grundrechte (Art. 18) kann durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden, wenn diese Grundrechte im Kampf gegen die FDGO missbraucht werden.
Insbesondere werden genannt:
- Grundrechte können nicht mehr aufgehoben werden, aber einige können durch ein Gesetz zum Schutz der FDGO eingeschränkt werden, allerdings nicht in ihrem Wesensgehalt (Art. 19):
- Post- und Fernmeldegeheimnis
- Freizügigkeit
- Mit den Notstandsgesetzen wurde ein Widerstandsrecht zum Schutz der FDGO in Artikel 20 eingefügt.
- Ein Parteienverbot (Art. 21 II GG) kann nur vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden (Parteienprivileg), wenn einer Partei nachgewiesen werden kann, dass es ihr Ziel ist die FDGO zu beseitigen oder zu beeinträchtigen.
- Eine Grundgesetzänderung benötigt eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundesrat und Bundestag. Eine Änderung des Grundgesetzes ist also nicht mehr wie in der Weimarer Republik nebenbei möglich und benötigt eine breite Zustimmung.
- Ewig unveränderliche Bestimmungen, festgelegt durch Artikel 79 Absatz 3 GG:
- Annahme von unveränderlichem Naturrecht bei der Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 GG).
- Unveränderbarkeit auch der in Artikel 20 GG aufgeführten fünf Staatsstrukturprinzipien Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat, Republik und Bundesstaat. Diese beiden Prinzipien heißen auch „der feste Kern des GG“.
- Ebenfalls ist die Gliederung des Bundes in Länder sowie deren Mitwirkung bei der Gesetzgebung nicht aufhebbar.
- Nach Artikel 87a Abs. 4 darf die Bundeswehr zur Unterstützung der Polizei beim Schutz der FDGO eingesetzt werden.
- Nach Artikel 91 darf ein Land Polizeikräfte anderer Länder zum Schutz der FDGO anfordern.
- Auch im Strafgesetzbuch finden sich Regelungen zum Schutz des Staates. Laut ihm ist der Versuch, die verfassungsmäßige Ordnung zu ändern, Hochverrat und wird mit mindestens 10 Jahren Gefängnis bestraft. Weiterhin steht die Verunglimpfung des Bundespräsidenten, des Staates, seiner Symbole, sowie seiner Verfassungsorgane unter Strafe.
- Nach dem Radikalenerlass dürfen nur dem Staat loyale Personen als Beamte eingestellt werden. Diese Regelung basiert auf Artikel 33 Abs. 4 GG, nach dem Beamte in einem öffentlich-rechtlichem Dienst- und Treueverhältnis stehen.
[Bearbeiten] siehe auch
[Bearbeiten] Weblinks
- Bundesamt für Verfassungsschutz
- Grundgesetz auf dem Webserver der Bundesregierung
- Aufsatz von Felix Ginthum zur Verwirkung von Grundrechten nach Art. 18 Grundgesetz
[Bearbeiten] Literatur
- Markus Thiel (Hrsg.): Wehrhafte Demokratie. Beiträge über die Regelungen zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. (Mohr Siebeck) Tübingen 2003.
- Stephan Eisel: Minimalkonsens und freiheitliche Demokratie: eine Studie zur Akzeptanz der Grundlagen demokratischer Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland. Paderborn 1986.
- Erhard Denninger: Freiheitliche demokratische Grundordnung. Materialien zum Staatsverständnis und zur Verfassungswirklichkeit in der Bundesrepublik. Suhrkamp (suhrkamp taschenbuch wissenschaft), Frankfurt a. M. 1977.