Unwort
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Der Begriff Unwort ist ein Schlagwort aus dem Bereich der Sprachkritik. Es wurde geprägt durch die Gesellschaft für Deutsche Sprache, die neben dem Wort des Jahres von 1991 bis 1993 ein Unwort des Jahres kürte.
Die Gesellschaft für Deutsche Sprache definiert Unwort als „[…] Wörter und Formulierungen aus der öffentlichen Sprache, die sachlich grob unangemessen sind und möglicherweise sogar die Menschenwürde verletzen“ [1].
Der Begriff Unwort wird weiterhin in der Formulierung verwendet, „etwas zum Unwort erklären“. Die Verwendung des so stigmatisierten Begriffs soll dann nicht mehr politisch korrekt sein.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Gründe für die Einstufung als Unwort
In den Begründungen, warum Worte als „Unwort“ bezeichnet werden, werden oft folgende Gründe deutlich:
- Euphemismen (ein Beispiel wäre das Unwort des Jahres 1999: Kollateralschaden)
- Als entwürdigend empfundene Darstellung (ein Beispiel wäre das Unwort des Jahres 2004: Humankapital)
- (Übertriebene) Politische Korrektheit (ein Beispiel wäre das Unwort des Jahres 2003: Tätervolk)
[Bearbeiten] Unwort des Jahres (Deutschland)
Bis 1994 wurde das „Unwort des Jahres“ im Rahmen der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) gewählt. Nach einem Konflikt mit dem Vorstand der GfdS machte sich die Jury als „Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres“ selbständig.[2] Das Unwort des Jahres wird seit 1994 jährlich von der Jury der sprachkritischen Aktion „Unwort des Jahres“ an der Universität Frankfurt am Main bestimmt. Hierzu kann aber jeder Vorschläge einreichen.
Siehe auch: Unwort des Jahres
Viele Entscheidungen für „Unworte“ standen unter massiver Kritik. Entlassungsproduktivität und sozialverträgliches Frühableben wurde nach Aussage der Kritiker nahezu nicht benutzt, Humankapital und Ich-AG bewusst falsch verstanden.
Da die Benennung der Worte und Unworte des Jahres „in erster Linie als Anregung zu mehr sprachkritischer Reflexion“[3] dienen, stellt gerade die kritische öffentliche Diskussion einen Erfolgsfaktor für die Juryarbeit dar.
[Bearbeiten] Unworte des Jahres
Unwort des 20. Jahrhunderts : Menschenmaterial
Jahr | Unwort des Jahres | Begründung |
---|---|---|
2006 | Freiwillige Ausreise | Bezieht sich darauf, dass viele abgelehnte Asylbewerber vor einer drohenden Abschiebung „freiwillig“ in ihre Heimat zurückkehren. Tatsächlich hätten sie aber keine andere Wahl.[4] |
2005 | Entlassungsproduktivität | Gewinne aus Produktionsleistungen eines Unternehmens, nachdem zuvor zahlreiche für „überflüssig“ befundene Mitarbeiter entlassen wurden. |
2004 | Humankapital | degradiert Menschen zu nur noch ökonomisch interessanten Größen |
2003 | Tätervolk | grundsätzlich inakzeptabler Kollektivschuldvorwurf; als potentiell möglicher Vorwurf gegen Juden bei Martin Hohmann schlicht antisemitisch |
2002 | Ich-AG | Reduzierung von Individuen [als Aktiengesellschaft?] auf sprachliches Börsenniveau |
2001 | Gotteskrieger | Selbst- u. Fremdbezeichnung der Taliban- und El Qaeda-Terroristen |
2000 | national befreite Zone | zynisch heroisierende Umschreibung einer Region, die von Rechtsextremisten terrorisiert wird |
1999 | Kollateralschaden | Verharmlosung der Tötung Unschuldiger als Nebensächlichkeit; NATO-offizieller Terminus im Kosovo-Krieg |
1998 | sozialverträgliches Frühableben | in einer öffentlichen Erklärung zynisch wirkende Ironisierung; Karsten Vilmar |
1997 | Wohlstandsmüll | Umschreibung arbeitsunwilliger wie arbeitsunfähiger Menschen; Helmut Maucher, Nestlé |
1996 | Rentnerschwemme | falsches, angstauslösendes Naturbild für einen sozialpolitischen Sachverhalt |
1995 | Diätenanpassung | Beschönigung der Diätenerhöhung im Bundestag |
1994 | Peanuts | abschätz. Bankerjargonismus; Hilmar Kopper |
1993 | Überfremdung | Scheinargument gegen Zuzug von Ausländern |
1992 | ethnische Säuberung | Propagandaformel im ehemaligen Jugoslawien |
1991 | ausländerfrei | fremdenfeindliche Parole in Hoyerswerda |
[Bearbeiten] Weitere Kandidaten
Neben den "Unworten des Jahres" veröffentlicht die Jury auch weitere Kandidaten für dieses "Unwort".
Jahr | Kandidaten zum Unwort des Jahres | Begründung der Jury |
---|---|---|
2005 | Ehrenmord | inakzeptable Berufung auf eine archaische „Familienehre“ zur Rechtfertigung der Ermordung eines meist weiblichen Familienmitglieds. |
2005 | Bombenholocaust | widerliche Umschreibung der Zerstörung Dresdens, womit der millionenfache Mord im eigentlichen Holocaust heruntergespielt werden soll |
2005 | Langlebigkeitsrisiko | unsensibler Fachterminus für das Versicherungsrisiko, das dadurch entsteht, dass Versicherte länger leben als kalkuliert (vgl. auch „Todesfallbonus“) |
2004 | Begrüßungszentren | sprachliche Verniedlichung von Auffanglagern für afrikanische Flüchtlinge; diese Wortbildung ist kongenial zu dem schon offiziellen Namen Ausreisezentrum für Abschiebehaftanstalten |
2004 | Luftverschmutzungsrechte | nicht nur ökologisches Unding, das Wort trägt vielmehr auch dazu bei, "Treibhausgasemissionen" für unbedenklich zu halten, weil ihr Handel rechtlich geregelt wird |
2003 | Angebotsoptimierung | Beschönigung von Dienstleistungsminderungen, etwa Stilllegung von Bahnstrecken; ähnlich "Briefkastenoptimierung" |
2003 | Abweichler | Diskriminierung von Bundestagsabgeordneten, die Gewissensentscheidung über Fraktions-/Koalitionszwang stellten |
2002 | Ausreisezentrum | Behördenterminus für Sammellager, aus denen abgewiesene Asylbewerber abgeschoben werden) |
2002 | Zellhaufen | Sprachliche Verdinglichung von Biotechnikern für einen menschlichen Embryo |
2001 | Kreuzzug | pseudoreligiöse Verbrämung kriegerischer Vergeltungsmaßnahmen; US-Präsident George W. Bush |
2001 | Topterroristen | verharmlosende und positivierende Benennung von Osama bin Laden |
2001 | therapeutisches Klonen | zweifelhafte Wortzusammenstellung um Manipulationen am menschlichen Erbgut gegen Krankheiten/für Therapien in nicht absehbarer Zeit zu rechtfertigen |
2001 | Gewinnwarnung | von Aktionären verwendeter sachlich falscher Begriff, der vor geringeren Gewinnen als erwartet warnt |
2000 | überkapazitäre Mitarbeiter | Reduzierung von zu entlassenden Arbeitnehmern auf rein betriebswirtschaftliche Größen |
2000 | Separatorenfleisch | seriös klingende, bei BSE-Verdacht besonders unangemessene Bezeichnung von Schlachtabfällen |
2000 | »Dreck weg!« | CDU-Parole in Darmstadt, die sich auch gegen »missliebige« Menschen richtete |
2000 | Belegschaftsaltlasten | Abfallmetapher für Mitarbeiter, die ein Betrieb gern wieder loswerden möchte |
2000 | Humankapital | als Bezeichnung von Kindern |
2000 | Moralkeule | fatale Koppelung von »Moral« und einem Totschlaginstrument; Martin Walser |
1997 | Organspende | Pervertierung der Begriffe »Spende / spenden« in der Transplantationsmedizin |
1997 | Blockadepolitik/-politiker | diffamierende Unterstellung einer argumentationslosen Verweigerungshaltung |
1997 | neue Beelterung | bürokratische Umschreibung neuer Erziehungsberechtigter, die an die Stelle der leiblichen Eltern treten sollen |
1996 | Flexibilisierung | Bezeichnung für eine betriebswirtschaftliche Strategie, die den Wert aktiver individueller »Flexibilität« leugnet, diesen Begriff aber schönfärberisch ausbeutet |
1996 | Outsourcing | Imponierwort, das der Auslagerung/Vernichtung von Arbeitsplätzen einen seriösen Anstrich zu geben versucht |
1996 | Umbau des Sozialstaats | missbräuchliche Verwendung einer [Auf-] Baumetapher |
1996 | Gesundheitsreform | missbräuchliche Verwendung des positiv besetzten Begriffs »Reform« |
1996 | Sozialhygiene | höchst problematische Anwendung von Hygienevorstellungen auf soziale Sachverhalte; vgl. »Rassenhygiene«, »ethnische Säuberungen« |
1995 | Altenplage | Beleidigung der älteren Generation |
1995 | biologischer Abbau | Zynismus für Ausscheiden aus dem Arbeitsleben |
1995 | sozialverträglicher Stellen-/ Arbeitsplatzabbau | schönfärberische Umschreibung für Entlassungen |
1995 | abfackeln (von Sachen und Menschen) | jugendsprachliche zynische Gleichsetzung |
1994 | Besserverdienende | Pseudodefinition für neue staatliche Einnahmequellen |
1994 | Dunkeldeutschland | Ironismus für östliche Bundesländer* |
1994 | Buschzulage | Gehaltszulage für sog. Aufbauhelfer in den östlichen Bundesländern* |
1994 | Freisetzungen | für Entlassungen* |
1993 | kollektiver Freizeitpark | Unterstellung einer sozialpolitischen Wunschvorstellung; Helmut Kohl |
1993 | Sozialleichen | Verstorbene, die aus völliger Verelendung stammen; Objekte für Auto-Crashtests |
1993 | schlanke Produktion / lean production (mit weiteren Varianten) | Unternehmensstrategie mit Arbeitsplatzvernichtung |
1993 | Selektionsrest | für schwerstbehinderte Kinder, die nicht in »Normalklassen« integriert werden können |
1992 | weiche Ziele | militärsprachl. Umschreibung für Menschen |
1992 | auf-/abklatschen | tätliche und tödliche Angriffe auf Ausländer |
1992 | aufenthaltsbeendende Maßnahmen | Abschiebungen im sog. Asylkompromiß; GG Art. 16a |
1992 | Beileidstourismus | für Trauerkundgebungen anlässl. der Morde von Mölln |
1991 | durchrasste Gesellschaft | Mischung der Deutschen mit Ausländern; Edmund Stoiber |
1991 | intelligente Waffensysteme | aus der Golfkriegsberichterstattung |
1991 | Personalentsorgung | für Entlassungen |
1991 | Warteschleife | Phase sozialer Unsicherheit von Arbeitskräften in den östlichen Bundesländern |
(*) ausdrücklich mit Blick auf besondere Aktualität in den östlichen Bundesländern als Belege »sprachlicher Demütigung« gewählt.
[Bearbeiten] Unwort des Jahres (Österreich)
Seit 1999 werden auch in Österreich von der Karl-Franzens-Universität Graz im Zuge des Projekts Österreichisches Deutsch Unworte des Jahres ermittelt.
Jahr | Unwort des Jahres | Begründung der Jury |
---|---|---|
2006 | Ätschpeck | |
2005 | Negativzuwanderung | |
2004 | Bubendummheiten | |
2003 | Besitzstandswahrer | |
2002 | der Rücktritt vom Rücktritt | |
2001 | nichtaufenthaltsverfestigt | |
2000 | soziale Treffsicherheit | |
1999 | Schübling |
[Bearbeiten] Unwort des Jahres (Schweiz)
Auch in der Schweiz wird seit 2003 durch eine private Jury ein "Unwort des Jahres" bestimmt[5].
Jahr | Unwort des Jahres | Begründung der Jury |
---|---|---|
2006 | erweiterter Selbstmord | »erweiterter Selbstmord« ist laut Jury ein klarer sprachlicher Missgriff. Es verschleiere und verharmlose den Begriff des Mordes und sei ein Widerspruch in sich, da ein Selbst-Mord per definitionem nur eine Person treffen könne |
2005 | erlebnisorientierter Fan | »erlebnisorientierte Fans« seien laut einem Sprecher der Zürcher Polizei gewaltbereit oder gewalttätig, sie seien Chaoten, suchten die Konfrontation mit der Polizei, seien aber keine Hooligans, denn die gingen gegenseitig aufeinander los |
2004 | Ökoterror | Formulierung des Zürcher Stadtpräsidenten Elmar Ledergerber zum Rekurs des Verkehrs-Clubs der Schweiz (VCS) gegen das Einkaufszentrum im neuen Zürcher Stadion |
2003 | Scheininvalide | Formulierung des Schweizer Bundesrats Christoph Blocher, die eine pauschale Diffamierung von allen Menschen mit einer Behinderung darstelle |
[Bearbeiten] Börsenunwort des Jahres
Seit 2001 ermittelt die Börse Düsseldorf das Börsenunwort des Jahres: [6]
Jahr | Börsenunwort des Jahres | Begründung der Jury |
---|---|---|
2005 | Heuschrecken | Der Satz von SPD-Chef Franz Müntefering von „anonymen Finanzinvestoren, die wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen herfallen, sie abgrasen und weiterziehen“ prägt ein völlig falsches Bild dieser Investorengruppe |
2004 | Seitwärtsbewegung | Das Wort sei völlig unsinnig. Denn eine "Seitwärtsbewegung" an der Börse "findet immer dann statt, wenn sich gerade nichts bewegt". Geprägt worden sei der Begriff von Charttechnikern, vermutlich um dem Stillstand noch etwas Dynamik abzugewinnen. |
2003 | Bester Preis | |
2002 | Enronitis | „Enronitis“ setzt Verfehlungen einiger weniger an der Börse mit einem seuchenartigen Krankheitsverlauf wie einer Epidemie gleichsetzt – eine glatte Fehlbesetzung. Entstanden ist der Begriff aus dem Bilanzfälschungsskandal des amerikanischen Energiehändlers Enron, der im Februar 2002 die Börsen überraschte. Als im Zuge verschärfter Kontrollen weitere Fälle bekannt wurden, kursierte bald darauf das Wort „Enronitis“ als Synonym für den Vertrauensverlust der Anleger. |
2001 | Gewinnwarnung |
[Bearbeiten] Siehe auch
- LTI – Notizbuch eines Philologen von Victor Klemperer - Ein Buch über die Sprache des Dritten Reiches
[Bearbeiten] Literatur
In dem Buch 1984 wird dieser Trend auf die Schippe genommen indem viele fast schon sarkastische Unwörter erfunden werden zb. Lustlager für Zwangsarbeitslager , Friedensministerium für Verteidigungsministerium (wobei Verteidigungsministerium auch schon fast wieder ein Unwort ist) oder Dampfer für Interkontinentalrakete.
[Bearbeiten] Weblinks
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ Gesellschaft für Deutsche Sprache: Zitat unter „Allgemeines“. (Online Fassung)
- ↑ »Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres« Allgemeines
- ↑ Satzung der Jury „Wort des Jahres“
- ↑ Stern vom 18.01.2007
- ↑ Zitiert nach [1]
- ↑ Pressemitteilung der Börse Düsseldorf