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Gesamtschule

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Die Gesamtschule in Deutschland ist eine Form der weiterführenden Schule, die Kinder nach der Grundschule besuchen können. Sie ist in mehreren Bundesländern eine Alternative zum traditionellen dreigliedrigen Schulsystem (mit Hauptschule, Realschule, Gymnasium) geworden. Weil sie, im Gegensatz zu den anderen Schulformen, zudem meist als Ganztagsschule konzipiert ist, rückt diese alternative Schulform seit den Ergebnissen der ersten PISA-Studie wieder in den Blickpunkt der Bildungsdebatten.

Unterschieden werden integrierte Gesamtschulen und kooperative Gesamtschulen. In der integrierten Gesamtschulen werden die Schülerinnen und Schüler in einzelnen Fächern nach Leistung und Anforderungen in verschiedene Kurse aufgeteilt. In der kooperativen Gesamtschule gibt es nebeneinander Klassen des Hauptschul-, Realschul- und Gymnasialzweiges. Einzelne Fächer wie Sport werden gemeinsam unterrichtet.

In vielen Staaten außerhalb des deutschen Sprachraums sind Ganztagsschulen die Regel. Dies sind meist, aber nicht immer, auch Gesamtschulen. Alle Mädchen und Jungen besuchen dort diese eine Schulform, unabhängig von ihrem Leistungspotential. In Deutschland ist die Gesamtschule neben dem Gymnasium die einzige Schulform, die Kinder und Jugendliche in der Sekundarstufe I und II durchgehend besuchen können. Nur hier können sie ohne einen Schulwechsel alle Schulabschlüsse erreichen.

Gegner der Gesamtschule fürchten vor allem eine unzureichende Förderung überdurchschnittlich begabter Kinder und ein 'Herabziehen' der besseren Schüler durch die schlechteren. Befürworter betonen die Idee des gemeinsamen Lernens für ein besseres Zusammenleben in der Gesellschaft und die differenzierteren Lernangebote und Lernanregungen in einer Ganztagsschule. Zunehmend finden sich heute auch Stimmen, die an ein 'Heraufziehen' der schlechteren Schüler durch die besseren glauben und somit auch von einem Leistungs-Gesichtspunkt her die Gesamtschule befürworten; in der älteren Diskussion stand dieser Gesichtspunkt dagegen eher im Hintergrund.

Innerhalb des deutschen Schulsystems sind Gesamtschulen nicht unumstritten, manche Bundesländer (z.B. Sachsen) bieten sie überhaupt nicht an. Von vielen Erziehungswissenschaftlern und zunehmend auch von Wirtschaftswissenschaftlern, wird allerdings insbesondere die integrierte Gesamtschule als zukunftsweisend betrachtet.

Wenn es darum geht, in einem Bundesland die Gesamtschule nicht mehr neben dem dreigliedrigen Schulsystem, sondern als alleinige Schulform bis zur 9. Klasse zu etablieren, wurde im 20. Jahrhundert meist nicht von "Gesamtschule", sondern von Einheitsschule gesprochen.

In der Schweiz wird unter einer "Gesamtschule" eine Dorfschule verstanden, in der die Schüler mehrerer Jahrgänge gemeinsam unterrichtet werden (vgl. Zwergschule).


Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Aktuelle Entwicklungen

Deutsche Gesamtschulen (in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Thüringen und Schleswig-Holstein: "Integrierte Gesamtschulen") unterrichten Kinder und Jugendliche zunächst unabhängig vom Leistungsstand in sehr heterogenen Klassen: Beginnend mit Klasse 7 werden in den Kernfächern (Deutsch, Englisch, Mathematik) Differenzierungskurse (sog. Erweiterungs- und Grundkurse-Kurse / E- bzw. G-Kurs) eingerichtet. In welchen Fächern die Kurse eingerichtet werden, entscheidet jeweils die Schulkonferenz. Manche Gesamtschulen haben zudem ab Klasse 9 eine Profilbildung eingeführt. Sie bilden organsatorisch neue Klassen nach der Anzahl der E-Kurse, die die Jugendlichen zu diesem Zeitpunkt belegt haben. Berücksichtigt werden zudem auch die Talente sowie bestehende Freundschaften.

Mit diesen konzeptionellen Erweiterungen der ursprünglichen Gesamtschulidee reagieren sie auf die sich verändernde Arbeitsmarktsituation und die veränderten Lebensbedingungen der Jugendlichen. Angeboten wird mehr Ganztagsförderung und dies in Lerngruppen, die eine Binnendifferenzierung noch erfolgversprechend machen. Ab Klasse 9 zeigen sich in der Praxis so große Leistungsunterschiede, dass eine sinnvolle Binnendifferenzierung kaum noch planbar ist. Erst hier trennt die Gesamtschule die Jugendlichen - so wie es in den Schulen der meisten Nachbarländer geschieht.

[Bearbeiten] Ziele

Gesellschaftspolitisch soll das Konzept der Ganztags-Gesamtschule einer Entwicklung entgegen wirken, in der sich Jugendliche aus unterschiedlich sozialisierten Gesellschaftsgruppen (z. B. Akademiker, Arbeiter etc.) frühzeitig fremd werden. Heranwachsende aus potentiellen Randgruppen lernen mit und von intellektuell 'besseren' Schülern - und alle gemeinsam lernen, mit Mitmenschen aller Schichten umzugehen und diese bei Bedarf auch anzuleiten.

Deutlich zu sagen ist, dass die Schulform Gesamtschule besondere didaktische Kompetenzen seitens des Lehrpersonals erfordert: Denn wo eine äußere Differenzierung nach Leistung entfällt, muss sich der Unterricht am Prinzip der Binnendifferenzierung ausrichten. Ein erfolgreiches Konzept in Nordrhein-Westfalen ist zudem die feste Installierung von Schulsozialarbeit an allen Gesamtschulen des Landes.

[Bearbeiten] Zwischenfazit

Eigentlich war vorgesehen, nach 10 Versuchsjahren zu entscheiden, ob die Gesamtschule das bessere Konzept sei, und wenn ja, sollte sie als alleinige Schulform eingeführt werden. Konzeptionell als Alternative zum dreigliedrigen System gedacht, konkurriert die Gesamtschule nun mit den anderen Schulformen, insbesondere mit den Gymnasien um den Abschluss Abitur, sowie vor allem Hauptschulen, bei der Rekrutierung von neuen Schülern. Der vor 35 Jahren beabsichtigte sozialpolitische Effekt (Motto: Miteinander und voneinander lernen, um miteinander leben zu lernen) kann somit heute gar nicht mehr erreicht werden. Die Schülerschaft vieler Gesamtschulen spiegelt nicht das gesamte Leistungsspektrum eines Jahrgangs wieder. Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung kam zu dem Fazit, dass die Leistungen an den Gesamtschulen deutlich schlechter sind als an Gymnasien. Dies hat jedoch nicht zwingend mit einem schlechterem Konzept zu tun, sondern vielmehr damit, dass die meisten Gesamtschulen vorwiegend von Schülern mit Hauptschulempfehlungen besucht werden. Für die Einrichtung von Gesamtschulen gibt es mancherorts anstelle pädagogischer Gründe eher kommunalpolitische Motive: Die Unterhaltung eines gemeinsamen Schulzentrums scheint gerade kleineren Gemeinden eine kostengünstige Alternative zum traditionellen System. Von einer kooperativen (auch additiven) Gesamtschule spricht man hierbei, da die Dreigliedrigkeit des Schulsystems nicht aufgehoben wird. Man erhofft sich vorrangig Synergieeffekte durch diese räumliche oder organisatorische Zusammenlegung. Die ursprüngliche Form des Unterrichtes (Gemeinsam lernen) von Gesamtschule wird hierbei um mehrere Jahre verkürzt.

Kritiker des Gesamtschulwesens führen neben den Niveauverlusten, in erster Linie die "Massenabfertigung" in 5 oder gar 6-zügigen anonymen Großschulen als Kontra-Argument an.

Während zwar, auf der einen Seite, sämtliche Verliererländer der PISA-Studie Gesamtschulsysteme haben, fokussieren die Befürworter von Gesamtschulen vor allem den Blick auf die sehr erfolgreichen skandinavischen Staaten, wie zum Beispiel Finnland.

[Bearbeiten] Geschichte der Gesamtschule in Deutschland – ein Überblick

Die Geschichte der Gesamtschule ist, gemessen etwa an der des Gymnasiums, relativ kurz. Die zugrunde liegende Idee, eine Schule für alle Kinder und Jugendlichen einzurichten, unabhängig von ihrer Herkunft, ihren Fähigkeiten und Neigungen und ihrem künftigen Beruf, reicht dagegen weit zurück.

Forderungen, alle Kinder des Volkes in einer Einheitsschule (Gesamtschule) zu unterrichten, lassen sich in Deutschland bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen.

Comenius setzte sich in seinem Werk "Große Didaktik", im Unterschied zu zeitgenössischen Forderungen, drei verschiedene grundständige Schulen – Bauern-, Bürger- und Gelehrtenschulen – einzurichten, für ein einheitliches, in Stufen gegliedertes Schulsystem ein. Den Ausgangspunkt seiner pädagogischen Überlegungen stellte die Gleichheit aller Menschen vor Gott dar.

Die erste ausführliche Konzeption für eine Gesamtschule legte 1809 der damalige preußische Kultusminister Wilhelm von Humboldt vor. Diese Konzeption blieb jedoch noch 110 Jahre unverwirklicht.

Erst 1919 brachte die Weimarer Verfassung die Gesamtschule für die Sechs- bis Zehnjährigen in Gestalt der Grundschule. Vorher hatten Gymnasien eigene Vorbereitungsschulen. 1919 wurde die erste Gesamtschule Deutschlands, die Waldorfschule Stuttgart gegründet.

1947 verordnete der Alliierte Kontrollrat in seiner Kontrollratsdirektive 54 ein Gesamtschulsystem, welches jedoch noch nicht so genannt wurde. Alliierte Bildungsexperten kritisierten, dass Kinder schon nach 4 Jahren Grundschule in verschiedene Schultypen sortiert werden. Sie sahen darin einen der Gründe für die Anfälligkeit der Deutschen für den NS Staat. Begründet wurde dies damit, dass diese Art des Schulsystems bei einer kleinen Gruppe eine überlegene Haltung, und bei der Mehrzahl ein Minderwertigkeitsgefühl auslöste.

In der DDR führten die russischen Besatzungsmächte die Einheitsschule ein, die von der SED zur vereinheitlichten Erziehung zum "sozialistischen Menschen" genutzt wurde. Der Begriff Gesamtschule wurde 1963 dementsprechend auch als Abgrenzung zur Einheitsschule vom Berliner Schulsenator Carl-Heinz Evers erdacht.

Die Kritik am vertikal gegliederten Schulsystem der Bundesrepublik und die positiven Erfahrungen mit ausländischen Schulreformen, vor allem in England und Schweden führten zur Wiederaufnahme der Diskussion. Zugleich war der Blick auf die Schulsysteme in den USA, der UdSSR und der DDR gerichtet. Jedoch nicht nur die Struktur des Schulsystems, auch eine Veränderung der Unterrichtsorganisation, der Unterrichtsmethoden sowie der Bildungsziele und –inhalte wurden gefordert. Also waren die Motive einerseits die Modernisierung und Technisierung, andererseits die soziale Gerechtigkeit. Integration benachteiligter Gruppen anstatt Aussonderung war das Ziel.

Der Bildungsrat forderte die Einrichtung von Schulversuchen mit Gesamtschulen, um die anstehenden gesellschaftspolitischen Entscheidungen über die Strukturveränderungen der Schule auf wissenschaftlich begleitete und kontrollierte Versuche stützen zu können. In Deutschland wurden staatliche Gesamtschulen ab Mitte der 1960er Jahren als Schulversuche eingerichtet.

Wurde der Beschluss des Bildungsrates auch von CDU Politikern getragen, so kam es in den folgenden Jahren doch zu einem "Kulturkampf" zwischen CDU und SPD. Dies hatte mit der einhergehenden Machtverschiebung im Bund und den Ländern zugunsten der SPD zu tun, welche daraufhin die Gesamtschule als reformerisches Kernstück ihrer Politik betrachtete und dies im Bildungsgesamtplan niederschrieb. Daraufhin expandierte die Gesamtschule, was in Gymnasien und -nicht nur bei konservativen Politikern- Schrecken auslöste.

Ein Höhepunkt dieses Konfliktes war der Versuch 1978 die zwangsweise Gesamtschule in NRW zu verhindern. Die oppositionelle CDU, die Mehrzahl von Lehrer- und Elternverbänden sowie die Kirchen veranstalteten Großkundgebungen und Flugblattaktionen. Es bildete sich eine Initiative "Stoppt das Schulchaos", die vom 16. Februar bis 1. März 1978 mehr als 3,6 Millionen Unterschrift gegen die kooperative Gesamtschule sammelten und so die erforderliche 20 Prozent-Hürde für ein Volksbegehrens weit übertraffen[1]. Das neue Schulgesetz wurde so verhindert.

1982 endete der eigentlich für 10 Jahre vorgesehene Schulversuch "Gesamtschule". Je nach parteipolitischer Ausrichtung der Regierung der einzelnen Bundesländer wurden diese Versuche als hochgradig erfolgreich angesehen oder für gescheitert erklärt.
Hier drei Beispiele: Berlin baute die Gesamtschule zur Regelschule aus, Bayern löste fast alle Gesamtschulen bis 1993 wieder auf (Ausnahmen: Bertolt-Brecht-Gesamtschule Nürnberg (aufgelöst 2004), schulartunabhängige Orientierungsstufe München-Neuperlach, Gesamtschule Hollfeld und Willy-Brandt-Gesamtschule München) und Nordrhein-Westfalen entwickelte in diesen 35 Jahren eine gemischte Schullandschaft.

Es wurde gleichzeitig eine Vereinbarung der Kultusministerkonferenz getroffen, welche die gegenseitige Anerkennung der Abschlüsse gewährleistet, d.h. dass Gesamtschulabschlüsse auch in Bundesländern die das Modell Gesamtschule nicht fortgeführt haben (z.B. Bayern), angerechnet werden. Mit der Errichtung von Gesamtschulen entstand das Problem der bundesweiten Anerkennung der an ihnen erworbenen Abschlüsse und Berechtigungen. Die die Gesamtschulen ablehnenden Länder, vor allem Bayern, fürchteten, die für das dreigliedrige System geltenden Normen könnten unterlaufen werden. Lernziele und Lerninhalte müssen laut Vereinbarung den jeweiligen Anforderungen des nach Schularten gegliederten Schulwesens entsprechen.

Zu einer Neuauflage der Gesamtschuldiskussion kam es Anfang der 90er Jahre im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung. Während westdeutsche Gesamtschulbefürworter hofften, die bereits vorhandenen Einheitsschulen in Gesamtschulen umzuwandeln, wollte die ostdeutsche Bevölkerung ihr Recht auf Gymnasium verwirklicht sehen. So kam es, in Folge der NRW Unterstützung auf Länderebene (NRW war Anfang der 90er SPD regiert), nur in Brandenburg zu einer quantitativ bedeutsamen Einführung der Gesamtschule.

[Bearbeiten] Siehe auch

[Bearbeiten] Weblinks

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