Ghetto Theresienstadt
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Das Ghetto Theresienstadt wurde von den Nationalsozialisten im November 1941 in der Garnisonsstadt von Theresienstadt eingerichtet. Es war Teil des nationalsozialistischen Systems der Konzentrationslager.
Theresienstadt wurde Ende des 18. Jahrhunderts als eine Festungsanlage von Kaiser Joseph II. erbaut. Sie gliedert sich in zwei Teile: die Garnisonsstadt und die Kleine Festung. Aus der Garnisonsstadt machten die Nationalsozialisten das so genannte Ghetto.
Das deutsche Lager Theresienstadt wurde in Terezín (deutsch Theresienstadt, eingerichtet, das damals (seit dem Ende des Ersten Weltkrieges) zur Tschechoslowakei gehörte. Heute liegt Terezín in Tschechien). Heute leben in der ehemaligen Garnisonsstadt tschechische Bürger, in den Anlagen der Kleinen Festung besteht eine staatliche Gedenkstätte.
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[Bearbeiten] Das Ghetto
Nach der Besetzung des tschechischen Böhmens und Mährens durch Nazideutschland wurde im Juni 1940 ein Gefängnis der Gestapo in der Kleinen Festung eingerichtet. Im November 1941 wurde die ursprüngliche tschechische Bevölkerung in der Garnisonsstadt vertrieben und ein so genanntes Ghetto errichtet.
Die ersten tschechischen Juden wurden mit dem sogenannten Aufbaukommando aus Prag ins Ghetto verbracht. Dieses hatte die Aufgabe, die Siedlung an die Nutzung als Lager anzupassen und einen "Judenrat" zu schaffen. Die Zahl der hierhin deportierten Juden aus dem Protektorat Böhmen und Mähren wuchs rasch an. Schon im Mai 1942 waren mehr als 28.000 Juden nach Theresienstadt deportiert worden.
Im September 1942 waren bereits über 58.000 Menschen auf einem Raum interniert, der zuvor 7.000 Einwohner hatte, davon 30.000 Alte und Kranke, von diesen waren 4.000 invalide und 1.000 blind. Viele besassen nicht einmal einen eigenen Schlafplatz.
Die Gesamtzahl der Männer, Frauen und Kinder, die hier gegen ihren Willen eingesperrt wurden, betrug etwa 141.000, darunter 70.000 alte Menschen und 15.000 Kinder. Während der letzten Kriegstage trafen noch einmal 13.000 weitere Gefangene ein, die aus liquidierten Konzentrationslagern in Deutschland und Polen nach Theresienstadt verfrachtet worden waren.
Die Zahl der Betroffenen gliedert sich folgendermaßen:
Land | Zahl der Internierten |
---|---|
Böhmen und Mähren | 73.500 |
Deutsches Reich | 42.821 |
Österreich | 15.266 |
Niederlande | 4.894 |
Slowakei | 1.447 |
Bialystok (Kinder) | 1.260 |
Ungarn | 1.150 |
Dänemark | 476 |
Sonstige | 20 |
Geburten + unbeständige Zugänge | 247 |
Gesamt | 141184 |
(Quelle: Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden - Band 2, S. 457/458)
An der Tatsache, dass das Ghetto Teil des Vernichtungsfeldzuges gegen die jüdische Bevölkerung war, änderte sich durch die Propaganda nichts. Ein Viertel der Gefangenen des Ghettos Theresienstadt (etwa 33.000) starben dort vor allem wegen der entsetzlichen Lebensumstände. Etwa 88.000 Häftlinge wurden nach Auschwitz und in andere Vernichtungslager wie Treblinka, Majdanek oder Sobibor deportiert. Davon überlebten nur ca. 4.000 Menschen den Krieg. Unter den Toten waren auch viele tausend Kinder.
Das weitere Schicksal dieser Menschen in genauen Zahlen:
Abgänge | Zahl |
---|---|
in Vernichtungslager deportiert | 88.202 |
in Theresienstadt gestorben | 33.456 |
befreit | 1.654 |
geflohen | 764 |
verhaftet + vermutlich umgebracht | 276 |
am 9. Mai 1945 übriggeblieben | 16.832 |
(Quelle: Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden - Band 2, S. 458)
[Bearbeiten] Kinder in Theresienstadt
Unter den Häftlingen in Theresienstadt befanden sich ca. 15.000 Kinder. Die Häftlingsselbstverwaltung versuchte dafür Sorge zu tragen, dass zumindest die Kinder und Jugendlichen eine Überlebensschance hatten. Sie wurden in sog. Kinderheimen untergebracht, erhielten eine etwas bessere Verpflegung zulasten der Überlebenschanchen der älteren Menschen und einen geheimen Unterricht von ihren Betreuern (auch madrichim genannt).
Von den Kindern, die in die Vernichtungslager geschickt wurden, überlebten nur 150 das Kriegsende. Von ihnen sind noch Gedichte und Bilder aus dem Ghetto erhalten, die heute Gegenstand eigener Ausstellungen und Veröffentlichungen sind.
[Bearbeiten] Propaganda
Theresienstadt hatte als Konzentrationslager eine Sonderstellung. Für die Nazis diente es als "Vorzeige-" und "Altersghetto". Aufgrund dieser Stellung war die Behandlung der Häftlinge in Theresienstadt im Vergleich mit anderen Konzentrationslagern der Nazis vergleichsweise "milde".
In der Wannsee-Konferenz wurde die Garnisonsstadt als "Altersghetto" für prominente und alte Juden aus Europa vorgesehen. Sie wurden gezwungen, ihren Wohnraum zu kaufen. Einen großen Teil der Gefangenen stellten aber jüdische Familien, die aus Böhmen und Mähren deportiert worden waren.
Aus Dänemark wurden im Oktober 1943 476 Juden nach Theresienstadt deportiert. Die meisten dänischen Juden konnten noch nach der Besatzung durch Nazi-Deutschland nach Schweden flüchten, und wurden dabei von der dänischen Bevölkerung vorbildlich unterstützt. Als die dänische Regierung auf eine Inspektion des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz bestand, ließ man Theresienstadt monatelang zum "Vorzeigeghetto" verschönern, um Berichte über Greueltaten und entsetzliche Lebensbedingungen zu widerlegen.
Um den Eindruck der Überbevölkerung zu nehmen, im Vorfeld des Besuches die Transporte von Häftlingen aus Theresienstadt nach Auschwitz verstärkt. Die im Zuge dieser Aktion nach Auschwitz deportierten Juden wurden dort zunächst im separaten sogenannten "Familienlager" in Auschwitz-Birkenau untergebracht, um sie bei eventuellen Nachfragen des Roten Kreuz präsentieren zu können. Nach Ende der Kontrollen wurde dieses Lager liquidiert und die Insassen ermordet.
In Theresienstadt selbst wurden Cafés eingerichtet und eine Kinderoper Brundibár des tschechischen Komponisten Hans Krása einstudiert und aufgeführt.
Im Anschluss wurde der Film Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet. inszeniert. Am 26. Februar 1944 wurde mit den Dreharbeiten begonnen. Mit der Regie wurde Kurt Gerron beauftragt. In dem Film sollte gezeigt werden, wie gut es den Juden unter den „Wohltaten“ des Dritten Reiches ging. Nach den Dreharbeiten wurden die meisten Schauspieler und auch Gerron selbst ins Vernichtungslager von Auschwitz deportiert.
[Bearbeiten] Befreiung
Bereits kurz vor Kriegsende gelang es dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz nach langen Verhandlungen mit der SS, Juden aus Theresienstadt in neutrale Länder zu bringen. 1.200 Juden konnten am 6. Februar 1945 in die Schweiz ausreisen. Am 15. April wurden die bis dahin überlebenden dänischen Juden nach Schweden entlassen. Für knapp zwei Wochen übergab die SS die Verantwortung für Theresienstadt dem Roten Kreuz, am 8. Mai 1945 erreichte die Rote Armee das Ghetto.
[Bearbeiten] Bekannte Gefangene
- Leo Baeck (1873–1956), Rabbiner, Präsident der Reichsvertretung der Deutschen Juden (1933–1943), 1943 Deportation nach Theresienstadt
- Regina Jonas (1902-1944), erste Rabbinerin, November 1942 Theresienstadt, Oktober 1944 Auschwitz, wo sie im Dezember 1944 vergast wurde
- Ludwig Chodziesner, Rechtsanwalt, Vater der Schriftstellerin Gertrud Kolmar (Pseudonym), sie selbst kam vermutlich in Auschwitz um
- Robert Desnos (1900–1945), französischer Schriftsteller, Mitglied der Resistance, starb nach der Befreiung am 8. Juni 1945 in Theresienstadt an Typhus
- Dr. Arthur Eichengrün (1867–1949), deutscher Chemiker, Überlebender
- Adolfine Freud, Schwester von Sigmund Freud, Deportation am 29. Juni 1942 nach Theresienstadt, wo sie am 5. Februar 1943 vermutlich an Unterernährung starb
- Fritz Levy (1901–1982), der letzte Jude von Jever, verlor hier alle Verwandten
- Friedrich Münzer (1868–1942), deutscher Philologe
- Viktor Frankl (1905–1997), Psychologe, 1942 Theresienstadt, 1944 Auschwitz, Überlebender
- Gerhard Löwenthals Großeltern väterlicherseits kamen in Theresienstadt ums Leben, weitere Verwandte in anderen Lagern. Gerhard Löwenthal und sein Vater waren zeitweise im KZ Sachsenhausen inhaftiert.
- Hans Krása (1899–1944), jüdischer Komponist, Verfasser der Kinderoper Brundibár
- Auguste Van Pels (1906 - 1945), Mutter von Peter Van Pels, war Mitbewohnerin von Anne Frank im Amsterdamer Hinterhaus (starb vermutlich in Theresienstadt)
- Alfred Philippson (1864-1953), deutscher Geograf, ab 8. Juni 1942 als Jude mit seiner Familie in Theresienstadt. Die Fürsprache von Sven Hedin führte zu seiner Einstufung als "A-Prominent" und zu Hafterleichterungen der Familie, sodass diese in Theresienstadt überleben konnte. Philippson schrieb in Theresienstadt seine Lebenserinnerungen "Wie ich zum Geographen wurde".
- Ottilie Pohl (1867–1943), Stadtverordnete aus Berlin, Rote Hilfe, starb nach elf Monaten in Theresienstadt
- Elise Richter (1865–1943), Philologie- Professorin der Universität Wien, verstarb nach sechs Monaten in Theresienstadt
- Viktor Ullmann (1898-1944), tschechisch-deutscher Komponist, Dirigent und Pianist. Gestorben in Auschwitz-Birkenau
- Arthur von Weinberg (1860-1943), Chemiker, Unternehmer und Mäzen aus Frankfurt am Main, am 2. Juni 1942 verhaftet und nach Theresienstadt verschleppt, starb hier am 20. März 1943
- Julie Wolfthorn (1864–1944), deutsche Malerin, starb am 26. Dezember 1944 im Alter von 80 Jahren in Theresienstadt
- Inge Auerbacher, als Kind nach Theresienstadt gebracht (siehe Buch „Ich bin ein Stern“)
[Bearbeiten] Täter
- Reinhard Heydrich, SS-Obergruppenführer, plante und befehligte die Massenvernichtung an höchster Stelle, starb am 4. Juni 1942 an den Folgen eines Attentats
- Siegfried Seidl, Lagerkommandant von November 1941 bis Juli 1943, 1947 hingerichtet
- Anton Burger, Lagerkommandant von Juli 1943 bis Februar 1944, in Abwesenheit zum Tode verurteilt, lebte bis zu seinem Tode unerkannt in Deutschland
- Karl Rahm, Lagerkommandant von Februar 1944 bis Mai 1945, 1947 hingerichtet
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
Bilder und Texte, die in Theresienstadt entstanden sind
- Bedrich Fritta: Für Tommy zum dritten Geburtstag in Theresienstadt, 22. 1. 1944, Pfullingen 1985 (Bilderbuch)
- Hans Munk: Theresienstadt in Bildern und Reimen, Hartung-Gorre Verlag, Konstanz, 2004, ISBN 3-89649-920-3
- Ralph Oppenhejm: An der Grenze des Lebens. Theresienstädter Tagebuch. Rütten & Loening Verlag, Hamburg 1961
- Hana Volavková (Red.): Hier fliegen keine Schmetterlinge. Kinderzeichnungen und Gedichte aus Theresienstadt 1942-1944, Jugenddienst-Verlag, Wuppertal 1962
- Helga Weissová-Hosková: Zeichne, was du siehst. Zeichnungen eines Kindes aus Theresienstadt, Walkstein-Verlag, Göttingen 2004, ISBN 3-89244-783-7
- Rudolf M. Wlaschek (Hrsg.): Kunst und Kultur in Theresienstadt. Eine Dokumentation in Bildern, Bleicher, Gerlingen 2001, ISBN 3-88350-052-6
- W.G. Sebald: Austerlitz, 2001, ISBN 3-59614-864-2
- Alfred Philippson: Wie ich zum Geographen wurde, (1942/Bonn 1996), ISBN 3416026209
Monographien
- Hans G. Adler: Theresienstadt. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft 1941-1945, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, ISBN 3-89244-694-6
- Inge Auerbacher: Ich bin ein Stern, Beltz & Gelberg, Weinheim 2005, ISBN 3-407-78136-9
- Hannelore Brenner-Wonschick: Die Mädchen von Zimmer 28. Freundschaft, Hoffnung und Überleben in Theresienstadt, Droemer Verlag, München 2004. ISBN 3-426-27331-4
- Ludmilla Chládková: Das Ghetto Theresienstadt, Verlag Nase Vojsko, Terezín, 1995
- Jana Renée Friesová: Festung meiner Jugend, Vitalis Verlag, Prag 2005 ISBN 3-89919-027-0
- Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden, Fischer, Frankfurt/M, 1999
- 1. - ISBN 3-596-10611-7
- 2. - ISBN 3-596-10612-5
- Jehuda Huppert, Hana Drori: Theresienstadt-Ein Wegweiser, Vitalis Verlag, Prag 2005, ISBN 3-89919-089-0
- Kathy Kacer: Die Kinder aus Theresienstadt, Ravensburger Verlag, Ravensburg 20055, ISBN 3-473-54253-9
- Philipp Manes: Als ob's ein Leben wär. Tatsachenbericht Theresienstadt 1942-1944, Ullstein, Berlin 2005, ISBN 3-550-07610-X
Jahrbuch
- Stiftung Theresienstädter Initiative (Hrsg.): Theresienstädter Studien und Dokumente, Sefer, Prag, 1. Jg. (1994) ff.
[Bearbeiten] Film
- Filmbesprechung Theresienstadt – Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet
- Film Theresienstadt – Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet
[Bearbeiten] Weblinks
- Theresienstädter Initiative: eine internationale Vereinigung ehemaliger Insassen des Theresienstädter Ghettos
- Theresienstädter Initiative: Deutsche Juden in Theresienstadt
- Ghetto Theresienstadt 1941-1945 --- Ein Nachschlagewerk
- KEOM: Ghetto Theresienstadt
- ARC: Ghetto Terezin
- Shoa.de: Theresienstadt - Die Sonderstellung von Eichmanns "Musterghetto"
- Bilder über Theresienstadt (englisch)
- 20th Century History: Theresienstadt Ghetto (englisch)
- <http://www.bterezin.org.il> von Überlebenden des Lagers aufgebaute Gedenkstätte mit Museum und zahlreichen Kunstwerken von lagerhäftlingen im Kibbutz Givat Haim Ihud bei Haifa, Israel
Koordinaten: 50° 30′ 37" n. Br., 14° 8′ 59" ö. L.
Commons: Konzentrationslager Theresienstadt – Bilder, Videos und/oder Audiodateien |