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Gustav Theodor Fechner

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Gustav Theodor Fechner (* 19. April 1801 in Groß Särchen bei Muskau; † 18. November 1887 in Leipzig; Pseudonym Dr. Mises) war ein deutscher Physiker und Philosoph.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Leben

Die Familie Fechner zog 1815 aus Großsärchen nach Dresden. Fechner besuchte dort die Kreuzschule, wurde aber nach anderthalb Jahren mit den Worten entlassen: „Sie müssen fort, Sie können bei uns nichts mehr lernen.“ So schrieb sich der Sechzehnjährige an der Leipziger Universität als Medizinstudent ein. Er hörte mit Interesse Physiologie bei Ernst Heinrich Weber und Algebra bei Mollweide, ansonsten blieb er weitgehend Autodidakt und begeisterte sich für die Naturphilosophie Okens. Zum Arzt fühlte er sich wenig talentiert, besonders der praktische Teil des Studiums hatten ihn nach eigenem Bekunden „gänzlich um Neigung und Zutrauen gebracht“. Trotz bestandenem medizinischen Examen verdiente er seinen Lebensunterhalt durch literarische Arbeiten. Er widmete sich der Übersetzung der führenden Lehrbücher für Physik und Chemie von Jean Baptiste Biot und Louis Jacques Thénard. 1834 wurde er Ordinarius für Physik an der Universität Leipzig, der erste Direktor eines Instituts für Physik in Deutschland. Ab etwa 1824 übersetzte er Werke namhafter französischer Physiker wie Louis Jacques Thénard, J. F. Demonferrand und Jean Baptiste Biot. Im Jahr 1884 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt Leipzig ernannt.

Gustav Theodor Fechner (1801–1887)
Gustav Theodor Fechner (1801–1887)

Fechner gilt als Begründer der Psychophysik, die eine Beziehung zwischen Objekt, dem physikalischem Reiz und der Sinnesempfindung (Perzept) herstellt. 1840 führten seine anstrengenden Versuche zum Galvanismus und zur physiologischen Optik zu einem Augenleiden, das ihn beinahe erblinden ließ. In der Folge widmete sich Fechner der philosophischen Begründung der Physik und verhalf 1855 mit seinem Werk Atomenlehre der Atomistik zum Durchbruch. Fechner ist auch der Autor eines bekannten Hauslexikons in acht Bänden (Das Hauslexikon), das ab 1834 herausgegeben wurde.

[Bearbeiten] Vorschule der Ästhetik

Im Jahr 1876 veröffentlichte er das Buch Vorschule der Ästhetik, prägend nicht nur für die Genauigkeit seiner Beschreibungen. Er beeinflusste die Ästhetik bis heute durch die Innovation des empirischen Ansatzes, also von Einzelphänomenen auf das Allgemeine schließend (quasi „von unten“, also induktiv), statt vom Allgemeinen auf das Besondere (quasi „von oben“, also deduktiv).

Er scheiterte zwar in dem Versuch, ein allgemeingültiges Gesetz des ästhetischen Empfindens zu bestimmen, stellte jedoch eine Reihe von Regelmäßigkeiten fest, und ordnete diese zu Prinzipien. Gefallen wird mit Lust, Missfallen dagegen mit Unlust gleichgestellt.

Es wird unterschieden zwischen „Schön“ (ein im Jetzt einen positiven Lustertrag erzeugendes) und „gut“ (ein langfristig einen positiven Lustertrag erzeugendes). So kann etwa ein Haus „gut“ sein (indem es stabil gebaut wurde, und viele Jahre lang für eine sichere Unterkunft sorgen wird) und trotzdem „hässlich“ (im Gegensatz zu „schön“) oder auch „schön“ sein (hübsch anzusehen) und dennoch „schlecht“ (wird nicht lange halten).

Einige seiner Prinzipien sind:

[Bearbeiten] Das Prinzip der ästhetischen Schwelle

Etwas muss sowohl von der Stärke wie auch von der Qualität her aufmerksamkeitswürdig sein, damit ich mich ihm zuwende.

Die innere und äußerliche Schwelle sind voneinander abhängig (umso höher die innerliche Schwelle ist, desto intensiver muss der externe Reiz sein, um bemerkt zu werden). Eine Werbung muss z. B. entweder sehr groß oder vom Inhalt her sehr interessant sein, damit ich sie beim Vorbeifahren überhaupt betrachte. Umso interessanter der Inhalt, desto kleiner kann die Größe sein, und ich werde sie trotzdem bemerken.

[Bearbeiten] Das Prinzip der ästhetischen Hilfe

Fallen Gefallen erweckende Kleinigkeiten zusammen, ist das daraus resultierende Gefallen viel größer als für die einzelnen Teile an sich.

Eine schöne Landschaft ist beispielsweise an sich schon schön, aber wenn dazu das Wetter noch schön ist, man sich in guter Gesellschaft befindet, am besten nach einer genussvollen Mahlzeit, dann ist die Welt „perfekt“ (also viel besser, als das Ergebnis der einzelnen Situationen an sich).

Für Sachen, die Missfallen erwecken gilt die gleiche Regel, allerdings werden solche Situationen weniger häufig vorkommen, da man missfallenerregende Situationen nach Möglichkeit sofort beseitigt, bevor sie sich aufsümmieren (obwohl es immer noch passieren kann, dass z. B. der Reifen platzt wenn es gerade regnet, und man sowieso schon spät ist, um eine Präsentation zu halten. Das daraus resultierende Missfallen ist ebenfalls größer als für die einzelnen Teile der Situation an sich).

[Bearbeiten] Das Prinzip der einheitlichen Verknüpfung des Mannigfaltigen

Der Mensch hat ein angeborenes Bedürfnis nach Abwechslung.

Der Wechsel muss aber durch etwas verbunden sein, muss eine Einheit aufweisen. Umso länger die Beschäftigungsdauer mit einem Objekt, desto höher sollte die Mannigfaltigkeit sein, um nicht langweilig zu werden. Eine Mannigfaltigkeit, die keine Einheit aufweist, wird als chaotisch empfunden.

Das Verhältnis einzelner Teile zueinander kann sehr einfach sein (wie z. B. im Kreis, wo jedes Teil sich genau gleich zu den anderen Teilen verhält) oder auch hoch komplex.

Eine einzelne (auch völlige) Unterbrechung einer Gleichförmigkeit ist seine stärkste Störung (z. B. ein Fleck auf einem weißen Kleid). Eine regelmäßige Unterbrechung kann durch die Regelmäßigkeit die Störung der Unterbrechung ausgleichen und sogar übersteigen. So ziehen die meisten Menschen komplexe Muster leeren Flächen vor.

Umso abwechslungsreicher eine Sache ist, desto stärker wird das ästhetische Empfinden ausfallen, vorausgesetzt, eine Einheit wird wahrgenommen. Fehlt die Einheit, sieht man ein Chaos, dem man nichts abgewinnen kann.

Umso höher die geistige Fähigkeit, komplexes wahrzunehmen und zu verarbeiten, desto größer das Verlangen danach, und umso schnelleres Eintreten von Langeweile bei einfachen Gebilden.

[Bearbeiten] Prinzip der Widerspruchslosigkeit, Einstimmigkeit oder Wahrheit

Sich einer Einstimmigkeit bewusst zu werden ist immer im Sinne der Lust, ein Widerspruch immer im Sinne der Unlust.

Widerspruch bedeutet allerdings nicht, dass etwas hier schwarz und dort weiß ist, sondern dass etwas aufgrund einer (fehlerhaften) Schlussfolgerung, sowohl schwarz als auch weiß ist. Die Lust ist desto größer, umso überraschender die Einstimmigkeit auftritt, oder umso mehr mit einem Widerspruch gerechnet wurde.

Innere Wahrheit bezeichnet man einen zusammenhängenden Kreis von Vorstellungen, die keinen Widerspruch aufweisen.

Äußere Wahrheit ist eine Vorstellung, die zur wahrgenommenen Wirklichkeit widerspruchslos ist. Die Wahrheit ist immer im Sinne der Lust, weil sie „schön“ genau so wie „gut“ ist.

[Bearbeiten] Das ästhetische Assoziationsprinzip

„Eine Orange findet man schöner als eine entsprechend bemalte Holzkugel“ – so begründet Fechner das Assoziationsprinzip.

Das sinnliche Auge nimmt vielleicht das gleiche wahr, das geistige Auge sieht aber in der Orange einiges mehr hinein, etwa den erfrischenden Geschmack, aber auch das Herkunftsland, und eigene Vorstellungen bezüglich dieses Landes und seiner Kultur (Sommer, Sonnenschein, Meer, Urlaub, freundliche Menschen, usw.).

Das, was das sinnliche Auge wahrnimmt (der direkte Eindruck) kann dabei im Einklang oder im Widerspruch zu dem Assoziierten stehen. Umso älter und erfahrener ein Mensch ist, desto mehr tendieren die Erinnerungen (Assoziationen) dazu, die eigentliche Erfahrung zu überlagern. Junge Menschen sind dagegen weit beeinflussbarer.

Je nach bereits gesammelten Erfahrungen werden auch assoziativ Anforderungen an neue Dinge gestellt. Werden diese Anforderungen erfüllt, tritt ein Gefühl der Einstimmigkeit auf. Werden sie nicht erfüllt, empfinden wir einen Widerspruch.

„Gefühle“ sind schnelle, unbewusste Assoziationen, bei denen die Erfahrung bereits aus dem Gedächtnis verschwunden ist, das Ergebnis im assoziativen Gefühl aber erhalten bleibt.

[Bearbeiten] Direkte Faktoren und assoziative Faktoren

Nach Fechner sind sowohl die direkten Faktoren (in der bildenden Kunst also Farbe, Helligkeit, Proportion, usw.) wie auch die assoziativen Faktoren (Bildinhalte oder -bedeutung) grundlegend wichtig für das ästhetische Empfinden.

Unterschiedliche Versuche wurden seitdem unternommen, um die Beziehungen zwischen Einheit und Mannigfaltigkeit bzw. Ordnung und Komplexität zu klären. Neuere Versuche untersuchen die Verhältnisse in der bildenden Kunst und in der Musik.

So untersucht Dietrich Dörner das ästhetische Empfinden anhand des Grundbedürfnisses der „Reduzierung von Unbestimmtheit“.

[Bearbeiten] Werke

  • Elemente der Psychophysik, 1860
  • Nanna oder über das Seelenleben der Pflanzen, Leipzig, 1922
  • Das Büchlein vom Leben nach dem Tode
  • Zend-Avesta oder über die Dinge des Himmels und des Jenseits. Vom Standpunkt der Naturbetrachtung, 2 Bände, Leipzig 1919/1920

[Bearbeiten] Siehe auch

Geschichte und Entwicklung der Enzyklopädie, Wahrnehmung, Distaler Reiz, Proximaler Reiz, Perzept, Weber-Fechner-Gesetz

[Bearbeiten] Literatur

  • Irene Altmann: Bibliographie Gustav Theodor Fechner. Verlag im Wissenschaftszentrum, Leipzig 1995, ISBN 3-930433-03-6.
  • Hans-Jürgen Arendt: Gustav Theodor Fechner, ein deutscher Naturwissenschaftler und Philosoph im 19. Jahrhundert. Lang, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-631-35337-5.
  • Ulla Fix, Irene Altmann (Hrsg.): Fechner und die Folgen außerhalb der Naturwissenschaften. Interdisziplinäres Kolloquium zum 200. Geburtstag Gustav Theodor Fechners. Niemeyer, Tübingen 2003, ISBN 3-484-70041-6.

[Bearbeiten] Weblinks

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