H-Moll-Messe (Bach)
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Die h-Moll-Messe (so der heute gebräuchlichste Name) (BWV 232) ist eine der bedeutendsten geistlichen Kompositionen von Johann Sebastian Bach. Es handelt sich bei diesem Werk um eine Komposition, der das vollständige Ordinarium des lateinischen Messetextes zugrunde liegt.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Aufbau
Bach gliederte die fünf Teile des Ordinariums für seine Komposition in vier Abschnitte:
- Kyrie,
- Gloria,
- Symbolum Nicaenum (= Credo),
- Sanctus (mit Osanna), Benedictus, Agnus Dei (mit Dona nobis pacem).
Diese Abschnitte bestehen aus einzelnen, aufeinander folgenden Chorsätzen und Arien.
[Bearbeiten] Besetzung
Die h-Moll-Messe erfordert in ihrer letzten Fassung fünf Vokalsolisten (Sopran I/II, Alt, Tenor, Bass), fünf- bis achtstimmigen Chor sowie ein reich besetztes Orchester (3 Trompeten, Pauken, ein Corno da caccia, 2 Traversflöten, 2 Oboen, 2 Oboi d'amore, 2 Fagotte, Violine I/II, Viola, Basso continuo). Im Sanctus (Nr. 20) sind 3 Oboen besetzt.
[Bearbeiten] Geschichte
[Bearbeiten] Anlass
Nach dem Tode des Kurfürsten Friedrich August I. von Sachsen am 1. Februar 1733 wurde eine Landestrauer für den Zeitraum vom 15. Februar bis 2. Juli 1733 befohlen, in der keine Musik aufgeführt werden durfte. In dieser Zeit fertigte Bach Partitur und Stimmen der Missa (BWV 232I, BC E2) an. Die Aufführungsstimmen widmete er dem Nachfolger Kurfürst Friedrich August II. In seinem Begleitschreiben vom 27. Juli 1733 ersuchte er um den Titel des Hofkapellmeisters („Praedicat von Dero Hoff-Capelle“).
Warum Bach diese Kurzmesse zur vollständigen Missa tota ausbaute, ist unbekannt. Da er ab Mitte der 1730er Jahre begann, auch andere zyklische Werke mit Modellcharakter zu schaffen (Goldberg-Variationen, Weihnachtsoratorium, Die Kunst der Fuge), könnte die Erweiterung im Zusammenhang mit diesem Bestreben stehen.
[Bearbeiten] Werkgeschichte
Bach arbeitete zu unterschiedlichen Zeiten an dieser Messe:
- Das Sanctus wurde bereits 1724 für den ersten Weihnachtstag komponiert.
- 1733 entstanden das Kyrie und das Gloria (Missa brevis). Diese erste Fassung war sowohl im lutherischen wie im katholischen Gottesdienst verwendbar. Die 21 Stimmen dieser Fassung reichte Bach mit einem Widmungsschreiben im Juli beim katholischen Dresdner Hof ein, verbunden mit der Bitte um Verleihung des Titels eines „Hof-Compositeurs“. Erst nach vielfachen Erinnerungen, weiteren Widmungen und zahlreichen Konzerten wurde ihm der Titel eines „Kurfürstlich-sächsischen und königlich-polnischen Hofcompositeurs“ im November 1736 verliehen.
- 1748 entschloss sich Bach, die Messe um Credo, Sanctus und Agnus Dei zu erweitern, teils durch Neukompositionen, teils durch parodierende Umarbeitung vorhandener Sätze aus seinen Kantaten.
[Bearbeiten] Aufführungen
Dass die Missa von 1733 nicht für den Leipziger Gebrauch bestimmt war, zeigt die bezifferte Continuo-Stimme im Kammerton: In Leipzig waren die Kirchenorgeln im höheren Chorton gestimmt, so dass Bach für Leipziger Aufführungen immer eine transponierte Orgelstimme anfertigen ließ. Bach kannte die Silbermann-Orgel in der Dresdner Sophienkirche von seinen Besuchen 1725 und 1731. Am 23. Juni 1733 wurde Bachs Sohn Wilhelm Friedemann zum Organisten an dieser Kirche bestellt. Ein weiteres Indiz für eine mögliche „private“ Bestimmung der Missa ist, dass alle Schreiber der Stimmen aus dem Familienkreis stammen (Anna Magdalena, Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emanuel).
Trotz der Unterschiedlichkeit des Materials, der unterschiedlich langen Entstehungszeiten und der Vielfalt archaischer, traditioneller und moderner Formen und Stilmittel gelang es Bach, einen in sich geschlossenen Vokalzyklus von hoher Aussagekraft zu schaffen. Allerdings überschritt er damit die Möglichkeiten der Liturgie (im Gegensatz dazu die Lutherischen Messen BWV 233-236) und erlebte selbst nie eine Gesamtaufführung des Werkes.
[Bearbeiten] Liturgische Bestimmung
Zwar wurde die h-Moll-Messe in der Bach-Familie als „catholische Messe“ bezeichnet [1], dennoch unterscheidet sich der Text an zwei Stellen vom katholischen Messentext: Entsprechend der Fassung von Martin Luther ist im Gloria nach „Domine, fili unigeniti, Jesu Christe“ das Wort „altissime“ eingefügt. Im Sanctus steht statt „gloria tua“ entsprechend Jesaja 6,3 „gloria “.
[Bearbeiten] Bedeutung
Da die umfangreiche, groß dimensionierte und reich besetzte Messekomposition Elemente des konzertanten Stils der Kantate aus Bachs Zeit aufnimmt („Missa concertata“) und im besten Fall zu kirchlichen Hochfesten in liturgische Messfeiern verwendet werden kann, verliehen ihr die Musikliebhaber des 19. Jahrhunderts den Beinamen „Hohe Messe in h-Moll“, in Anlehnung an die Bezeichnung „Missa solemnis“. Die Tonartbezeichnung bezieht sich dabei auf den Beginn des Werkes – tatsächlich stehen nur wenige weitere Sätze in h-Moll, die meisten hingegen in anderen Tonarten (wegen der Naturtrompeten überwiegend in der Paralleltonart D-Dur).
[Bearbeiten] Übersicht
BWV | BC | Parodievorlage | ||
---|---|---|---|---|
I | Missa (1733) | |||
1 | 1 | Kyrie | ||
2 | 2 | Christe eleison | ||
3 | 3 | Kyrie | ||
4 | 4 | Gloria | → BWV 191/1 | |
5 | 5 | Et in terra pax | ||
6 | 6 | Laudamus te | ||
7 | 7 | Gratias agimus tibi | BWV 29/1 (EA 1731) | |
8 | 8 | Domine Deus | möglicherweise BWV 193a/5 (Musik verschollen) | → BWV 191/2 |
9 | 9 | Qui tollis | BWV 46/1 (EA 1723) | |
10 | 10 | Qui sedes | ||
11 | 11 | Quoniam tu solus sanctus | ||
12 | 12 | Cum Sanctuo Sprititu | → BWV 191/3 | |
II | Symbolum Nicenum (1748/49) | |||
1 | 13 | Credo in unum Deum | ||
2 | 14 | Patrem omnipotentem | verschollenes Urbild zu BWV 171/1 (EA 1729 oder 1737) | |
3 | 15 | Et in unum Dominum | verschollenes Duett,das bereits 1733 für BWV 213/11 als Parodievorlage dienen sollte |
|
4 | 16 | Et incarnatus est | ||
5 | 17 | Crucifixus | BWV 12/2 (EA 1714) | |
6 | 18 | Et resurrexit | vermutlich BWV Anh. 9/1 | |
7 | 19 | Et in Spiritum sanctum | ||
8 | 20 | Confiteor | ||
9 | 21 | Ex expecto | BWV 120/2 (EA 1729) | |
III | Sanctus (1725) | |||
22 | Sanctus | |||
IV | Osanna, Benedictus, Agnus Dei, Dona nobis pacem (1748/49) | |||
1 | 23 | Osanna | vermutlich BWV Anh. 11/1 (EA 1732) | |
2 | 24 | Benedictus | ||
3 | 25 | Osanna repetatur | ||
4 | 26 | Agnus Dei | vermutlich BWV Anh. 196/3 (EA 1725) | |
5 | 27 | Dona nobis pacem | BWV 232I//7 |
Anmerkungen:
- EA = Erstaufführung
- 1. Spalte: Zählung entsprechend dem Bach-Werke-Verzeichnis (BWV)
- 2. Spalte: Zählung entsprechend dem Bach-Compendium (BC)
Gloria (Nr. 4), Domine Deus (Nr. 8) und Cum Sancto Spirito arbeitete Bach zur lateinischen Weihnachtsmusik BWV 191 (zwischen 1743 und 1746) um.
Zu den Parodievorlagen:
BWV 213 „Lasst uns sorgen, lasst uns wachen“ („Herkules auf dem Scheidewege“), eine weltliche Kantate („Drama per musica“) zum Geburtstag des Kurprinzen zu Sachsen Friedrich Christian am 5. September 1733. Diese Kantate diente später als Parodievorlage für Teile des Weihnachtsoratoriums (BWV 248, 1734/35). Auf der autographen Partitur von BWV 213 ist zu Nr. 11 eine Skizze als Umarbeitung einer verschollenen Vorlage enthalten, die Bach zwar für BWV 213 nicht verwendete, dafür aber für die Nr. 15 („Et in unum Dominum“) des Symbolum der Missa tota 1746/48 (BWV 232, BC E1).
[Bearbeiten] Textvorlage
Als Textvorlage diente Bach das aus dem Mittelalter stammende Ordinarium Missae des Missale romanum in der Fassung der „Leipziger Kirchenandachten“ von 1694.
[Bearbeiten] Werkbetrachtung
[Bearbeiten] Vorbilder zur Missa von 1733
Mit den Teilen Kyrie und Gloria stellt die Missa von 1733 eine Missa brevis (im Gegensatz zur Missa longa oder Missa tota, der fünfteiligen, vollständigen Messe) dar (Begriffe aus der protestantischen Kirchenmusik, siehe: Messe (Musik)).
Besetzung und Gesamtanlage hat die Missa mit dem Magnifikat (BWV 243) in seiner wahrscheinlich ebenfalls 1733 entstandenen Fassung in D-Dur gemeinsam.
Für die äußere Form der Nummern 1, 2 und 3 diente Bach eine Missa brevis (Kyrie und Gloria in g-moll) von Johann Hugo von Wilderer (1670-1724) als Vorlage, von der er sich eine Abschrift, wahrscheinlich 1731 in Dresden, angefertigt hatte.
Auf Grund von Schreibversehen lässt sich für das Kyrie in h-Moll (BWV 232I, Nr.1) auf eine Vorlage in c-Moll schließen.[2]
Die Textstruktur von BWV 193a, Nr. 5 legt nahe, dass dieses Duett als Vorlage für das Domine Deus (BWV 232I, Nr. 8) diente. Die weltliche Kantate war eine Huldigungsmusik zum Namenstag des Kurfürsten Friedrich August I. am 3. August 1727. [3]
Auf grund stilistischer Kriterien dürften außer den Nummer 2, 5, 6 und 12 auch die übrigen Sätze Parodien sein.
[Bearbeiten] Anmerkungen
- ↑ Nachlassverzeichnis von Carl Philipp Emanuel Bach, 1790
- ↑ Wolff, Christoph (2000): „Johann Sebastian Bach“, S. 482. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, ISBN 3-10-092584-X
- ↑ Bach-Jahrbuch 1977, S. 55-74
[Bearbeiten] Literatur
- Walter Blankenburg: „Einführung in Bachs h-moll-Messe“, Bärenreiter, Kassel 1974, ISBN 3-7618-0446-6
- Walter Blankenburg: „Einführung in Bachs h-moll-Messe“, Bärenreiter, Kassel 1996, ISBN 3-7618-1170-5
- John Butt: „Mass in B Minor“, Cambridge 1991, ISBN 0-521-38716-7
- Wilhelm Otto Deutsch: „Gesten der Annahme, der Verwandlung, der Verwandtschft: Ein Beitrag zur musikalischen Hermeneutik J. S. Bachs in der h-moll-Messe“, MKirche lxii/6 (1992), 321-327
- Ulrich Prinz (Hrsg.): „Messe H-Moll“, Stuttgart 1990, ISBN 3-7618-0997-2
[Bearbeiten] Weblinks
- Johann Sebastian Bachs Werke - 6. Band: Messe in h-Moll (28.9MB in 6 PDF-Dateien)
- Text und Gliederung der h-Moll-Messe