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Idealtypus

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Der Idealtypus (auch Idealtyp) ist ein grundlegender Begriff der soziologischen Theoriebildung Max Webers. Idealtypen sind theoretische Konstrukte, die wesentliche Aspekte der (sozialen) Realität absichtlich und zielgerichtet überzeichnen.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Ziel der idealtypischen Begriffsbildung

In Objektivität (siehe Literatur unten) beschreibt Max Weber den Idealtypus als „einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte“. Die Ziele der idealtypischen Begriffsbildung liegen für ihn in erster Linie in der „Heuristik“ (Gewinnung neuer Erkenntnisse); daneben will er das Zurechnungsurteil schulen (siehe unten), und er will der „Hypothesenbildung die Richtung weisen“.

Weber verfolgt bei der idealtypischen Begriffsbildung nicht eine abbildende Beschreibung sozialen Geschehens, vielmehr ist der Idealtypus für ihn „Messlatte“ oder Benchmark, an dem das reale Geschehen gemessen werden soll. Der Idealtypus ist für ihn ein Nothafen; eine reife Wissenschaft kann auf den Idealtypus verzichten. Der Idealtypus selber ist bloß „Mittel“, „Gedankenbild“ bzw. rein „idealer Grenzbegriff“, um die Wirklichkeit analytisch erfassen zu können.

Letztlich geht es Weber um Kausalitäten (Geschichte), Regelmäßigkeiten (Soziologie) und um Entwicklungen, die mit Hilfe des I. analysiert werden können.

[Bearbeiten] Konstruktion eines Idealtypus

Konstruiert wird ein Idealtypus primär unter „zweckrationalen“ Gesichtspunkten. Gemeint ist damit ein Handeln, das am Erfolg ausgerichtet ist. (Weber kennt neben den zweckrationalen Handeln wertrationales, affektuelles und traditionelles Handeln). Um erfolgreich ein Ziel/Zweck zu erreichen, setzt das Individuum Mittel ein und bedenkt die Nebenerfolge bzw. -wirkungen. Neben der Zweck-Mittel-Relation wird eine kausale „Zurechnung“ im Idealtypus mitberücksichtigt. Um seine Ziele erfolgreich zu erreichen, benutzt das Individuum ihm bekannte kausale Zusammenhänge. Motive werden vom Forscher „deutend“ benutzt um (soziales) Handeln „verstehen" zu wollen. Der Idealtypus soll ein zusammenhängend ablaufendes Verhalten nach durchschnittlichen Denk- und Gefühlsgewohnheiten typischer Sinnzusammenhänge erfassen („Sinnadäquanz“) und gleichzeitig die Aufeinanderfolge von Vorgängen kausal mit berücksichtigen, so dass nach Regeln der Erfahrung eine Chance besteht, dass diese Vorgänge immer gleich ablaufen („Kausaladäquanz“, in W+G §1).

[Bearbeiten] Theorie und Erfahrung

Weber betont wiederholt, dass er Soziologie als Erfahrungswissenschaft sieht (Zum besseren Verständnis des Weberschen Vorgehens und seiner methodologischen Argumentation muss man indes in Rechnung stellen, dass er sich hierbei stark auf die Erkenntnistheorie des badischen Neukantianers Heinrich Rickert gestützt hat.).

Da Motive andererseits einer direkten Beobachtung nicht zugänglich sind, muss der Soziologe „deuten“, „verstehen“. Wir können das Verhalten von Menschen „verstehen“ durch Sinnerfassung – das Verhalten von (biologischen) Zellen können wir nicht „verstehen“, sondern nur funktional erfassen (Zellen haben keine Motive). Weber sieht im Sinnerfassen eine „Mehrleistung“ der deutenden gegenüber der empirisch beobachtenden Erklärung. Allerdings wird dieses erkauft „durch den wesentlich hypothetischeren und fragmentarischen Charakter der durch Deutung zu gewinnenden Ergebnisse“ (W+G §1).

Weber führt mehrfach aus, dass er den Idealtypus als „Messlatte“ ansieht. Tatsächlich handelt es sich wohl eher um eine Gegenüberstellung einer idealtypischen Konstruktion zu einer empirisch ermittelten Situation, aus der er dann Kausalitäten (Geschichte) oder Regelmäßigkeiten (Soziologie, Wirtschaft) gewinnen will.

[Bearbeiten] Beispiele von Idealtypus

Weber gibt in Wirtschaft und Gesellschaft zwei Beispiele:

(1) Börsenpanik: Idealtypisch kann das Börsengeschehen zunächst zweckrational konstruiert werden. Es wird dargestellt, wie eine Börse durchschnittlich oder normalerweise funktioniert, d.h. ohne irrationale Affekte der Handelnden. Erst hernach werden die irrationalen Komponenten als Störungen eingeführt.

(2) Moltke und Benedek, der „Feldzug 1866“ (gemeint ist der Preußisch-Österreichische Krieg): Zunächst muss ermittelt werden, wie jeder der beiden unter voller Kenntnis aller Informationen zweckrational gehandelt haben würde(!), um erfolgreich den jeweils anderen zu besiegen ( = idealtypischer Verlauf). Dann erst kann in einem zweiten Schritt ermittelt werden, wie beide tatsächlich handelten unter Berücksichtigung von falscher Information, Irrtum, Denkfehler etc. Aus dieser Differenz will Weber kausalanalytisch ermitteln, warum letztendlich Moltke die Schlacht bzw. den Krieg gewann.

Die Begriffe „Herrschaft“ und „Macht“ führt Weber ein als soziologische Grundbegriffe („definitionsgemäß“) - nicht als Idealtypen („Konstruktionen“).

[Bearbeiten] „Richtigkeitsrationalität“

In „Objektivität" wird zweckrationales Handeln noch am Begriff der „Richtigkeitsrationalität“ orientiert. „Richtig rational" handelt das Individuum, wenn sein Handeln an „objektiv“ richtigen Wertideen (kulturell vorgegebene Ziele, z. B.: „Deutschland als Großmacht“) orientiert ist. Da diese Wertideen sich einer objektiven Behandlung im Sinne idealer Zwecke entziehen („sinnlos“), hat Weber diesen Begriff wieder fallen lassen. Es gibt keinen objektiven Geist – zumindest nicht bei Max Weber. Idealtypen sind daher nicht zu verstehen und zu konstruieren im Sinne eines Sollens – auch nicht eines ethischen Sollen -, sondern rein im Sinne subjektiver Sinngebung (Interessen, Eigennutz = rational).

[Bearbeiten] Literatur

  • Max Weber: Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, 1904 = zitiert als „Objektivität
  • Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft (insbesondere § 1), 1922 (1914) = zitiert als „W+G"
  • Alexander v. Schelting: Max Webers Wissenschaftslehre, Tübingen 1934
  • Hans Albert: Probleme der Wissenschaftslehre in der Sozialforschung, 1967, 1973f
  • Peter-Ulrich Merz: Max Weber und Heinrich Rickert. Die erkenntniskritischen Grundlagen der verstehenden Soziologie, Würzburg 1990
  • Enzyklopädie „Philosophie und Wissenschaftstheorie" (Hrsg. Jürgen Mittelstrass): Artikel „Idealtypus", 1995, ²2004 (dort auch weitere Literatur)
  • Dirk Kaesler: Max Weber. Eine Einführung in Leben, Werk und Wirkung, 2003
  • Hermann Korte: Soziologie, 2005 (kurze didaktisch-grundlegende Darstellung von Max Webers Theorie)

[Bearbeiten] Siehe auch

Typ, Normaltyp

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