Inland Empire
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Filmdaten | |
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Originaltitel: | Inland Empire |
Produktionsland: | USA, Frankreich, Polen |
Erscheinungsjahr: | 2006 |
Länge (PAL-DVD): | 172 Minuten |
Originalsprache: | Englisch |
Stab | |
Regie: | David Lynch |
Drehbuch: | David Lynch |
Produktion: | David Lynch, Mary Sweeney, Jeremy Alter, Laura Dern |
Musik: | David Lynch, Angelo Badalamenti |
Kamera: | Odd-Geir Sæther |
Schnitt: | David Lynch |
Besetzung | |
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Inland Empire ist ein US-amerikanisches Mystery-Drama von Regisseur David Lynch aus dem Jahr 2006. Der Film ist eine Produktion von Studio Canal im Verleih von Canal+. In den USA verleiht Lynch den Film über seine eigene Firma Absurda an ausgewählte Kinos, in Deutschland wird Concorde Film den Verleih des Films übernehmen. Die Weltpremiere fand am 6. September 2006 bei den Filmfestspielen von Venedig statt. In den USA feierte der Film beim New York Film Festival seine Premiere am 29. September 2006 und kam im Dezember 2006 in die amerikanischen Kinos. In Deutschland startet Inland Empire am 26. April 2007.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Inhalt und Handlung (Details)
Der Film beginnt mit dem Blick auf eine Nadel in einer Plattenrille (eine Anspielung auf die Mulholland Drive Erkenntnis "No Hay Banda/Es gibt keine Band" ergo: es ist alles nur eine Illusion) und eine Frau ist zu hören, die ein altes polnisches Lied singt: "Ein kleines Mädchen wollte spielen, doch sie ging verloren, als wäre sie nur halb geboren …". Dann sieht man ein Paar, dessen Köpfe unkenntlich gemacht sind, während sie über Sex reden. Danach folgt der Blick in einen Wohnraum, in dem sich drei Menschen mit Hasenköpfen befinden. Die drei Hasen-Menschen sitzen entweder regungslos auf einem Sofa oder bügeln. Dann sieht man die Hauptdarstellerin des Films, Nikki Grace, die in Kürze eine Affäre mit einem Schauspielkollegen beginnen wird. Dann folgen Blicke in etliche weitere Flure, Fenster und Räume, darunter auch der für Lynch-Filme typische 'Pink Room', in denen kaum etwas anderes passiert, als dass Menschen dort voller Panik in den Augen verharren.
Es beginnt eine Geschichte von Dreharbeiten zu einem großen Kinofilm und über das Casting hierfür. Nikki Grace bekommt die Chance auf ein großes Leinwand-Comeback in dem Film "On High in Blue Tomorrows" (ein Liebesdrama über eine verhängnisvolle Affäre mit einem Südstaaten-Gentleman), denn sie soll in ihm die Hauptrolle spielen. Nikki findet heraus, dass der Film früher schon einmal gedreht worden ist, jedoch ohne beendet worden worden zu sein. Der Grund: beide Hauptdarsteller wurden ermordet, bevor der Film fertig gedreht war. Zudem ist "On High in Blue Tomorrows" offensichtlich ein unautorisiertes Hollywood-Remake.
Auch dieses Mal werden die Dreharbeiten mit jedem Shot des Regisseurs mysteriöser; Zeit und Raum verschieben sich für Nikki. Sie trifft auf Susan 'Sue' Blue, ihr früheres Ich, die Realität verschwimmt - auch deshalb, weil Nikki und Sue den gleichen Ehemann haben namens Piotrek Krol. Fordern die verstorbenen Akteure des früheren Films Tribut? Permanent tauchen die drei Hasen-Menschen auf und geben allerlei rätselhafte Äußerungen von sich, während von Band aus dem Off hierzu Lacher eingespielt werden. Immer wieder stellt Nikki entsetzt fest, dass sie sich noch in der Filmhandlung befindet, obwohl sie längst wieder in ihrer persönlichen Wirklichkeit zu sein scheint. Während sie über eine blau-dunkle Straße rennt/flieht schreit sie laut: "Ich habe Annggsst".
Nikki sieht junge Mädchen, die ihre nackten Brüste zeigen und ihr raten, mit einer Zigarre ein Loch in einen Slip zu brennen um durch das Loch in die Zukunft zu blicken, begegnet einem Grammophon-Phantom und später dessen Schwester, hat eine mysteriöse Nachbarin, die unangemeldet in Nikkis Wohnung steht, Nikki vor der Annahme der neuen Rolle warnt und die ihr aufgibt, Parabeln zu lösen. Dabei enträtselt Nikki/Susan die Geschichte eines von Ost-Europa ausgehenden Prostituiertenhändlerrings, der von Zirkusclowns geleitet wird, entdeckt den Zirkus ('Cyrk Zalewsky') in einer Fabrikhalle und stellt fest, dass der ursprüngliche Film unter dem Titel "47" in Lodz/Polen gedreht worden war. Mit fortschreitender Dauer des Film spürt Nikki, dass ihre Suche nach der eigenen Identität in den einzelnen Filmwelten hintergründig eine Konfrontation mit ihren eigenen Ängsten ist.
Dies ist der rote Faden des Films: weshalb hat der Mensch Angst und wovor. Nikki hält dabei nur die einzelnen Teile des Film zusammen, spielt einmal die Dame aus feiner Gesellschaft und dann wieder eine Prostituierte. Die Schlüsselszene für Nikki ist eine Passage auf dem „Walk of Fame“ in Hollywood, in welcher ihr (oder Sue?) ein Schraubenzieher in den Leib gestochen wird. Sie verblutet hilflos zwischen Obdachlosen, bis eine Kamera sichtbar wird, die das Ganze als Filmszene entlarvt.
[Bearbeiten] Ausklang
Am Ende des Filmmonuments singen Prostituierte den Song "Sinnerman" von Nina Simone und ein Mann mit einer roten Wollmütze zersägt einen Holzscheit, was Assoziationen zu den Lynch-Filmen "Twin Peaks" und "Blue Velvet" zulässt. In der letzten Szene sitzt Nikki entspannt am anderen Ende des Raumes, in dem man sie während des Filmes oft voller Angst (mit)erleben durfte und hat ihr Trauma (manifestiert im Filmsong "Strange What Love Does") überwunden: "Sweet" … eine Frau in Schwierigkeiten wurde dadurch gerettet, dass sie am Ende doch geliebt wurde.
[Bearbeiten] Hintergrund
"Inland Empire" wird seit den 1950er Jahren üblicherweise der Landstrich Südkaliforniens genannt, welcher zwischen Los Angeles, San Diego und Orange County verläuft („Inland“ deshalb, weil hier im 17. Jahrhundert die ersten spanischen und mexikanischen Siedlungen Kaliforniens entstanden und dieses Gebiet rund 37 Meilen östlich der Pazifikküste liegt). Lynch hat zwar festgelegt, dass sein Inland Empire immer in Großbuchstaben geschrieben werden soll, hat jedoch seine Äußerung, er habe dies aus rechtlichen Überlegungen festgelegt, inzwischen zurückgenommen. David Lynch deutete in Venedig an, Inland Empire könne man im weitesten Sinne als Synonym für das Hauptfilmthema, die vom menschlichen Körper Besitz ergreifende Panik und Angst sehen.
[Bearbeiten] Reaktionen
- Schon bei der Biennale in Venedig, wo der Film Anfang September 2006 Premiere hatte, löste er unterschiedliche Reaktionen aus. Einig waren sich Kritiker wie Publikum aber über die herausragende schauspielerische Leistung von Laura Dern. Lynch selbst sagte in Venedig, dass Inland Empire schon allein wegen seiner Länge von fast drei Stunden, aber auch grundsätzlich, nicht sofort verstanden werden kann. Die unzähligen miteinander verzahnten Handlungsstränge und Handlungswechsel lassen über die 172 Minuten Dauer Raum für umfangreiche Interpretationen.
- Lynch selbst hat bei der Premiere seines Films erklärt, er könne nicht sagen, wovon Inland Empire handle. Dies müsse jeder Zuschauer für sich selbst herausfinden. Inland Empire sei ein Blick durch „verschwommene Scheiben des menschlichen Ichs auf dunkle Abgründe“. Dies wird den Film voraussichtlich kontrovers machen, Lynch setzt seine kontinuierliche Entwicklung des Narrativen, die Herausbildung einer Traumlogik, über Lost Highway und Mulholland Drive nahtlos fort (siehe auch: Surrealismus, Stream of Consciousness). Lynch ist ein Anhänger der Transzendentalen Meditation, bezieht seine Inspiration jedoch, wie er sagt [1], aus der Kontemplation, d. h. aus einfacher Ruhe.
- Angesprochen auf die Filmmusik und ihre Wirkung sowohl auf die Filmhandlung als auch auf den zuschauenden Betrachter des Films erwähnte Lynch den Film Koyaanisqatsi von Godfrey Reggio und erklärte bei Inland Empire habe er eine ähnliche Verbindung zwischen Bildern und Musik erreichen wollen.
[Bearbeiten] Trivia
- Zu Beginn stieg der Film in der IMDB mit recht hohen Wertungen ein (bis zu 9.2 Punkte von 10 am 9. Oktober 2006).
[Bearbeiten] Entstehung
- Inland Empire wurde von Lynch als sogenannter „Patchwork-Film“ gedreht, d. h. ohne Drehbuch, wobei die Schauspieler vom Regisseur jeweils nur die aktuell zu drehende Szene bekannt gegeben bekamen, so dass ihnen der Plot des Film sowie die Zusammenhänge mit anderen Szenen nicht bekannt waren. David Lynch sagte, er wolle mit Inland Empire einen Weg aufzeigen, wie „big pictures“ zukünftig gedreht werden könnten. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagte Lynch weiter: „Das Licht in L.A. ist so inspirierend! Das Licht hat damals alle vom Süden nach L.A. gelockt! Als ich mich mit Laura Dern über einen neuen Film unterhalten habe, sagte sie mir, ihr Mann Ben Harper komme aus dem ‚Inland Empire‘. Ich weiß nicht mehr, wann, aber ich sagte: Das ist der Titel für meinen nächsten Film, über den ich damals nichts wusste. Und dann: Meine Eltern haben eine Berghütte in Montana. Mein Bruder hat da eines Tages geputzt und hinterm Schrank ein altes Zeichenbuch gefunden. Es war mein altes Zeichenbuch, aus der Zeit, als ich fünf Jahre alt war. Das erste Bild ist eine Landschaftsansicht von Spokane, darunter steht: ‚Inland Empire‘. Also dachte ich, ich bin auf dem richtigen Weg.“
- Die Dreharbeiten fanden in Lodz, Polen und in Los Angeles, Kalifornien, USA statt. In Venedig dankte Lynch den europäischen Unterstützern seines Films und sagte, nirgendwo anders als in Europa sei es für ihn möglich, Filme genau so zu machen, wie er sie sich vorstelle.
- Der Film wurde ausschließlich auf Digital Video (DV) mit auch für den Heimbereich erschwinglichen DSR-PD150 Kameras von Sony gedreht.
[Bearbeiten] Literatur
- Chris Rodley (Hrsg.): David Lynch : Lynch über Lynch. Aus dem Amerikanischen von Marion Kagerer, 2. Auflage 2002, Verl. der Autoren, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-88661-200-7
- Georg Seeßlen, David Lynch und seine Filme, 6. Auf. 2007, Schüren Verlag, Marburg, ISBN 978-3-89472-437-5
[Bearbeiten] Notizen und Referenzen
- ↑ Chris Rodley (Hrsg.): David Lynch: Lynch über Lynch. Seite 298, zu Lost Highway
- Der 1999 entstandene Spielfilm Magnolia des US-amerikanischen Regisseurs Paul Thomas Anderson spielt ebenfalls im "Inland Empire" und hat zudem (abzüglich des Prologs) eine fast identische Länge.
[Bearbeiten] Auszeichnungen
- Bei den Filmfestspielen von Venedig 2006 erhielt David Lynch den „Future Film Festival Digital Award“.
- Der Film wurde bei den Independent Spirit Awards 2007 mit einem Sonderpreis ausgezeichnet.