Kunstmärchen
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Die Gattung der Kunstmärchen ist eine spezielle Ausprägung des Literaturgenres Märchen.
[Bearbeiten] Gattungsmerkmale
Im Gegensatz zum Volksmärchen sind Kunstmärchen die Schöpfung eines bestimmten Dichters oder Schriftstellers. Sie übernehmen häufig Stil, Themen und Elemente der Volksmärchen und weisen meist deren eindimensionale Erzählform und abstrakten Typisierungen von Ort, Zeit und handelnden Personen auf. Kennzeichnend sind auch hier Schwarz-Weiß-Malerei, eine Moral sowie übernatürliche oder irrationale Elemente.
Merkmale: Das Kunstmärchen geht in seiner einmaligen Gestalt auf einen namentlich bekannten Autor zurück. Es ist seit der Antike verbreitet (Apuleius: ,Amor und Psyche`, 2.Jh.n.Chr.) und gewann durch Goethe (Märchen, zur Fortsetzung der Unterhaltung deutscher Ausgewanderten`,1795) sein weltanschauliche Ausprägung. Das Oppositionsverhältnis zwischen poetischer Märchen-und prosaischer Alltagswirklichkeit thematisiert E.T.A.Hoffmanns „Märchen Aus der neuen Zeit“ ,Der Goldne Topf`(1814). Unter dem Einfluss der Romantik stehen die Kunstmärchen H.Ch.Andersens. Die Entwicklungslinie reicht bis zu den „aufgeklärten Märchen“ von P.Rühmkorf (,Der Hüter des Misthaufens`,1983). Das Märchendrama verarbeitet Stoffe des Volksmärchens (L.Tieck) oder gestaltet eine märchenhaft-traumhafte Gegenwelt zur Wirklichkeit (H.v.Kleist, G.Hauptmann).
Gleichwohl sind Kunstmärchen in der Regel umfangreicher und literarisch anspruchsvoller konzipiert, arbeiten insbesondere häufiger mit Metaphern und liefern detaillierte Beschreibungen von Personen und Ereignissen. Anders als Volksmärchen enden sie auch nicht immer glücklich (vgl. Andersens Die kleine Meerjungfrau). Eine weiteres Hauptmerkmal von Kunstmärchen ist, dass sie nicht ausschließlich für Kinder bestimmt sind, was sich schon an dem zuweilen hohen sprachlichen Niveau erkennen lässt. Im Vorwort zu Der kleine Prinz wird deutlich hervorgehoben, dass sich das Buch sowohl an Kinder als auch an Erwachsene richtet.
[Bearbeiten] Geschichte
Zu den ersten Kunstmärchen gehören die französischen Feengeschichten des Rokoko, deren Stil in Deutschland insbesondere durch Christoph Martin Wieland in Dschinnistan aufgegriffen worden ist. Bekannte Kunstmärchen-Autoren sind ferner Wilhelm Hauff (Kalif Storch, Zwerg Nase, Der kleine Muck) und Hans Christian Andersen (Des Kaisers neue Kleider, Die kleine Meerjungfrau, Das hässliche Entlein).
Daneben haben auch zahlreiche Autoren der deutschen Romantik Kunstmärchen geschrieben, so etwa E. T. A. Hoffmann (Der goldene Topf), Adalbert von Chamisso (Peter Schlemihl), Ludwig Tieck (Der Runenberg, Der blonde Eckbert), Novalis (Atlantismärchen in Heinrich von Ofterdingen) oder Clemens Brentano (Gockel, Hinkel und Gackeleia). Zu nennen ist auch das berühmte Märchen von Goethe sowie Oscar Wildes Der glückliche Prinz und Der Geburtstag der Infantin.
Im 20. Jahrhundert wurde Manfred Kyber durch seine Tiermärchen bekannt, Hermann Hesse schrieb oft satirische Märchen. Auch J. R. R. Tolkien verfasste mehrere humorvolle Märchen (z. B. Bauer Giles von Ham).
Die scheinbare Ausblendung der äußeren Wirklichkeit im Kunstmärchen ermöglicht es, sozialkritische Inhalte zu transportieren, z.B. in Goethes Märchen (1795) die symbolisch vermittelte Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen im nachrevolutionären Frankreich und in Gerhart Hauptmanns Märchen (1941) an Eugenik und Rassenhygiene und der nationalsozialistischen 'Euthanasie' (Aktion T4).
Das Kunstmärchen kann sich zum Märchenroman oder zur Märchenoper auswachsen. Diese längere Form hat sich seit der Popularisierung der Fantasyliteratur zu einem verbreiteten Genre entwickelt.
- Richard Bach: "Die Möwe Jonathan"
- Hans Bemmann: "Stein und Flöte"; "Die beschädigte Göttin"
- Lewis Carroll: "Alice im Wunderland"
- Charles Dickens: "A Christmas Carol"
- Otfried Preußler: "Krabat"
- Michael Ende: "Die unendliche Geschichte"
- E. T. A. Hoffmann : "Der goldne Topf", "Klein Zaches, genannt Zinnober"
- Manfred Kyber: "Tiermärchen"
- Antoine de Saint-Exupéry: "Der kleine Prinz"
- Oscar Wilde: "Der selbstsüchtige Riese"
- Hertha Vogel-Voll: "Die Silberne Brücke"
[Bearbeiten] Literatur
- Friedmar Apel: Die Zaubergärten der Phantasie. Zur Theorie und Geschichte des Kunstmärchens. - Heidelberg: Carl Winter 1987. (Reihe Siegen 13)
- Volker Klotz: Das europäische Kunstmärchen. Fünfundzwanzig Kapitel seiner Geschichte von der Renaissance bis zur Moderne. - München: Dt. Taschenbuchverl., 1987 (zuerst 1985)
- Mathias Mayer, Jens Tismar: Kunstmärchen. 4. Aufl. - Stuttgart, Weimar: Metzler, 2003 (Sammlung Metzler 155)