Mythos von Langemarck
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Als Langemarck-Mythos bezeichnet man die im Deutschen Reich erfolgte Verklärung eines verlustreichen Gefechts, zu dem es während des Ersten Weltkriegs vom 20. Oktober bis zum 30. November 1914 nördlich von Ypern gekommen war.
[Bearbeiten] Geschichte
Die deutsche Armee bereitete ihren Angriff Richtung Frankreich nach dem sogenannten Schlieffenplan von 1905 vor. Nach der Marneschlacht im September 1914 zog sich das deutsche Heer hinter die Aisne zurück, wodurch der Übergang zum Stellungskrieg an der Westfront eingeleitet wurde. Im Oktober begann der Wettlauf zum Meer, mit dem die französischen und britischen Truppen das deutsche Heer an der Küste Nordfrankreichs umfassen wollten, während man auf deutscher Seite vor hatte bis nach Calais vorzustoßen. Bei der belgischen Stadt Ypern entbrannte die erste von insgesamt drei Flandernschlachten, die Ende November mit dem Erstarren der Front endete. Zu besonders verlustreichen Kämpfen kam es unter anderem am 10. November, wobei allein auf deutscher Seite 2.000 Soldaten fielen. Die Oberste Heeresleitung kommentierte dies am 11. November mit einem irreführenden und folgenreichen Bericht, der von fast allen deutschen Zeitungen auf der ersten Seite abgedruckt wurde:
- „Westlich Langemarck brachen junge Regimenter unter dem Gesange „Deutschland, Deutschland über alles“ gegen die erste Linie der feindlichen Stellungen vor und nahmen sie. Etwa 2000 Mann französischer Linieninfanterie wurden gefangengenommen und sechs Maschinengewehre erbeutet.“
Dieser Bericht wurde von großen Teilen der deutschen Bevölkerung unkritisch aufgenommen und löste die Entstehung eines Mythos über den heldenhaften Opfergang junger Soldaten aus. Dabei war allein die Erwähnung von Langemarck als Schauplatz der Kämpfe unzutreffend, da diese sich 6 Kilometer nordwestlich zwischen Noordschote und Bikschote zutrugen. Dennoch gab man die Ortschaft Langemark - in abgewandelter, "preußischer" ("Bismarck") Schreibweise - wahrscheinlich wegen ihres deutsch klingenden Namens an. Zudem wurde nicht von dem maßgeblich beteiligten XXVII. Reservekorps, sondern allgemeiner und vielsagend von jungen Regimentern geschrieben. Da die deutschen Soldaten bei diesem Gefecht mit ihrer fast 30 Kilogramm schweren Ausrüstung über unwegsame Rübenäcker stürmen mussten, wird mitunter bezweifelt, dass sie dabei sangen. Möglich ist jedoch, dass die Soldaten sangen, um im Kampf "Friendly Fire" zu vermeiden, denn dadurch war es bereits im Oktober zu hohen Ausfällen gekommen.
Die ihnen gegenüberstehenden britischen Truppen bestanden überwiegend aus erfahrenen Berufssoldaten, die zwar keine große Erfahrung auf dem europäischen Schlachtfeld hatten, aber bereits Kampferfahrung in den Kolonien gesammelt hatten. Auch deren Ausrüstung war eher darauf ausgerichtet, Aufstände in Kolonien niederzuschlagen, als eine offene Feldschlacht gegen eine europäische Armee zu führen. Dennoch gelang es diesen erfahrenen Soldaten, sich gegen die mangelhaft ausgebildeten Reservisten zu behaupten. Trotzdem sollte durch die Erwähnung der ersten Zeile des Deutschlandlieds der Eindruck erweckt werden, dass es bei dem besagten Angriff zum spontanen Ausbruch patriotischer Gefühle kam.
Bereits am ersten Jahrestag der Kämpfe nördlich von Ypern veröffentlichten zahlreiche deutsche Zeitungen Artikel über den angeblichen Opfergang bei Langemark, wobei unter anderem die Forderung nach einem Langemarck-Tag formuliert wurde. Auch in Schulfeiern gedachte man der gefallenen Langemarck-Kämpfer. Dabei wurden die Gestorbenen der deutschen Jugend oftmals als vorbildlich dargestellt. Nach dem Ende des vom Deutschen Reich verlorenen Krieges war das Verlangen nach Heldenverehrung offenbar besonders stark. 1919 veranstalteten ehemalige Angehörige des XXVII. Reservekorps in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche eine Langemarck-Gedenkfeier. 1924 fanden sich etwa 2.000 Mitglieder von Jugendbünden auf der Rhön ein, um der Enthüllung eines Langemarck-Denkmals beizuwohnen. 1926 wurde der Stahlhelm-Studentenring Langemarck gegründet. 1928 beschloss die Deutsche Studentenschaft den Soldatenfriedhof Langemark-West auszubauen. Zur Finanzierung wurde die "Langemarck-Spende" begründet, mit deren Hilfe der Friedhof bis Juli 1932 fertigstellt werden konnte. Anlässlich der Einweihung des Friedhofs am 10. Juli 1932 fanden im gesamten Deutschen Reich Gedenkfeiern statt. Seit 1928 führte die Deutsche Studentenschaft am 11. November an allen deutschen Hochschulen "Langemarck-Feiern" durch. Die zentrale Reichsfeier fand jedes Jahr in Berlin statt.
Der Langemarck-Mythos wurde gegen Ende der 1920er Jahre auch von den Nationalsozialisten aufgegriffen. Die NSDAP versuchte dadurch, die gebildete Jugend für sich zu gewinnen. Dabei wurde auch Kritik an dem bedenkenlosen Umgang mit dem Leben junger Menschen bei Langemark geäußert, nur um darauf hinzuweisen, dass ein Führer dem Tod dieser Soldaten einen höheren Sinn verliehen und dabei den Sieg garantiert hätte, der 1914 nicht errungen wurde. Der Führer, der 1914 gefehlt habe, sei 1933 in der Gestalt von Adolf Hitler erschienen. Basierte der Langemarck-Mythos zunächst auf der Vorstellung, es hätten sich vor allem Schüler und Studenten bereitwillig für ihr Vaterland geopfert, gingen die Nationalsozialisten zu Beginn der 30er Jahre dazu über, die Langemarck-Kämpfer als junge Arbeiter, Kaufleute, Bauern und Studenten darzustellen, unter denen letztere nur einen Bruchteil ausgemacht hätten. Entsprechend wurde 1934 die Langemarck-Spende der Deutschen Studentenschaft in eine Spende der Deutschen Jugend umgewandelt. Dadurch sollte dem Mythos sein elitärer Charakter genommen werden, um ihn allmählich zugunsten anderer Mythen, die der nationalsozialistischen Weltanschauung eher entsprachen, zu verdrängen. Dazu zählte insbesondere der Mythos vom harten, durch das Fronterlebnis gealterten und gereiften Verdun- und Somme-Kämpfer, welcher der Umsetzung der NS-Ideologie dienlicher war.
Auf dem Reichsportfeld in Berlin wurde unterhalb des Glockenturmes eine Langemarckhalle zu Ehren der an der Schlacht beteiligten Regimenter errichtet.
Bilder aus der Langemarck-Halle Berlin
Adolf Hitler erlebte am 29. Oktober 1914 als Soldat des Bayerischen Reserve-Infanterieregiments Nr. 16 bei Geluveld seine Feuertaufe, von der er in "Mein Kampf" berichtet. Trotzdem schenkte Hitler dem Mythos nur wenig Beachtung. Grußworte, die er für Langemarck-Gedenkschriften verfasste, waren stets auffallend knapp und distanziert gehalten.
In Bremen ist nach wie vor eine Hauptstraße in der Neustadt nach dem Langemarck-Mythos benannt (Langemarckstraße). Langemarckstraßen existieren heute ebenso noch in Augsburg, Bad Wildungen, Bedburg, Donauwörth, Dormagen (Langemarkstraße), Essen, Freiburg im Breisgau, Münster, Neuss, Prüm und Sankt Augustin. Ein Langemarckplatz existiert beispielsweise in Erlangen, ebenso in Koblenz. (Letzterer grenzt an die Langemarck-Kaserne.)
[Bearbeiten] Literatur
- Unruh, Karl: Langemarck. Legende und Wirklichkeit, Koblenz 1986
- Kuberek, Monika: Langemark - ein Soldatenfriedhof des Voksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Magisterarbeit im Fachbereich Kunstgeschichte, Marburg 1987
- Dithmar, Rheinhard ( Hg.): Der Langemarck-Mythos in Dichtung und Unterricht, Neuriedel, Kriftel, Berlin 1992
- Ludwig, Rainer: Der "Langemarck-Mythos" und seine Bedeutung für das politische Bewußtsein der Weimarer Republik. Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der II. Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien, Siegen 1993
- Kirchmeyer, Joachim: "Die Hochschule für den Führer erobern": Das Langemarck-Studium im 3. Reich, Magisterarbeit im Fachbereich Geschichte, Münster 1994
- Hüppauf, Bernd: Schlachtenmythen und die Konstruktion des "Neuen Menschen"', in: "Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch - Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs", hrsg. von Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich und Irina Renz, Frankfurt am Main 1996
- Ludwig, Rainer: Langemarck, in: GDS-Archiv für Hochschul- und Studentengeschichte, Bd. IV, 1998, S. 161-165
- Ludwig, Rainer: "Pflanzt die Säulen des Reichs in die Verwesung der Welt!" Zur Geschichte und Konzeption des deutschen Soldatenfriedhofes Langemarck-Nord, in: Burschenschaftliche Blätter, 119. Jg. (2004), Heft 4, S. 117-122
- Lönnecker, Harald: Langemarck und die Deutsche Burschenschaft, in: Burschenschaftliche Blätter, 119. Jg. (2004), Heft 4, S. 129-137
- Sanker, Jans-Markus: "Stahlhelm unser Zeichen, schwarz-weiß-rot das Band...". Der Stahlhelm-Studentenring Langemarck. Hochschulpolitik in feldgrau 1926-1935, Würzburg 2004
[Bearbeiten] Weblinks
- Wikipedia-Artikel Langemark
- http://www.dhm.de/lemo/html/wk1/kriegsverlauf/langemar/
- Niederländisches Forum über den Ersten Weltkrieg und Ypern
- http://www.dean.usma.edu/history/web03/atlases/great%20war/great%20war%20index.htm englischsprachige Website, die den taktischen Angriffsverlauf des Ersten Weltkrieges nach dem Schlieffenplan aufzeigt