Deutsches Reich
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Deutsches Reich ist die Bezeichnung für den deutschen Staat in den Jahren zwischen 1871 und 1945. Der Terminus Deutsches Reich wird gelegentlich auch gebraucht, um das über den deutschen Sprachraum hinausgehende „Heilige Römische Reich“ (962–1806) zu bezeichnen, das ab dem 15./16. Jahrhundert mit dem Zusatz „Deutscher Nation“ versehen worden war.
Beim Deutschen Reich des 19. und 20. Jahrhunderts unterscheidet man drei Perioden: die Monarchie des Deutschen Kaiserreiches (1871–1918), die pluralistisch-parlamentarische Demokratie der Weimarer Republik (1919–1933) und die totalitäre Diktatur der Zeit des Nationalsozialismus (1933–1945).
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Gründung
Das 1871 gegründete Deutsche Kaiserreich wurde zwar als Nationalstaat aller Deutschen angesehen, umfasste während seines Bestehens jedoch nie alle Gebiete, die sich selbst (oder die das Reich) als zu Deutschland gehörig betrachteten, z. B. die deutschen Länder Österreich-Ungarns, welche bis 1866 noch Teil des Deutschen Bundes waren. Dies ist zurückzuführen auf die Gründungsumstände des Reichs, welches aus dem Norddeutschen Bund hervorging, welcher unter preußischer Vorherrschaft stand. In der Märzrevolution von 1848 hatte Preußen die nationalistischen Bestrebungen noch bekämpft. Später nutzten Preußen und dessen Kanzler Otto von Bismarck die nationalliberalen Strömungen, um Österreich aus dem Reich auszuschließen und die preußische Vorherrschaft zu erringen.
Aufgrund ähnlicher nationalistischer Gefühle in Dänemark kam es 1864 im Streit um Schleswig zum deutsch-dänischen Krieg, dem ersten der drei später so genannten „Reichseinigungskriege“. Bismarck erzwang 1866 gegen die Widerstände des österreichischen Monarchen die Auflösung des Deutschen Bundes; annektierte die deutschen Länder, die im Bundestag gegen Preußen gestimmt hatten; und beanspruchte für König Wilhelm I. die Kaiserkrone des zukünftigen preußisch-deutschen Reiches. Ursache für den Deutschen Krieg war der preußische Vertragsbruch der Gasteiner Konvention (Provinz Schleswig-Holstein). Der Bund verhängte gegen Preußen die Bundesexekution, worauf Preußen aus dem Deutschen Bund austrat. Preußen besiegte Österreich in der Schlacht von Königgrätz, und der Deutsche Bund wurde mit dem Prager Frieden am 23. August 1866 aufgelöst. Danach gründete Bismarck den Norddeutschen Bund. Bayern, Württemberg, Baden und Hessen-Darmstadt schlossen sich zum Süddeutschen Bund zusammen und hofften, dass auch Österreich beitreten würde, was jedoch nicht geschah. Österreich, Luxemburg und Liechtenstein schlossen sich keinem der beiden Bünde an.
Der deutsche Sprachraum (Deutschland) war somit faktisch dreigeteilt, was dem französischen Kaiser Napoléon III. sehr gelegen kam, da ihm nichts daran lag, einen Konkurrenten um die innereuropäische Hegemonie groß werden zu lassen. Die nord- und süddeutschen Staaten hatten aufgrund der Gefahr einer französischen Intervention bereits geheime Schutz- und Trutzbündnisse abgeschlossen. Frankreich erkannte die Bedrohung, die von diesem starken Zusammenschluss deutscher Staaten ausging, zumal Preußen und seine Verbündeten ihre gemeinsame militärische Macht bereits zweimal demonstriert hatten. Durch die Emser Depesche und durch die Kandidatur der Hohenzollern für die spanische Thronfolge fühlte sich Frankreich provoziert und begann 1870 einen Präventivkrieg, den Deutsch-Französischen Krieg. Er verlief für Frankreich katastrophal und bereits 1871 besetzten die Truppen des Norddeutschen Bundes Paris. Gestärkt von der Euphorie des Sieges und der preußischen Dominanz verkündete der preußische König Wilhelm I., nun Deutscher Kaiser, das Deutsche Reich, am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles.
Geschichte
Die Geschichte des Deutschen Reiches gliedert sich in drei Abschnitte:
- 1871-1918 Deutsches Kaiserreich unter der Bismarckschen Reichsverfassung
- 1871-1890 Zeit des Reichskanzlers Otto von Bismarck
- 1890-1918 wilhelminische Epoche und Erster Weltkrieg
- 1919-1933 Weimarer Republik unter der Weimarer Reichsverfassung
- 1933-1945 Deutsches Reich 1933 bis 1945 als das Staatsgebilde und die Zeit des Nationalsozialismus als die historische Epoche, ab 1943 offiziell Großdeutsches Reich
Als im Jahre 1868 die spanische Königin Isabella II. gestürzt wurde, bot der Erbprinz Leopold des Königshauses Hohenzollern-Sigmaringen (welches mit dem spanischen Königshaus verwandt ist) seine Dienste als zukünftiger König an. Jedoch fühlte sich Frankreich aufgrund der bevorstehenden preußischen Machtübernahme in Spanien bedroht und versuchte dies militärisch zu unterbinden. Es kam zu dem Deutsch-Französischen Krieg. Bismarck nutzte dies um sein Ziel, die Einigung der deutschen Staaten, durch einen gemeinsamen Feind durchzusetzen. Er erreichte sein Ziel und so wurde nach dem triumphalen Sieg über Frankreich (bei Sedan) am 18. Januar 1871 im Schloss Versailles bei Paris das Deutsche Reich gegründet.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 wurde das Deutsche Reich unter Besatzung durch britische, französische, amerikanische und sowjetische Truppen gestellt. Die Gebiete östlich von Oder und Neiße, und die westlich dieser Linie gelegene Stadt Swinemünde (entsprechend den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens) sowie darüber hinaus die Stadt Stettin (insgesamt etwa ein Viertel der Fläche von 1937) wurden vom Reich abgetrennt und, laut Potsdamer Abkommen, "vorläufig" unter polnische bzw. sowjetische Verwaltung gestellt. Die ansässige deutsche Bevölkerung in diesen Gebieten wurde, soweit sie nicht bereits im Zuge des Kriegsgeschehens in Richtung Westen geflüchtet war, in den folgenden Jahren weitgehend vertrieben.
Mit der Wiederherstellung der Republik Österreich noch im Jahr 1945 und der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik 1949 hörte das Deutsche Reich faktisch, aber nicht de jure auf zu existieren. Die sich aus dieser de jure-Fortexistenz ergebenden Folgen sind im Abschnitt Staatsrechtliche Fragen erläutert.
Staatsoberhäupter und Regierungschefs
Entstehung des Begriffs
In der deutschen Verfassungsgeschichte sind die Begriffe Reich und Bund in gewisser Hinsicht austauschbar. Die Präambel der Bismarck-Verfassung von 1871 sagte beispielsweise, dass der preußische König und die süddeutschen Fürsten einen ewigen Bund geschlossen hätten.
Die Verwendung des Wortes Reich im Titel knüpfte an das Heilige Römische Reich Deutscher Nation (962–1806). Dieses war 1806 zerbrochen angesichts von Säkularisierung und napoleonischer Übermacht (Diktat). Zuvor hatte der habsburgische Kaiser den Titel des römisch-deutschen Kaisers niedergelegt. Dabei hatte er alle Reichsbeamten und -organe entlassen aus ihren Verpflichtungen gegenüber dem „deutschen Reich“. Mit dem Akt der Niederlegung der Kaiserkrone endete das Heilige Römische Reich Deutscher Nation.
Die spätere Epoche des wilhelminischen Kaiserreiches wurde als „Zweites Reich“ bezeichnet. Diese Wortwahl deutete eine Nachfolgerschaft zum „Ersten (deutschen) Reich“ an, ohne sie explizit auszusprechen. Diese Zurückhaltung war taktisch und diplomatisch geboten. Das Kaisertum Österreich und dessen Kaiser betrachteten sich als Nachfolger des Heiligen Römischen Reichs und wären somit indirekt als illegitim bezeichnet worden.
Der Begriff „Zweites Reich“ wurde 1923 von Arthur Moeller van den Bruck geprägt; in seinem Buch Das dritte Reich bezeichnete dieser das Heilige Römische Reich Deutscher Nation als Erstes Reich und das Deutsche Kaiserreich von 1871 bis 1918 als das Zweite Reich. Er erwartete, dass diesem ein Drittes Reich folgen werde.
Der Begriff wurde rasch in die NSDAP-Propaganda übernommen, die damit ihre Ablehnung der Weimarer Republik ausdrückte (siehe Drittes Reich). Allerdings sah der Nationalsozialismus bald wieder vom Begriff "Drittes Reich" wieder ab. "Reich" hingegen blieb in Verwendung, überspannt und pseudoreligiös, dadurch wurde der Begriff im Laufe der Nachkriegszeit vermehrt mit dem Nationalsozialismus selbst in Verbindung gebracht. Im angelsächsischen Raum spricht man noch heute von the Third Reich oder the German Reich.
Staatsrechtliche Fragen
Das Bundesverfassungsgericht stellte am 31. Juli 1973 bei der Überprüfung des Grundlagenvertrags mit der DDR fest (2 BvF 1/73):
- Das Deutsche Reich existiert fort, besitzt nach wie vor Rechtsfähigkeit, ist allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation, insbesondere mangels institutionalisierter Organe selbst nicht handlungsfähig.
- Mit der Errichtung der Bundesrepublik Deutschland wurde nicht ein neuer westdeutscher Staat gegründet, sondern ein Teil Deutschlands neu organisiert […]. Die Bundesrepublik Deutschland ist also nicht „Rechtsnachfolger“ des Deutschen Reiches, sondern als Staat identisch mit dem Staat „Deutsches Reich“, – in bezug [sic] auf seine räumliche Ausdehnung allerdings „teilidentisch“, so daß insoweit die Identität keine Ausschließlichkeit beansprucht. […] Sie beschränkt staatsrechtlich ihre Hoheitsgewalt auf den „Geltungsbereich des Grundgesetzes“
Die Bundesrepublik Deutschland könne also nicht als Nachfolgestaat angesehen werden, sondern sei vielmehr als Staat identisch mit dem Staat Deutsches Reich und nicht dessen Nachfolger. Damit wird eine staatsrechtliche Identität, die 1871 mit dem Deutschen Kaiserreich und 1866 mit dem Norddeutschen Bund begann, unter der Bezeichnung Bundesrepublik Deutschland fortgeführt.
Davon bleibt aber unberührt, dass, von einer politisch-historischen Perspektive aus betrachtet, das Reich mit der Niederlage im Zweiten Weltkrieg im Jahre 1945 untergegangen ist.
Mit der Wiedererlangung voller staatlicher Souveränität durch die abschließende Erklärung des Zwei-plus-Vier-Vertrags von 1990 wurde die (erweiterte) Bundesrepublik Deutschland endgültig das, was zuvor bereits das Deutsche Reich (von 1871) gewesen war: ein (klein-)deutscher Nationalstaat, der (als wesentlichen Bestandteil der europäischen Friedensordnung) die Nachkriegsordnung mit seinen Grenzen anerkannt hat.
Siehe auch: Rechtslage des Deutschen Reiches nach 1945.
Siehe auch
Literatur
- Sebastian Haffner: Von Bismarck zu Hitler. Droemer Knaur, München 2001, ISBN 3-42677-589-1
- Michael Schweitzer: Staatsrecht III. Staatsrecht, Völkerrecht, Europarecht, 8. Aufl., Heidelberg 2004, § 5 A V. ISBN 3-8114-9024-9