Organische Artikel
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Als Organische Artikel (französisch Articles organiques) bezeichnet man von Napoleon erlassene Verordnungen, als Ergänzung zu dem am 15. Juli 1801 mit dem Vatikan ausgehandelten Konkordat. Die organischen Artikel gaben dem Konkordat die gesetzliche Grundlage. Das Konkordat betraf allerdings nur die Beziehungen zwischen der französischen Regierung und dem Papst. Die organischen Artikel regelten darüber hinaus den Umgang mit der Religionsausübung in ganz Frankreich.
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[Bearbeiten] Geschichte
Die organischen Artikel wurden am 3. April 1802 vom Staatsrat ausgearbeitet und gebilligt und am 8. April 1802 ohne Änderung von den Gesetzgebenden Körperschaften zum Gesetz erhoben. Die Ratifikation des Konkordats geschah bereits am 10. September 1801. Erst sieben Monate später hatte Napoleon selbst, als erster Konsul, den Vertrag im Staatsrat verlesen. Die Abstimmung im Tribunat am 7. April 1802 ergab 78 gegen 7 und im Gesetzgebenden Körper am 8. April, 228 gegen 21 Stimmen für die Annahme der Vorlage.
In den Sitzungen der beiden Versammlungen, besonders im Tribunat, hatte sich eine ziemlich lebhafte Opposition bemerkbar gemacht. Die vorgelegten Gesetze wurden dabei ungünstig aufgenommen, zum Teil sogar verworfen. Es kam, vor der Endabstimmung, zu einer Neuernennung der Tribunen und der Gesetzgebenden Körperschaft, bei der die Mitglieder, die sich der Annahme der von der Regierung vorgeschlagenen Gesetze widersetzten, entfernt wurden.
Als Gesetz wurde das Konkordat dann am 8. April 1802, gleichzeitig mit den organischen Artikeln, veröffentlicht. Die feierliche Promulgation erfolgte am 18. April, dem Ostersonntag des Jahres 1802. Während der Zeremonie in der Pariser Kathedrale Notre-Dame leisteten fünf Erzbischöfe und 19 Bischöfe dem Ersten Konsul den Treueid.
Auch in den am 9. März 1801 nach dem Frieden von Lunéville von Napoleon als Teil des französischen Staatsgebietes annektierten linksrheinischen Gebieten wurden die Organischen Artikel schon am 4. Mai 1802 für die neu erworbenen Départements am Rhein für verbindliches Recht erklärt.
Noch heute beruht ein Teil der in den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen an die Kirchen geleisteten Staatsleistungen (Dotationen) für die Besoldung der Pfarrer auf einer Kompensation für damals zugunsten des Fiskus eingezogenes Pfarrvermögen bzw. auf den Organischen Artikeln und einem sie ausführenden kaiserlichen Dekret Napoleons vom 13. Fructidor XIII (31. August 1805).
[Bearbeiten] Inhalt
Die organischen Artikel umfassten insgesamt 77 Artikel. Sie greifen auf die gallikanischen Artikel aus dem Jahre 1682 zurück welche den Unterricht an den theologischen Einrichtungen vorschreiben, beleben die Grundsätze des französischen Staatskirchentums wieder und, wenn auch abgeschwächt, die kirchenpolitische Praxis der Revolutionszeit. Die Organischen Artikel führen das staatliche Plazet für die Verkündigung päpstlicher Erlässe in Frankreich ein, verbieten die Entsendung päpstlicher Gesandter außer dem beglaubigten Nuntius und erklären nur den von der Regierung genehmigten Katechismus für zulässig. Napoleon anerkannte neben der katholischen nur die reformierte, calvinistische Kirche und die Kirchen der Augsburger Konfession, die lutherische Kirche.
Die Artikel für die katholische Kirche (Articles organiques de l'Église catholique) regelten die Beziehungen der Kirche zur Zivilverwaltung, die Rangordnung und die Lehre (Disziplin) des katholischen Klerus, die Art und Weise wie der Gottesdienst abgehalten werden sollte, die neue Einteilung der Kirchensprengel und Gemeinden und die Besoldung der Geistlichen.
Die organischen Artikel für die protestantischen Kirchen (Articles organiques de cultes protestans) waren in drei Titel eingeteilt. Der erste, der die allgemeinen Bestimmungen enthielt (Dispositions générales pour toutes les communions protestantes), besagte, dass man Franzose sein müsse um die Religion ausüben zu können und dass die Pastoren vom Staat besoldet werden. Die protestantischen Kirchen dürfen keine Beziehungen mit ausländischen Mächten unterhalten. Der zweite Titel beschäftigt sich mit den Pastoren, Konsistorien und Synoden der reformierten Kirche (Des Églises réformées) und der dritte Titel betraf die Regelungen in der lutherischen Konfession (De l'organisation des Églises de la confession d'Augsbourg).
[Bearbeiten] Auswirkungen
[Bearbeiten] Vier anerkannte Religionen („cultes reconnus“)
Mit dem Konkordat und dem Inkrafttreten der Organischen Artikel wurde die antiklerikale Politik der Revolutionszeit beendet. Die von Napoleon ohne Wissen des Papstes erlassenen Organischen Artikel, führten zu einem Protest der Kardinäle, da sie sich, wie sie meinten, mit den Grundsätzen der katholischen Kirche nicht vertrugen. Papst Pius VII. fühlte sich nicht an die Artikel gebunden und es entspannte sich ein Notenwechsel zwischen dem Vatikan und der französischen Regierung bis in die Zeit des Kaiserreiches. Aber auch in Frankreich selbst gaben die Gesetze Anlass zum Widerstand. Zahlreiche alte Republikaner und viele Offiziere der Revolutionsarmee waren mit der Wiederherstellung der alten Religion unzufrieden.
Die Zahl der Erzbistümer in Frankreich einschließlich der annektierten Gebiete wurde auf 10, die der Bistümer auf 50 festgesetzt. Auch ihre Bezahlung wurde geregelt, so erhielt ein Erzbischof 15.000 und ein Bischof 10.000 Franc jährlich vom französischen Staat. Statt der früheren zahllosen kirchlichen Feiertage wurden nur vier beibehalten: Weihnachten, Ostern, Himmelfahrt und Allerheiligen.
Die reformierten und lutherischen Konsistorialkirchen wurden zu jeweils 6.000 Gemeindemitgliedern zusammengefasst. Sie wurden von Lokalkonsistorien geleitet, wobei jeweils fünf Konsistorialkirchen eine Synode bildeten.
Bereits 1808 erfolgte die offizielle Anerkennung des Judentums als Religion neben der katholischen, der reformierten und der lutherischen Kirche. Die vier Konfessionen waren jetzt gleichberechtigt und staatlich anerkannt. So spricht man auch heute noch von den vier „cultes reconnus“ in Frankreich.
[Bearbeiten] Gründung linksrheinischer evangelischer Gemeinden
In den Gebieten mit zuvor katholischer Territorialherrschaft (z. B. Erzbistum Mainz, Erzbistum Köln, Erzbistum Trier, Bistum Aachen) war es in der französischen Zeit nach 1802 aufgrund der Organischen Artikel erstmals möglich, legale evangelische Kirchengemeinden zu gründen und eigene Kirchengebäude zu benutzen. Beispielsweise wurden auf Grundlage der Organischen Artikel folgende säkularisierte Kirchengebäude von den französischen Präfekten neu gegründeten evangelischen Kirchengemeinden zugewiesen:
- Annakirche 1802 in Aachen
- Kapelle des Klosters St. Martin (Görgengasse) 1802/03 in Koblenz
- Antoniterkiche 1802 in Köln
- Altmünsterkirche 1802 in Mainz, seit 1808 Welschnonnenkirche, seit 1827/30 Johanniskirche
- Klosterkirche Marienberg 1804/06 in Neuss (benutzt bis 1906).
In der Rechtsnachfolge des Französischen Staates gelangten durch den Wiener Kongress weitere säkularisierte Kirchen in das Eigentum des preußischen Staates und wurden von König Friedrich Wilhelm III. und König Friedrich Wilhelm IV. neu gegründeten evangelischen Kirchengemeinden zur Verfügung gestellt:
- Schlosskirche (im jetzigen Universitäts-Hauptgebäude) 1816 in Bonn
- Jesuitenkirche 1816/18 in Trier als Simultankirche, seit 1856 stattdessen Konstantinbasilika
- Florinskirche 1818 in Koblenz (von Friedrich Wilhelm III. gegen Entschädigung aus städtischem Besitz enteignet)
- Mitbenutzungrecht am Altenberger Dom als Simultankirche ab 1857 (nach der Säkularisation zunächst in Privatbesitz gelangt, 1834 unter einer entsprechenden Auflage an den preußischen Staat übertragen).
Diese vier Kirchen befinden sich noch heute ganz oder teilweise im Eigentum der Bundesländer Nordrhein-Westfalen bzw. Rheinland-Pfalz.
[Bearbeiten] Literatur
- Friedrich Blume: Codex des Rheinischen Evangelischen Kirchenrechts. Elberfeld 1870 (Textausgabe).
- Friedrich M. Kircheisen: Napoleon I. - Sein Leben und seine Zeit. (Band 5) Georg Müller, München 1925.