Russlanddeutsche
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Der Begriff Russlanddeutsche ist ein Sammelbegriff für die deutsche Minderheit in Russland. Umgangssprachlich werden auch die deutschstämmigen Einwohner der anderen ehemaligen Sowjetrepubliken als "Russlanddeutsche" bezeichnet, obwohl diese korrekterweise als "Ukrainedeutsche", "Kasachstandeutsche" usw. bezeichnet werden sollten. Aber auch diese selbst bezeichnen sich oft noch als Russlanddeutsche (fälschlicherweise werden die Russlanddeutschen gelegentlich auch als „Deutschrussen“ bezeichnet).
Es handelt sich um eine regional ursprünglich sehr verteilte Gruppe (Wolgadeutsche, Wolhyniendeutsche, Bessarabiendeutsche, Krimdeutsche, Kaukasiendeutsche, Schwarzmeerdeutsche, Sibiriendeutsche) innerhalb des Russischen Zarenreiches. Einige von ihnen gründeten selbst in Sibirien und im Fernen Osten am Amur ihre Siedlungen. Heute leben noch etwa 800.000 Russlanddeutsche in der Russischen Föderation (sinkende Tendenz).
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Geschichte
Hauptartikel: Geschichte der Russlanddeutschen
Bereits im 15. Jahrhundert gab es vereinzelt Deutsche in Russland, die sich vor allem in der Hauptstadt Moskau konzentrierten. Diese russifizierten sich entweder oder kehrten nach Beendigung ihrer Aufgabe (Bergbau, Militärwesen, Medizin, Wissenschaft) in ihr Heimatland zurück.
Gründe für die Einwanderung waren vielfältig. Für die pazifistischen Mennoniten war die Befreiung vom Kriegsdienst wesentlich, für viele andere die freie Zuteilung von Land. Als erste rief Katharina II. im Jahre 1763 deutsche Landsleute, die vor allem aus dem Südwesten Deutschlands stammten, im großen Stil ins Land. Vorher gab es schon größere Gruppen in Moskau und Nordwestrussland (Nowgorod, Pskow, Sankt Petersburg).
1914 lebten im Zarenreich (einschließlich Russisch-Polen) rund 2,4 Millionen Russlanddeutsche.
Nach Beginn des Feldzuges gegen die Sowjetunion wurden 1.209.430 Russlanddeutsche entsprechend dem Erlass des Obersten Sowjets vom 28. August 1941 innerhalb weniger Wochen unter dem Vorwurf der Kollaboration mit dem Dritten Reich aus den europäischen Teilen der Sowjetunion nach Osten – vorwiegend Sibirien, Kasachstan und in den Ural – in so genannte Sondersiedlungen deportiert. Mehrere hunderttausend – die nicht ermittelte Zahl schwankt um 700.000 – starben in dieser Zeit vor allem an schlechten Arbeits-, Lebens- oder medizinischen Bedingungen. Die Deutschen in den westlichen Gebieten der Ukraine entgingen zunächst diesem Schicksal. Sie wurden allerdings 1944 in den Warthegau im Rahmen der "Heim-ins-Reich-Umsiedlung" umgesiedelt. Anfang 1945 erfolgte von dort aus eine zumeist wilde Flucht vor der Roten Armee weiter nach Westen in das Gebiet der heutigen neuen Bundesländer und z.B. auch nach Niedersachsen. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges deportierte die UdSSR diese Deutschen u. a. nach Sibirien und Zentralasien. Der Teil der Russlanddeutschen aus der sowjetischen Besatzungszone wurde auf Anordnung zurück in die UdSSR "repatriiert", während die Teile, die sich in den westlichen Besatzungszonen befanden, häufig durch falsche Versprechungen der sowjetischen Verbindungsoffiziere ("Kommt nach Hause - Eure Männer warten schon auf Euch") in die UdSSR zurückgelockt wurden.
In den 60er Jahren begann langsam die Ausreise von Russlanddeutschen in ihre historische und kulturelle Heimat. Vor allem siedelten sie in die BRD um, aber auch in der DDR fingen einige Familien ein neues Leben an. Erst in den 80er Jahren und vor allem nach der Selbstauflösung der Sowjetunion 1991 wuchs die Zahl der nach Deutschland zurückreisenden Aussiedler an und betrug jahrelang um 200.000 pro Jahr, wobei seit Mitte der 1990er Jahre mehr und mehr auch nicht-deutsche Familienangehörige mit nach Deutschland kamen.
Für einen großen Teil der älteren Russlanddeutschen war die Ausreise nach Deutschland das für sie wichtigste Ereignis in ihrem Leben. Während einige Jugendliche nur widerwillig mit ihren Eltern mitgekommen sind, war es gerade für viele Alten die Verwirklichung eines Lebenstraumes. Viele aus der Ukraine stammende Deutsche haben auch ihre Einbürgerungsurkunden oder die ihrer Eltern und Großeltern aus der Zeit, in der sie im Wartheland angesiedelt waren (1942 bis 1944), gehütet und über die Sowjetzeit hinweggerettet. Mit diesen Urkunden war in der Regel der Nachweis, Deutscher zu sein, am leichtesten möglich. Es sind sogar noch recht viele über 90-Jährige ausgereist, die sich im Land ihrer Väter begraben wissen wollten.
Der Zuzug der Russlanddeutschen in den 90er Jahren führte örtlich zu Problemen, da einige Kommunen in Niedersachsen (Cloppenburg, Werlte, Belm) und Baden-Württemberg weit überproportional betroffen waren. Der Grund hierfür war, dass sich ganze Dörfer an einem bestimmten Ort in Deutschland wieder angesiedelt haben und dort der Anteil der Russlanddeutschen an der Gesamtbevölkerung auf bis zu 30% gestiegen ist. Dies führte teils zu Integrationsproblemen und erheblichen finanziellen Belastungen der Kommunen durch Sozialleistungen. Weil viele dieser Gemeinden zufällig in den Wahlkreisen der damaligen Bundesminister Schäuble und Seiters lagen, wurde rasch eine Regelung geschaffen, mit der die Ansprüche auf Sozialleistungen für Russlanddeutsche in den stark betroffenen Kommunen eingeschränkt wurde. Der erhoffte Effekt einer gleichmäßigeren Verteilung wurde damit aber nicht erzielt, da viele Russlanddeutsche in wirtschaftlich stärkeren Regionen bleiben wollten, da dort die Chancen auf einen Arbeitsplatz höher sind.
Neben Integrationsproblemen und Integrationserfolgen gingen von der Einwanderung der Russlanddeutschen und ihrer Familien auch andere Impulse aus. Wirtschaftlich gesehen war der Zuzug von Spätaussiedlern ein positiver Impuls in einigen Gegenden, in denen es an jungen Menschen mangelte. Die Konsum- und Bautätigkeit in diesen Gegenden wurde ebenfalls durch den Zuzug unterstützt.
Seit Ende der 90er Jahre nimmt die Anzahl der Einreisenden von Jahr zu Jahr stark ab, so dass der Aussiedlerstrom nach Deutschland in den nächsten Jahren vermutlich ganz versiegen wird.
Heutige Situation in Russland
Am 1. Juli 1991 wurde der 1938 aufgelöste deutsche Nationalkreis Halbstadt (Nekrassowo) im Altai wiedergegründet, am 18. Februar 1992 erfolgte die Gründung des deutschen Nationalkreis Asowo (bei Omsk). Bei Saratow und Wolgograd sollen weitere Nationalkreise oder -bezirke (Okrugs) gegründet werden. In der Nähe von Uljanowsk an der Wolga wurde ebenfalls Anfang der 90-er Jahre der deutsche Dorfsowjet (Dorfrat) von Bogdaschkino gegründet. Die Zukunft dieser autonomen Gebilde auf unterster Stufe ist jedoch fraglich, weil die alteingesessene deutschstämmige Bevölkerung auch von dort mehrheitlich bereits ausgewandert ist.
In folgenden Regionen leben auch heute noch mehr oder weniger Minderheiten Deutscher:
- Oblast Kaliningrad
- Oblast Nowosibirsk
- Oblast Omsk (darunter im Nationalkreis Asowo)
- Oblast Orenburg
- Oblast Tomsk
- Oblast Saratow
- Republik Chakassien
- Republik Komi
Die im Altai lebenden Deutschen sind zum größten Teil ausgewandert, dennoch gibt es auch hier wieder einen deutschen Nationalkreis.
Prozentual gesehen machen die Deutschen von der gesamten Bevölkerung Russlands heutzutage rund 0,41% aus.
Eingliederung in Deutschland
Die russlanddeutschen Personengruppen brachten auch ihre russischen Familienangehörigen mit. Überwog zu Beginn der Einwanderungswelle bis Anfang der 90er Jahre der deutsche Anteil in den Familien, so überwiegt inzwischen der russische Anteil ohne oder mit nur geringen Kenntnissen der deutschen Sprache.
In manchen deutschen Städten sind mittlerweile eigene russische Stadtviertel und demzufolge russischsprachige Kulturbereiche entstanden. Mehrere eigenständige russischsprachige Zeitungen erscheinen heute in Deutschland. Der hohe Bevölkerungsanteil und die mangelhafte Integrationsmöglichkeit - besonders der jungen Männer - wegen der oft fehlenden Deutschkenntnisse und Konfrontation mit einer für sie fremden Kultur machen die gesellschaftliche Integration der in diesen Vierteln lebenden Menschen schwierig.
Eine deutsch-russische Mischsprache, die manchmal unter diesen Einwanderergruppen gesprochen wird, ist im Entstehen.
Daneben hat sich jedoch auch eine kaum beachtete, zahlenmäßig aber weitaus größere russlanddeutsche Mittelschicht entwickelt. Die Angehörigen dieser Gruppe, die bis Anfang/Mitte der 90er Jahre nach Deutschland aussiedelten, werden jedoch in der Gesellschaft aufgrund ihrer deutschen Namen nicht mehr als Russlanddeutsche identifiziert. So gibt es heute (2006) an deutschen Universitäten nicht wenige russlanddeutsche Studenten, die allgemein akzentfreies Deutsch sprechen, da sie entweder noch vor der Einschulung nach Deutschland kamen oder sogar bereits dort geboren wurden. Gerade diese Nicht-Wahrnehmung der gut integrierten Mehrzahl verzerrt das Bild der Russlanddeutschen insgesamt ins Negative, da einige isolierte (meist männliche) Personen mit der gesamten Gruppe gleichgesetzt werden. Aus diesem Grund bekennen sich einige gut integrierte Russlanddeutsche nicht zu ihrer Herkunft, da sie fürchten, so wie die schlecht integrierten Aussiedler aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion in Deutschland als „die Russen“ bezeichnet zu werden, nachdem ihre Eltern in ihrer Heimat immer „die Deutschen“ waren.
Diese Diskrepanzen lassen erwarten, dass ein kleiner Teil der russlanddeutschen Einwanderer isoliert in ärmlichen Stadtvierteln verbleiben wird. Der weitaus größte Teil dieser Einwanderergruppe wird dagegen in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren völlig in der deutschen Gesellschaft aufgehen. Die Tatsache, dass der Zuzug von Spätaussiedlern nach Deutschland seit 1995 von Jahr zu Jahr stark abgenommen hat (im Jahr 2005 wurden nur noch 35.396 Spätaussiedler aus den Ländern der GUS registriert), tut ihr Übriges. Zu erwarten ist, dass dieser Einwanderungsstrom in den nächsten Jahren gänzlich versiegen wird.
Literatur
- Bibliographie zur Geschichte und Kultur der Rußlanddeutschen, Bd. 2: Von 1917 bis 1998, hrsg. v. Detlef Brandes und Victor Dönninghaus, München : Oldenbourg 1999 (= Schriften des Bundesinstituts für Ostdeutsche Kultur und Geschichte, Bd. 13), 988 S., ISBN 3-486-56134-0
- Die Bundeszentrale für politische Bildung: Informationen zur politischen Bildung (Heft 267)
- Gerhard Wolter: Die Zone der totalen Ruhe. Die Rußlanddeutschen in den Kriegs und Nachkriegsjahren. W. Weber Verlag Augsburg (2003). (ISBN 3-9808647-0-7)
- Birgit Griese: Zwei Generationen erzählen. Campus Verlag (2006). (ISBN 3593382113)
- Christian Eyselein: Rußlanddeutsche Aussiedler verstehen. Praktisch-theologische Zugänge (2006). (ISBN 3374023797)
- Hans Hecker: Die Deutschen im Russischen Reich, in der Sowjetunion und ihren
Nachfolgestaaten. Verlag Wissenschaft und Politik. Aus der Reihe: Historische Landeskunde, Deutsche Geschichte im Osten Bd. 2, 2. unveränderte Aufl., Köln 1998, 151 Seiten, 16,- Euro. (ISBN 3-8046-8805-5)
Siehe auch
- Geschichte der Russlanddeutschen
- Evangelisch-lutherische Russlanddeutsche
- Russlandmennoniten
- Römisch-katholische Russlanddeutsche
- Russen in Deutschland
- Russische Kultur in Deutschland
- Aussiedler
- Spätaussiedler
- Landsmannschaft der Deutschen aus Russland
- Vertriebenenverbände
- Plautdietsch
- Banater Schwaben
- Deutsche Schlesier
- Deutsche Pommern
- Siebenbürger Sachsen
- Buchenlanddeutsche
- Dobrudschadeutsche
- Jugoslawiendeutsche
- Sudetendeutsche
- Ungarndeutsche
- Wolgadeutsche
- Volksdeutsche
- Kirgisistandeutsche
- Bergtal
- Religionen in Russland
- Russische Küche