Solomon ibn Gabirol
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Solomon Ibn Gabirol (* um 1021 in Málaga; † um 1058 in Valencia), auch Solomon ben Juda, war ein spanisch-jüdischer Dichter und Philosoph.
In der westlichen Welt wurde er manchmal "Avicebron" genannt, eine Verballhornung aus "Ibn Gabirol" ("Ibngebirol," "Avengebirol," "Avengebrol," "Avencebrol," "Avicebrol," "Avicebron"). Bei den arabischen Philosophen war er auch unter dem Namen "Sebirul" bekannt.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Biografie
Über Gabirols Leben ist wenig bekannt. Seine Eltern starben, als er noch ein Kind war. Im Alter von siebzehn Jahren wurde er Freund und Schützling von Jekuthiel Hassan. Über dessen Ermordung als Resultat einer politischen Verschwörung dichtete Gabirol eine Elegie mit mehr als 200 Versen. Der Tod von Hai Gaon inspirierte ihn zu einem ähnlichen Werk. Mit kaum 20 Jahren schrieb Gabirol "Anak.", eine hebräische Grammatik in Versen, alphabetisch und akrostisch, bestehend aus 400 Versen, unterteilt in zehn Teile. Von dieser Grammatik sind 95 Verse durch Solomon Parh.on überliefert. Darin tadelt Gabirol seine Mitbürger wegen ihrer Vernachlässigung der hebräischen Sprache.
Gabirols Aufenthalt in Saragossa wurde ihm durch Streitigkeiten vergällt. Er dachte darüber nach, Spanien zu verlassen, bleib dann aber doch und wanderte umher. Er gewann einen anderen Freund und Patron in Samuel ibn Nagdela, den er in Gedichten pries. Später kam es zu einer Entfremdung zwischen ihnen, und Nagdela wurde eine Zeit lang zur Zielscheibe von Gabirols bitterster Ironie. Alle Zeugnisse stimmen darin überein, dass Gabirol zur Zeit seines Todes, die auf sein Wanderleben folgte, noch relativ jung war. Sein Todesjahr war wahrscheinlich 1058 oder 1059.
Eine Legende über Gabirols Tod wird von Jaḥja in Schalschelet ha-Kabbala erzählt. Demnach ermordete ihn ein islamischer Dichter, der auf Gabirols poetische Begabung neidisch war, und begrub ihn nahe der Wurzel eines Feigenbaumes. Der Baum trug daraufhin Früchte im Überfluss, und die Früchte waren außergewöhnlich süß. Dies erregte Aufsehen, die Sache wurde untersucht, und die sterblichen Überreste des ermordeten Gabirol wurden unter dem Baum gefunden; der Mörder bezalte diese Tat mit seinem Leben.
[Bearbeiten] Erneuerer des Neoplatonismus
Gabirol war einer der ersten Lehrer des Neoplatonismus in Europa. Seine Rolle ist mit der des Philo von Alexandria verglichen worden. Philo hatte als Vermittler zwischen der hellenistischen Philosophie und der orientalischen Welt gedient; ein Jahrtausend später okzidentalisierte Gabirol die graeco-arabische Philosophie und erneuerte sie in Europa. Die philosophischen Lehren von Philo wie von Gabirol wurden von ihren jüdischen Zeitgenossen größtenteils ignoriert; die Parallele wird dadurch noch vertieft, dass Philo wie Gabirol gleichermaßen eine beachtliche Wirkung in außer-jüdischen Kreisen hatten: Philo im frühen Christentum, Gabirol in der Scholastik des christlichen Mittelalters. Gabirols Rückführung der griechischen Philosophie in die christliche Welt wirkt wie eine Gegenleistung für die Dienste der frühen christlichen Gelehrten, die die Hauptwerke der griechischen Philosophen ins Syrische und Arabische übersetzt hatten.
[Bearbeiten] Identität mit Avicebron
1846 entdeckte Solomon Munk in der Pariser Bibliothèque Nationale unter den hebräischen Manuskripten ein Werk des Schem-Ṭob Palquera, bei dem sich herausstellte, dass es sich um eine Sammlung von Exzerpten eines arabischen Originals handelte, von dem das lateinische Manuskript des Fons Vitæ von Avicebron, das Munk ebenfalls in der Bibliothek gefunden hatte, offensichtlich eine Übersetzung war.
Aus dem Vergleich der Texte zog Munk die Schlussfolgerung, dass Avicebron oder Avencebrol, der jahrhundertelang für einen christlichen Philosophen der Scholastik gehalten worden war, identisch sein müsse mit dem Juden Ibn Gabirol ("Orient. Lit." 1846, No. 46).
[Bearbeiten] Die Fons Vitæ
In Fons Vitæ will Gabirol nur einen Teil seines philosophischen Systems ausarbeiten, die Lehre von Materie und Form, deshalb war Fons Vitæ auch unter dem Titel "De Materia et Forma" bekannt. Das Manuskript in der Mazarine-Bibliothek trägt den Titel "De Materia Universali".
Fons Vitæ besteht aus fünf Traktaten; vor allem geht es darin um 1) Materie und Form im allgemeinen und ihre Beziehung in physikalischen Substanzen ("substantiæ corporeæ sive compositæ"); 2) die Substanz, die der körperlichen Beschaffenheit der Welt zugrunde liegt; 3) Beweise für die Existenz von "substantiæ simplices", von Vermittlern zwischen Gott und der physischen Welt; 4) Beweise dafür, dass diese "substantiæ simplices" oder "intelligibiles" gleichfalls aus Materie und Form bestehen; 5) universelle Materie und universelle Form.
Die Hauptlehren von "Fons Vitæ" können folgendermaßen zusammengefasst werden:
- 1) alle geschaffenen Dinge bestehen aus Form und Materie
- 2) dies gilt für die physische Welt, für die "substantiis corporeis sive compositis", und ist ebenso wahr für die geistige Welt der "substantiis spiritualibus sive simplicibus", die später das Verbindungsglied bilden zwischen der ersten Substanz, "essentia prima", also der Gottheit, und der "substantia, quæ sustinet novem prædicamenta", also der in neun Kategorien unterteilten Substanz, in anderen Worten der physischen Welt.
- 3) Materie und Form stehen immer und überall im Verhältnis von "sustinens" und "sustentatum", "propriatum" and "proprietas", Substrat und Eigenschaft oder Attribut.
Die Hauptthese von Fons Vitæ lautet: Alles, was existiert, besteht aus Form und Materie; ein und dieselbe Materie durchströmt das ganze Universum, von den höchsten Regionen des Geistes bis zum niedrigsten Bereich des Physischen, nur dass die Materie, je weiter sie von ihrer ursprünglichen Quelle entfernt wird, immer weniger geistig wird. Gabirol betont immer wieder, dass die "materia universalis" das Substrat von allem sei, das existiere.
Ibn Gabirol glaubte, alles, was existiere, könne auf drei Kategorien reduziert werden: 1. die erste Substanz, Gott; 2. Materie und Form, die Welt; 3. der Wille als Verbindungsglied. Gabirol leitet Materie und Form vom absoluten Sein ab. In der Gottheit scheint er "essentia", Sein, zu differenzieren von "proprietas", Attribut zu unterscheiden, wobei er mit "proprietas" Willen, Weisheit und schöpferisches Wort ("voluntas, sapientia, verbum agens") bezeichnet. In der Realität denkt er die Gottheit als Sein, und als Wille oder Weisheit, und er betrachtet den Willen als identisch mit der göttlichen Natur. Diese Position ist in Gabirols Lehre impliziert, wonach Gottes Existenz erkennbar ist, aber nicht sein Sein und seine Beschaffenheit, kein Attribut kann Gott zugeschrieben werden, außer dem der Existenz.
[Bearbeiten] Abhandlung über Ethik
Die Verbesserung der moralischen Qualitäten ist eine ethische Abhandlung, die von Munk "ein Volks-Handbuch der Moral" genannt wurde. Gabirol verfasste sie 1045 in Saragossa auf Bitten einiger Freunde, die ein Buch über die Qualitäten des Menschen und Methoden zu ihrer Verbesserung wünschten. In zweierlei Hinsicht ist die "Ethik" (mit dieser Kurzform sei das Werk hier benannt) höchst originell.
Gabirol machte sich daran, die Prinzipien der Ethik unabhängig von religiösen Dogmen zu systematisieren. Seine Abhandlung ist originell in ihrer Betonung der physio-psychologischen Aspekte der Ethik; Gabirols Grundthese ist die Korrelation und Wechselbeziehung von Physischem und Psychischem in Hinsicht auf moralisches Verhalten.
Gabirols Thesen können folgendermaßen zusammengefasst werden: Die Qualitäten der Seele werden manifest durch die Sinne, und die Sinne wiederum beruhen auf den vier Gemütsverfassungen. So wie die Gemütsverfassungen sich gegenseitig modifizieren können, können die Sinne kontrolliert und die Qualitäten der Seele zum Guten oder Bösen trainiert werden. Obwohl Gabirol die Tugenden den Sinnen zuordnet, bezieht er sich damit nur auf die fünf physischen Sinne, nicht auf die "verborgenen" Sinne wie Wahrnehmung und Erkenntnis, die an der Natur der Seele teilhaben. Um die Seele zu kultivieren, muss der Mensch notwendigerweise sein Eigenheiten kenne, er muss sich selbst studieren, so wie er ist, muss seinen Charakter und seine Neigungen genau untersuchen, muss sich daran gewöhnen, alles Schlechte zu meiden, z.B. alles, was ihn in engen Kontakt mit dem Physischen und Vergänglichen bringt, und muss nach dem Geistigen und Ewigen streben. Dieses Bestreben ist in sich selbst Glückseligkeit. Die Fähigkeit eines Menschen zu einer solchen Bemühung ist ein Beweis für göttliches Wohlwollen.
Als nächstes folgt der originellste Teil von Gabirols ethischem System: Die Anordnung der Tugenden und Laster in Relation zu den Sinnen. Jeder Sinn ist demnach Instrument (nicht Agens) von zwei Tugenden und zwei entsprechenden Lastern.
[Bearbeiten] Versöhnung von Neoplatonismus und jüdischer Theologie
Einige Forscher vertreten die Ansicht, dass Gabirol bestrebt war, den Neoplatonismus mit der jüdischen Theologie zu versöhnen. Geiger sieht eine vollständige Harmonie zwischen Gabirols Konzeption der Gottheit und der historischen jüdischen Konzeption Gottes; und Guttmann und Eisler, Gabirols Lehre vom Willen stelle eine Abweichung von der pantheistischen Emanationslehre des Neoplatonismus dar und sei der Versuch einer Annäherung an die biblische Schöpfungslehre.
Eine Anregung durch den jüdischen Monotheismus kann in Gabirols Lehre von der Einheit der "materia universalis" gefunden werden. Die neoplatonische Lehre, dass die Gottheit unerkennbar sei, sprach die jüdischen Rationalisten naturgemäß an, die zwar die Existenz Gottes postulierten, aber geflissentlich davon Abstand nahmen, Gott bestimmte Qualitäten oder positive Attribute zuzuschreiben.
Ibn Gabirol wollte sein philosophisches Denken freihalten von jeglicher theologischer Beimischung. In dieser Hinsicht ist er einzigartig. Die Fons Vitæ zeigen völlige Unabhängigkeit von jüdischen religiösen Überlieferungen; weder ein Bibelvers noch eine Zeile von einem Rabbiner wird zitiert. Aus diesem Grund übte Gabirol relativ wenig Einfluss auf seine jüdischen Nachfolger aus und wurde von den Scholastikern als Nichtjude, also als Araber oder Christ, betrachtet. Der Verdacht der Häresie, der ihm früher anhing, verhinderte, dass Ibn Gabirol großen Einfluss auf das jüdische Denken ausüben konnte. Seine Emanationstheorie hielten viele für unvereinbar mit dem jüdischen Schöpfungsglauben; schließlich spülte die Welle des Aristotelismus' Gabirols Neoplatonismus hinweg.
[Bearbeiten] Wirkung auf die Nachwelt
Moses ibn Ezra ist der erste, der Gabirol als Philosophen erwähnt. Er spricht von Gabirols Charakter und Errungenschaften in den höchsten Tönen, und zitiert in seinem Aruggat ha-Bosem einige Passagen aus den Fons Vitæ. Abraham ibn Ezra, der einige Proben von Gabirols philosophisch-allegorischer Bibelinterpretation gibt, hat Stellen aus Fons Vitæ zitiert, ohne seine Quelle zu nennen.
Abraham ibn Daud aus Toledo, im 12. Jahrhundert, war der erste, der an Gabirols Lehren Anstoß nahm. In dem Sefer ha-Kabbala bezog er sich mit schmeichelhaften Worten auf Gabirol als Dichter. Aber um Gabirols Einfluss als Philosophen entgegenzuwirken, schrieb er ein arabisches Buch, das in der hebräischen Übersetzung Emunah Ramah hieß, und in dem er Gabirol vorhielt, er philosophiere ohne Rücksicht auf die jüdischen religiösen Positionen, und ihn beschuldigte, mehrere schlechte Argumente mit einem guten zu verwechseln.
Gelegentliche Spuren von Gabirols Denken können in Werken der kabbalistischen Literatur des 13. Jahrhunderts gefunden werden. Spätere Bezugnahmen auf Ibn Gabirol, wie bei Eli Ḥabillo, Juda Abarbanel und seinem Sohn Isaak Abarbanel, Moses Almosnino und Joseph Solomon Delmedigo, beruhen auf Kenntnissen der scholastischen Philosophie, besonders der Werke des Thomas von Aquin. Obwohl Gabirol als Philosoph in der jüdischen Gemeinschaft nicht studiert wurde, hielt sein Ansehen als Dichter die Erinnerung an seine philosophischen Ideen lebendig; denn sein bekanntestes Gedicht, Keter Malkut, ist eine philosophische Abhandlung in Gedichtform, ein "Double" von Fons Vitæ. Zum Beispiel enthält der 83. Vers des Gedichts eine Lehre aus Fons Vitæ, wonach alle Gott zugeschriebenen Attribute nur in Gedanken und nicht in der Realität existieren.
[Bearbeiten] Einfluss auf die Scholastik
Während Gabirol bei den Juden ohne philosophischen Einfluss blieb, fand er in der christlichen Welt große Aufmerksamkeit. Sein Werk, hinter dem man einen christlichen Philosophen vermutete, wurde zum Zankapfel zwischen den platonistischen Franziskanern, angeführt von Duns Scotus, der Gabirols Position unterstützte, und den aristotelischen Dominikanern, angeführt von Albertus Magnus und Thomas von Aquin, wobei letzterer einen möglichen Einfluss von arabisch-jüdischer Philosophie auf christliche Lehren geringschätzte.
Anzeichen für Einflüsse durch Ibn Gabirol können in den Werken von Dominicus Gundisallimus gefunden werden, der nicht nur die Fons vitæ ins Lateinische übersetzte, sondern auch Ideen Gabirols in seine eigenen Werke aufnahm. Wilhelm von Auvergne bezieht sich auf Gabirols Werk unter dem Titel "Fons Sapientiæ". Er spricht von Gabirol als Christen und rühmt ihn als "unicus omnium philosophantium nobilissimus". Alexander von Hales und sein Schüler Bonaventura akzeptierten Gabirols Lehre, dass geistige Substanzen aus Materie und Form bestehe. Auch Wilhelm von Lamarre war ein Verteidiger von Gabirols Lehren.
Der eifrigste Verfechter von Gabirols Theorie von der Universalität der Materie war Duns Scotus. Durch seinen Einfluss wurde der grundlegende Gedanke der Fons Vitæ, die Materialität geistiger Substanzen, in die christliche Philosophie eingeführt; dies inspirierte wiederum spätere Philosophen bis hin zu Giordano Bruno, der sich auf "den Mauren Avicebron" bezieht.
Die wesentlichen Streitpunkte zwischen Gabirol und Thomas von Aquin waren:
- die Universalität der Materie - Thomas meinte, geistige Substanzen seien immateriell;
- die Pluralität der Formen in einer physikalischen Wesenheit, die Thomas leugnete;
- die Kraft der Aktivität eines physikalischen Wesens, für die Gabirol sich aussprach. Thomas warf Gabirol vor, er würde den Fehler begehen, die theoretische Kombination von Gattung und Art auf die reale Existenz zu übertragen, und komme so zu der falschen Schlussfolgerung, dass in der Realität das Verhältnis aller Dinge zu Materie und Form ebenso sei wie ihr Verhältnis zu Gattung und Art.
[Bearbeiten] Literatur
- Salomon Munk, Ibn-Gébirol, ses écrits et sa philosophie (Mélanges de philosophie juive et arabe, S. 151-309)
- Ernst Behler, Die Ewigkeit der Welt (Paderborn 1965), S. 242-254
Personendaten | |
---|---|
NAME | Gabirol , Solomon Ibn |
ALTERNATIVNAMEN | Solomon ben Juda, Sebirul, Avicebron, Ibngebirol,"Avengebirol," "Avengebrol," "Avencebrol," "Avicebrol," "Avicebron" |
KURZBESCHREIBUNG | spanisch-jüdischer Dichter und Philosoph |
GEBURTSDATUM | 1021 |
GEBURTSORT | Málaga |
STERBEDATUM | 1058 |
STERBEORT | Valencia |