Stabilitätstheorie
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Die mathematische Stabilitätstheorie beschäftigt sich mit der Entwicklung von Störungen, die als Abweichung von bestimmten Zuständen dynamischer Systeme auftreten. Ein solcher Zustand kann etwa eine Ruhelage sein oder ein bestimmter Bewegungszustand, zum Beispiel eine periodische Bewegung.
Neben ihrer theoretischen Bedeutung findet die Stabilitätstheorie vor allem in technischen Gebieten Anwendung, zum Beispiel in der der Technischen Mechanik oder der Regelungstechnik. Ein untersuchter Verformungszustand der Festigkeitslehre oder ein Bewegungszustand der Dynamik können ab einer zu bestimmenden Stabiltätsgrenze in einen anderen Zustand wechseln. Damit verbunden sind in der Regel nichtlinear ansteigende Verformungen oder Bewegungen, die zur Zerstörung von Tragwerken führen können. Um diese zu vermeiden, ist die Kenntnis der Stabilitätsgrenze ein wichtiges Kriterium zur Bemessung von Bauteilen.
Beispiele:
Die Lösungsansätze für die Probleme der Stabilitätstheorie sind gewöhnliche und partielle Differentialgleichungen.
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[Bearbeiten] Mathematische Stabilitätsbegriffe
Für die Charakterisierung der Stabilität der Ruhelage eines dynamischen Systems existieren mehrere Stabilitätsbegriffe mit jeweils etwas unterschiedlicher Aussage. Ohne Einschränkung der Allgemeinheit kann dabei davon ausgegangen werden, dass die Ruhelage in liegt oder dorthin transformiert wurde. Die verschiedenen Stabilitätsdefinitionen lauten:
- Eine Ruhelage heißt Ljapunow stabil, wenn eine kleine Störung von der Stärke δ um diesen Punkt den Wert nie überschreitet; das heißt, wenn eine kleine Störung auch stets klein bleibt. Mathematisch formuliert: Für jedes genügend kleine existiert ein δ > 0, so dass für alle Zeiten t gilt: , falls .
- Eine Ruhelage heißt asymptotisch stabil, wenn sie
- a) stabil ist (im Sinne der obigen Definition) und
- b) jede Lösung der Differentialgleichung aus einer Umgebung der Ruhelage die Ruhelage asymptotisch erreicht (im formalen Grenzfall ), also: Es existiert ein δ > 0, so dass , falls .
- Eine Ruhelage heißt marginal stabil, wenn sie stabil, aber nicht asymptotisch stabil ist.
Für den Fall diskreter Systeme, die durch Differenzengleichungen beschrieben werden, ist die Ruhelage gleichzeitig Fixpunkt der Rekursionsgleichung und es gelten ähnliche Stabilitätsdefinitionen.
Die Unterscheidung zwischen Stabilität und asymptotischer Stabilität ist insofern wichtig, als dass die Eigenschaft b) der asymptotische Stabilität eine stärkere Aussage macht (Zulaufen auf den Fixpunkt), allerdings nur nach unendlicher Zeit, während die schwächere Eigenschaft der Stabilität (Störung wächst nicht über eine gewisse Grenze hinaus) für alle Zeiten gilt
[Bearbeiten] Direkte Methode von Ljapunow und Ljapunow-Funktion
Ljapunow entwickelte 1883 die sogenannte Direkte oder Zweite Methode, um die oben genannten Stabilitätseigenschaften an konkreten Systemen zu überprüfen:
Wir betrachten ein dynamisches System der Form mit der Ruhelage . Wir definieren weiter eine reellwertige stetige Funktion , die Ljapunow-Funktion durch folgende Eigenschaften
1. ,
2. für ,
3. .
Die Bedingungen (1) und (2) bewirken, dass die Funktion v einen konvexen Graphen mit einem Minimum in besitzt, d.h. anschaulich etwa die Form einer Tasse aufweist.
Bedingung (3) stellt sicher, dass die Funktion im zeitlichen Verlauf einer Lösung des Differentialgleichungssystems nur abnimmt. Zwangsläufig müssen die Lösungen des Differentialgleichungssystems dann asymptotisch in die Ruhelage laufen.
Daher gilt der Satz:
- Existiert zu der Ruhelage eine Ljapunow-Funktion v, so ist die Ruhelage asymptotisch stabil für alle Anfangsbedingungen innerhalb des Gebiets, in dem v definiert ist.
[Bearbeiten] Ljapunowgleichung
Für den Fall linearer Systeme kann zum Beispiel immer eine positiv definite quadratische Form als Ljapunow-Funktion Verwendung finden. Sie erfüllt offensichtlich die obigen Bedingungen (1) und (2). Bedingung (3) führt auf die Ljapunow-Gleichung
ATR + RA = − Q.
Falls Q positiv definit ist, so ist eine Ljapunow-Funktion. Für stabile lineare Systeme lässt sich eine solche Funktion immer finden.
[Bearbeiten] Stabilitätsanalyse linearer und nichtlinearer Systeme
Ein dynamisches System sei durch die Differentialgleichung gegeben. Wir betrachten eine Störung zum Zeitpunkt t. Wenn das System linear ist, kann diese Störung vollständig durch die Jacobi-Matrix der ersten Ableitungen nach ausgedrückt werden. Ist es nichtlinear, kann man es "linearisieren", d.h. die Funktion f nach δ um Taylor-entwickeln, sofern die Störung klein genug ist. In beiden Fällen ergibt sich für die Zeitentwicklung von δ
wobei die Jacobimatrix an der Stelle der Ruhelage ist. Diese Entwicklung wird demnach maßgeblich von den Eigenwerten der Jacobimatrix bestimmt. Konkret ergeben sich drei verschiedene Fälle:
- Der größte Eigenwert der Jacobimatrix ist negativ. Dann zerfällt δ exponentiell und die Ruhelage ist asymptotisch stabil.
- Der größte Eigenwert der Jacobimatrix ist positiv. Dann wächst δ exponentiell an und die Ruhelage ist instabil.
- Der größte Eigenwert der Jacobimatrix ist Null. Für ein lineares System bedeutet dies marginale Stabilität der Ruhelage. Bei nichtlineareren Systemen, die ja nur um die Ruhelage linearisiert wurden, kann die Stabilität allerdings auch noch von Termen höherer Ordnung in der Taylorentwicklung bestimmt werden. Die lineare Stabilitätstheorie vermag daher in diesem Fall keine Aussage zu machen.
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
- N. Rouche, P. Habets und M. Laloy: Stability Theory by Liapunov's Direct Method. Springer, 1977.
- W. Hahn: Stability of Motion. Springer, 1967.