Ungarnwälle
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Als Ungarnwälle bezeichnet die Burgenforschung eine Gruppe meist größerer frühmittelalterlicher Burgwallanlagen in Süd- bzw. Südwestdeutschland, Sachsen und einigen anderen Gebieten. Die Burganlagen entstanden als Reaktion auf die Ungarneinfälle am Ende des Frühmittelalters .
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[Bearbeiten] Geschichtlicher Hintergrund
Die Wehranlagen entstanden im 9. und 10. Jahrhundert als Truppenstützpunkte und Schutzburgen für die Bevölkerung. 926 kam es zu einem erneuten, verheerenden Ungarneinfall, nachdem die Steppenreiter bereits erstmals 899 Bayern angegriffen hatten. König Heinrich I. erließ deshalb auf dem Wormser Reichstag eine Burgenordnung, in der die Anlage zahlreicher großer Burganlagen beschlossen wurde. Einige der Burgen wurden neu geplant, meist wurden jedoch ältere Wallanlagen ausgebaut und modernisiert. Zusätzlich ordnete der König die Befestigung bisher schutzloser Städte und Märkte an, es entstand rasch ein dichtes Netz militärischer Stützpunkte und Fluchtburgen in den gefährdeten Gebieten. Allerdings waren einige Burgwälle natürlich bereits vor dieser Zeit angelegt worden, so etwa in Eichstätt und St. Gallen.
Gleichzeitig wurde mit dem Aufbau einer schlagkräftigen Panzerreiterei begonnen, das bisherige Volksheer und die wenigen berittenen, meist adeligen Krieger konnten der Bedrohung allein keinen ausreichenden Widerstand entgegensetzen. Beim Aufbau dieser Reitertruppe konnte man auf karolingische Traditionen zurückgreifen, bereits Karl Martell hatte die Mauren mit Hilfe einer solchen, gepanzerten Elitetruppe besiegt.
Das alte Volksheer bestand hauptsächlich aus Freien, die den östlichen Reiterkriegern als Fußkämpfer hoffnungslos unterlegen waren. Der Aufbau einer schwergepanzerten Reiterei war eine grundlegende Neuerung, welche die gesellschaftliche und politische Entwicklung Mitteleuropas deutlich veränderte. Die Ausrüstung der Elitekrieger war extrem teuer, die wenigen altadeligen Geschlechter konnten die „Ritter“ nicht allein aus ihren Reihen stellen. Also versah der Adel die Krieger mit einem Lehen, das die wirtschaftliche Absicherung des Panzerreiters gewährleisten konnte. Hierzu wurde auch Klostergut säkularisiert, bevorzugt wurden die Ländereien der von den Ungarn zerstörten Klöster eingezogen und an die Vasallen (Ministerialen) weitergegeben. Später entwickelten sich aus diesen Anfängen der Dienstadel und das mitteleuropäische Rittertum.
Heinrich I. gelang gegen hohe Tributzahlungen die Aushandlung eines zehnjährigen Waffenstillstandes. In dieser Zeit wurden zahlreiche, teilweise riesige Landesburgen und auch unzählige, kleinere Wallbefestigungen angelegt und die Panzerreitertruppe aufgebaut. 933 stellte man die Tributzahlungen vor Ablauf des Waffenstillstandes ein. Als Antwort kam es zu erneuten Angriffen, vorwiegend auf sächsisches und thüringisches Gebiet. Die Angreifer wurden hier jedoch bereits von den Reichstruppen erwartet. Die Bevölkerung war überwiegend evakuiert worden, die großen Landesburgen konnten als ideale Truppenstützpunke der neuen, gepanzerten Elitetruppe dienen. Die Ungarn wurden durch zwei deutsche Heeresgruppen an der Werra und der Unstrut in die Flucht geschlagen, die schwere Reiterei hatte ihre Bewährungsprobe gegen die östlichen Steppenreiter bestanden. Die Niederlagen beeindruckten die Ungarn so sehr, daß es bis zum Tod Heinrichs I. zu keinen weiteren Überfällen auf ostfränkisches Gebiet kam. Später kam es jedoch zu zahlreichen erneuten Übergriffen, die erst durch die vernichtende Niederlage der Ungarn auf dem Lechfeld bei Augsburg beendet werden konnten.
Einige der großen Wallanlagen wurden noch kürzere Zeit als Sitze von Grafen oder Vögten weiterbenutzt und ausgebaut, viele aber verlassen und vom Wald überwuchert. Einige hochmittelalterliche Burgen nutzen die ungarnzeitlichen Wallanlagen als zusätzliche Annäherungshindernisse, so etwa die Burg Kallmünz in der Oberpfalz oder die Karlsburg über Karlstadt in Unterfranken
Siehe auch: Ungarnkriege
[Bearbeiten] Die Kampfweise der Ungarn
Wie die Hunnen bevorzugten die magyarischen Nomadenkrieger den Kampf zu Pferd, die exzellenten Bogenschützen konnten die Waffe in vollem Galopp abfeuern. Der Fußkampf wurde nach Möglichkeit vermieden, auch die Belagerung befestigter Orte und Burgen. Bevorzugt wurden Überraschungsangriffe auf nur leicht- oder unbefestigte Dörfer oder Klöster, nach den Überfällen wurde rasch der Rückzug angetreten. Die Reiter waren nur leicht bewaffnet und gepanzert, Hauptwaffe war der Kompositbogen. Kriegsgefangene wurden entweder in die Sklaverei verschleppt, oder nach Folterungen hingerichtet.
[Bearbeiten] Die Ungarnwälle
Die großen Ungarnschutzburgen unterscheiden sich deutlich von älteren, prähistorischen oder frühgeschichtlichen Befestigungsanlagen. Viele dieser Burgen könnten heute noch innerhalb weniger Tage in einen verteidigungsfähigen Zustand versetzt werden, so gut sind die Erdwerke erhalten. Die Wälle sind zwischen 6 und 15 m hoch, auch die Gräben erreichen entsprechende Tiefen. Die Anlagen liegen oft auf Hügelspornen und werden durch mächtige Hanggräben zusätzlich gesichert. Ein besonderes Kennzeichen sind die gewaltigen Erdwälle, die die Angriffsseite in der Art späterer Schildmauern schützen. Diese Frontwälle werden ebenfalls als Ungarnwälle bezeichnet, der Begriff meint also entweder die ganze Wallanlage, oder auch nur den großen Hauptwall. Manchmal liegen vor den tiefen Gräben der Frontwälle noch ausgedehnte Vorburgen, die nach der Beseitigung der Ungarngefahr gelegentlich unvollendet blieben. Vor dem äußeren Wall wurden oft ausgeklügelte Annäherungshindernisse angelegt, etwa Wolfsgruben und Baumverhaue. Bei einigen Anlagen, besonders im Augsburger Umland, haben sich auch aufgeschüttete Erdriegel erhalten, die senkrecht vor dem Außengraben angelegt wurden. Diese Erdrippen (Reitergassen) waren sicherlich mit Dornengestrüpp bepflanzt oder durch angespitzte Holzpfähle bewehrt. Die magyarischen Reiter konnten so nicht direkt am Graben entlang galoppieren und die Verteidiger mit den Pfeilen ihrer Reflexbögen abschießen. Auch Fußkämpfer wurden so längere Zeit vom Sturm der Wälle abgehalten und konnten leichter mit Steinen und Bögen bekämpft werden. Die Anlage der Wallburgen trägt so in spezieller Weise der besonderen Kampfweise der Ungarn Rechnung,
Die beeindruckenden Wälle sind in der Regel reine Erdschüttungen, sie sind also nicht durch den Versturz von Holz/Erde- oder Steinmauern entstanden. Die meisten Wallkronen trugen wohl nur Palisaden, sonstige Aufbauten stammen meist aus späterer Zeit. Die Wall- und Grabenböschungen sind sehr steil, nach innen überhöhen die Wälle die Burgplateaus um mehrere Meter.
Neben den großen Landesburgen entstanden zahlreiche kleinere Schutzburgen der Dorfgemeinschaften und einzelner Grundherren, die charakteristischen Merkmale der großen Burgwälle finden sich hier in reduzierter Form wieder. Widukind von Corvey spricht beispielsweise von solchen kleineren Burgen auf der rechten Lechseite, tatsächlich tragen hier mehrere Wallanlagen deutliche ungarnzeitliche Züge. (Burgstall Burgadelzhausen, Pfarrerschanze und Eselsberg bei Thierhaupten, Vorderer Schlossberg Mering u.a) .
[Bearbeiten] Forschungsstand
Die Erforschung dieser Befestigungstyps steckt noch in den Kinderschuhen. Besondere Verdienste hat sich hier der Laienforscher Wilhelm Schneider erworben, seine Arbeit (siehe Literatur) kann auch heute noch als Grundlage für die Beschäftigung mit diesen Burganlagen herangezogen werden. Die meisten Ergebnisse seiner Untersuchungen wurden später von der akademischen Forschung bestätigt. Viele Burgwallanlagen, die früher bestenfalls als "frühmittelalterlich" eingeordnet wurden, werden heute als ungarnzeitlich datiert.
[Bearbeiten] Beispiele großer Ungarnschutzburgen
- Alte Burg (Fridingen an der Donau)
- Birg (Hohenschäftlarn)
- Birg (Kleinhöhenkirchen)
- Buschelberg (Fischach)
- Haldenburg (Schwabmünchen)
- Schanze bei Wagesenberg (Pöttmes)
- Weiherberg (Christgarten bei Nördlingen)
[Bearbeiten] Literatur
Wilhelm Schneider:Die südwestdeutschen Ungarnwälle und ihre Erbauer. (Arbeiten zur alamannischen Frühgeschichte, Heft XVI). – Tübingen, 1989