Woyzeck
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Woyzeck ist ein Dramenfragment des deutschen Dramatikers und Dichters Georg Büchner. Büchner begann vermutlich zwischen Juni und September 1836 mit der Niederschrift. Bei seinem frühen Tod im Jahr 1837 blieb das Werk als Fragment zurück. Das Manuskript ist in mehreren Entwurfsstufen überliefert. Im Druck erschien Woyzeck erstmals 1879 in der stark überarbeiteten und vom Herausgeber veränderten Fassung von Karl Emil Franzos. "Woyzeck" wurde am 8. November 1913 im Residenztheater München uraufgeführt.
Büchners Werk gehört zu den meistgespielten und einflussreichsten Dramen der deutschen Literatur. Es wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt, vielmals neu interpretiert und inspirierte zahlreiche Künstler, beispielsweise Alban Berg (Wozzeck, 1921), zu eigenen Werken.
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Entstehungsgeschichte
Quellen, historische Vorbilder
Historisches Vorbild für den Büchner’schen „Woyzeck“ ist der Leipziger Perückenmacher Johann Christian Woyzeck. Dieser hatte am 21. Juni 1821 die 46-jährige Witwe Christiane Woost in einem Hausflur in der Leipziger Sandgasse aus Eifersucht erstochen. Im Prozess erstellte der Medizinprofessor Johann Christian August Clarus zwei Gutachten über die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten. Woyzeck wurde verurteilt und am 27. August 1824 auf dem Marktplatz in Leipzig öffentlich hingerichtet.
Das Clarus-Gutachten mit dem Titel Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders J. C. Woyzeck, nach Grundsätzen der Staatsarzneikunde aktenmäßig erwiesen war in dem Fachblatt Henkes Zeitschrift für die Staatsarzneikunde erschienen. Büchners Vater hatte die Zeitschrift abonniert und veröffentlichte darin selbst Fälle aus seiner Praxis als Arzt.
Aus dieser Zeitschrift hat Georg Büchner wahrscheinlich auch Informationen über den Tabakspinnergesellen Daniel Schmolling, der am 23. September 1817 seine Geliebte Henriette Lehne in der Hasenheide bei Berlin umbrachte, und über den Leinenwebergesellen Johann Dieß, der am 15. August 1830 seine Geliebte Elisabeth Reuter in der Nähe von Darmstadt erstach.
Eine neuere Quelle [1]weist auf eine weitere Vorlage hin: Am 15. April 1816 ermordete der Schustergeselle Johann Philipp Schneider, weil er seine Schulden nicht bezahlen konnte, den Druckereigesellen Bernhard Lebrecht vor dem Rheintor in Darmstadt. Anschließend reinigte er Hände und Gesicht am Bessunger Tor in Darmstadt und wusch seine Kleider im Großen Woog, einem in der Innenstadt von Darmstadt gelegenen See. Nach der Tat erholte sich Schneider in einem Wirtshaus. Ein Barbier fand die Leiche und verständigte die Polizei. Schneider wurde anhand der Mordwaffe überführt, im Verlauf verurteilt und hingerichtet. Parallelen zu Büchners Drama sind offensichtlich. Als Separatdruck wurde dieser Fall 1816 vom Stabs-Auditeur Friedrich Schenk veröffentlicht und vom Darmstädter Hofgerichts-Advokat Philipp Bopp 1834 in einen Sammelband ausgewählter Fälle aufgenommen. Es lässt sich nicht nachweisen, dass Büchner die Veröffentlichung kannte, doch könnte er Bopp über gemeinsame Bekannte aus dem Kreis radikaler Demokraten in Darmstadt kennen gelernt haben.
Die Handschriften
Georg Büchner begann im Verlauf des Jahres 1836 in Straßburg mit der Arbeit an „Woyzeck“. Fertigstellen konnte Büchner das Drama wegen seines frühen Todes nicht.
Insgesamt liegen dem Drama – Streichungen und verworfene Passagen nicht eingerechnet – 31 Szenen aus der Hand Büchners zugrunde, die wahrscheinlich vier Entwicklungsstadien zugeordnet werden können. Es ist nicht erkennbar, wie Büchner diese Szenen anordnen wollte. Die Manuskriptseiten haben keine Seitenzahlen, die Szenen des nicht in Akte gegliederten Stücks sind nicht nummeriert. Viele Szenen sind sehr kurz und trotzdem eigenständig. Die Tinte des Manuskripts ist so stark verblasst, dass Büchners Bruder Schwierigkeiten hatte, das Werk zu entziffern; auch deshalb nahm er es nicht in die erste Gesamtausgabe von 1850 auf.
Das Woyzeck-Fragment liegt handschriftlich in mehreren Entwurfsfassungen vor, die heute im Weimarer Goethe- und Schiller-Archiv aufbewahrt werden. Eine Faksimileausgabe der Handschriften veröffentlichte 1981 Gerhard Schmid (s. Literatur).
Das Manuskript ist folgendermaßen überliefert:
- fünf Blätter im Kanzleiformat, gefaltet zu Doppelblättern im Folioformat mit zwei Szenengruppen zu 21 (heute als Entwurfsstufe H1 bezeichnet) und 9 Szenen (Gruppe H2).
- ein Einzelblatt im Quartformat mit zwei einzelnen Szenen.
- sechs Blätter im Folioformat, gefaltet zu sechs Doppelblättern im Quartformat (letzte Entwurfsstufe H4). Diese "vorläufige Reinschrift" des Dramas ist als am weitesten fortgeschrittener Entwurf die Grundlage heutiger Lese- und Bühnenfassungen.
Editionsgeschichte
Der fragmentarische Charakter des Stücks hatte für seine Veröffentlichung - wie auch für die Inszenierungen - weitreichende Folgen. Die Handschriften mussten wieder lesbar gemacht, transkribiert, die Szenenfolge für die Aufführung auf der Bühne festgelegt werden. Für die Interpreten des "Woyzeck" wie auch für die Büchner-Gelehrten bot sich reichlich Gelegenheit für Diskussionen.
Vierzehn Jahre nach Georg Büchners Tod brachte sein Bruder Ludwig 1850 die „Nachgelassenen Schriften“ heraus. "Woyzeck" wurde nicht aufgenommen, da das Manuskript stark verblasst und weitgehend unleserlich war. Der österreichische Schriftsteller Karl Emil Franzos konnte das Manuskript mit chemischer Behandlung wieder lesbar machen (s. Franzos' Textkritik). Er publizierte 1879 das Fragment in einer stark überarbeiteten Fassung in "Georg Büchner: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß" (s. Weblinks). Die Hauptperson heißt nach Franzos’ Lesart „Wozzeck“. An den Anfang des Stückes hat Franzos nicht die Szene auf dem freien Feld vor der Stadt, sondern die "Rasierszene" gesetzt (s. Szenenfolge: 5. Szene). Entscheidungen, die bis heute nachwirken: Werner Herzogs Woyzeck-Film beispielsweise beginnt mit der "Rasierszene", genau so wie die im Gutenberg-Projekt veröffentlichte Fassung (s. Weblinks). Auf die von Franzos herausgegebene Fassung bezieht sich auch Paul Landau, welcher 1909 in "Georg Büchners gesammelte Schriften" eine weitere Fassung herausgibt, die sich lediglich in der Szenenanordnung von Franzos’ Ausgabe unterscheidet. Diese Version benutzt Alban Berg als Grundlage für seine Oper.
Fritz Bergemann gab „Sämtliche Werke und Briefe“ heraus. Die nicht abgeschlossene "Kritisch-historische Ausgabe" von Werner R. Lehmann war auch die Grundlage der Münchner Ausgabe im Carl Hanser Verlag im Jahr 1984.
„Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zwei Bänden“, herausgegeben von Henri Poschmann, ist die jüngste Edition von Büchners Gesamtwerk (seit 2002 als Taschenbuch im Insel-Verlag). Burghard Dedner ist zusammen mit Thomas Michael Mayer verantwortlich für die "Studienausgabe" bei Reclam ( s. Literatur).
2001 erschien im K.G.Saur Verlag, München, Georg Büchner: Woyzeck. Faksimile, Transkription, Emendation und Lesetext - Buch- und CD-Rom Ausgabe, herausgegeben von Enrico De Angelis. (ISBN 3-598-11457-5)
Im Januar 2006 ist als aktuelle Edition der "Woyzeck" als Band 7 der "Historisch-kritische(n) Ausgabe der Sämtlichen Werke und Schriften Georg Büchners", der "Marburger Ausgabe", erschienen. Der Textband (Band 7.1) wurde von Burghard Dedner und Gerald Funk herausgegeben, der Erläuterungsband (Band 7.2) von Burghard Dedner.
Das Drama
Handlung im Überblick
Der einfache Soldat Franz Woyzeck, der seine Freundin Marie und das gemeinsame uneheliche Kind, die genau wie er am Rande der Gesellschaft leben, zu unterstützen versucht, arbeitet als Laufbursche für seinen Hauptmann. Außerdem lässt er sich von einem skrupellosen Arzt als Versuchsperson auf Erbsendiät setzen, um einen zusätzlichen Verdienst zu seinem mageren Sold zu erhalten. Hauptmann und Arzt nutzen Woyzeck physisch und psychisch aus und demütigen ihn in der Öffentlichkeit. Marie beginnt eine Affäre mit einem Tambourmajor. Woyzecks aufkeimender Verdacht wird durch ihm nicht freundlich gesonnene Mitmenschen geschürt, bis er Marie und den Nebenbuhler beim Tanz im Wirtshaus ertappt. Er hört "Stimmen", die ihm befehlen, die treulose Marie umzubringen. Er kauft ein Messer, da das Geld für eine Pistole nicht reicht, und ersticht Marie in einem Wald nahe einem See.
Szenenfolge
Es gibt bis heute mehrere "Lese- und Bühnenfassungen" von Woyzeck. Werner R. Lehmann (s. Literatur) hat folgende Szenenfolge auf der Grundlage von Büchners Handschriften konstruiert:
- 1. Szene: Freies Feld, die Stadt in der Ferne Woyzeck und sein Kamerad Andres schneiden Weidenstöcke. Woyzeck sieht sich von übernatürlichen Mächten bedroht. "Es geht hinter mir, unter mir - hohl, hörst du? Alles hohl da unten. Die Freimaurer!"
- 2. Szene: Die Stadt Die Militärkapelle marschiert auf der Straße vorbei. Marie winkt dem Tambourmajor zu. Die Nachbarin Margreth bekommt das mit. Woyzeck besucht seine Geliebte und das Kind. Er spricht geheimnisvoll. Marie zeigt kein Verständnis.
- 3. Szene: Buden, Lichter, Volk Alter Mann singt zum Leierkasten. Marie und Woyzeck hören einem Ausrufer zu, der Kuriositäten präsentiert. Unteroffizier und Tambourmajor schwärmen von Marie.
- 4. Szene: Mariens Kammer Marie betrachtet sich im Spiegel. Der Tambourmajor hat ihr Ohrringe geschenkt. Woyzeck überrascht sie und gibt ihr Geld. Eilt wieder davon.
- 5. Szene: Beim Hauptmann Woyzeck rasiert den Hauptmann. Der verhöhnt ihn. Als der Hauptmann über Moral und über Woyzecks Kind zu reden kommt, das „ohne den Segen der Kirche“ geboren sei, gibt der Soldat seine Wortkargheit auf. „Ich glaub', wenn wir (armen Leute) in den Himmel kämen, müssten wir donnern helfen!“
- 6. Szene: Mariens Kammer Der Tambourmajor macht ihr Avancen. Sie weist ihn erst zurück und gibt dann nach. "MARIE heftig: Rühr mich an!"
- 7. Szene: Auf der Gasse Woyzeck hat eine Ahnung, dass Marie ihm untreu ist. Woyzeck will seine Vermutung von der Untreue Maries bestätigt wissen.
- 8. Szene: Beim Doktor Woyzeck hat sich dem Doktor für Versuche zur Verfügung gestellt, um Geld zu verdienen. Der Doktor verabreicht ihm die tägliche Erbsenration. Woyzeck spricht über seine Visionen. Für den Doktor ist Woyzeck „ein interessanter casus“.
- 9. Szene: Straße Der Hauptmann belästigt den Doktor mit seinen Ansichten. Der sagt dem Hauptmann einen Schlaganfall voraus. Als Woyzeck ihren Weg kreuzt, lassen beide ihre Aggressionen an ihm aus und deuten eine Affäre zwischen Marie und dem Tambourmajor an. Woyzeck ist getroffen.
- 10. Szene: Die Wachtstube Woyzeck teilt Andres seine innere Unruhe mit.
- 11. Szene: Wirtshaus Soldaten vergnügen sich, Handwerksburschen und junge Frauen tanzen. Unter ihnen auch Marie und der Tambourmajor. Woyzeck sieht das Paar, kann es nicht fassen.
- 12. Szene: Freies Feld Woyzeck hört Stimmen, die ihm auftragen, Marie zu töten. "...stich die Zickwolfin [(Marie)] tot."
- 13. Szene: Nacht In der Nacht versucht sich Woyzeck Andres mitzuteilen, er spricht von den Stimmen, die ihm zu töten befehlen, doch Andres will nur schlafen.
- 14. Szene: Wirtshaus Woyzeck und der Tambourmajor treffen aufeinander. Im Zweikampf unterliegt Woyzeck.
- 15. Szene: Kramladen Woyzeck besorgt sich im Laden eines Juden ein Messer.
- 16. Szene: Mariens Kammer Marie empfindet Reue und sucht in der Bibel nach Trost.
- 17. Szene: Kaserne Woyzeck teilt Andres mit, wer seine Habseligkeiten nach seinem Tod bekommen soll, dieser erkennt seine psychische Lage und dass er Hilfe braucht "Franz, du kommst ins Lazarett. Armer, du musst Schnaps trinken und Pulver drin, das töt’ das Fieber."
- 18. Szene: Der Hof des Doktors Studenten nehmen an einer Vorlesung teil. Woyzeck wird vom Doktor als Versuchsobjekt vorgeführt und gedemütigt.
- 19. Szene: Straße Marie mit mehreren kleinen Mädchen und der Großmutter vor dem Haus. Großmutter erzählt das Märchen vom Sterntaler als Anti-Märchen, was eine Welt ohne Trost zeichnet. Woyzeck fordert Marie auf, ihm zu folgen. "Marie wir wolln geh’n. S’ ist Zeit."
- 20. Szene: Abend. Die Stadt in der Ferne Woyzeck und Marie sind vor der Stadt. Marie folgt ihm unwillig, sie will weg. "Ich muss fort, das Nachtessen richten." Anstatt sie gehen zu lassen, sticht Woyzeck auf Marie ein und gerät in einen Blutrausch: "Nimm das und das! Kannst du nicht sterben? So! so! Ha sie zuckt noch, noch nicht, noch nicht? Immer noch? (Stößt zu.) Bist du tot? Tot! Tot!"
- 21. Szene: Es kommen Leute Zwei Personen hören aus der Ferne, was passiert, entfernen sich aber.
- 22. Szene: Wirtshaus Eine Frau im Wirtshaus sieht, wie Woyzeck mit Blut beschmiert ist, woraufhin dieser die Flucht ergreift.
- 23. Szene: Abend. Die Stadt in der Ferne Woyzeck sucht das Messer am Tatort, der in der Nähe eines Teiches liegt.
- 24. Szene: Am Teich Woyzeck versenkt das Messer im Teich.
- 25. Szene: Straße Kinder teilen einander mit, dass vor der Stadt eine Leiche gefunden wurde.
- 26. Szene: Gerichtsdiener, Arzt, Richter Die gefundene Leiche gilt als spektakulär – Gerichtsdiener: “Ein guter Mord, ein echter Mord, ein schöner Mord, so schön als man ihn nur verlangen kann, wir haben schon lange so kein gehabt.“
- 27. Szene: Karl ("Narr"), Woyzeck, das Kind. Karl hält Woyzecks und Maries Kind auf dem Schoß. Woyzeck verspricht ihm ein Gebäck ("Reuter"). Karl läuft mit dem Kind weg.
Besonderheiten von Büchners Schreibstil
Auch die Sprache ist für das offene Drama typisch. Im Gegensatz zu dem klassischen Drama, in dem die Hauptpersonen in langen, perfekt ausgefeilten Satzgefügen sprechen, ist in Woyzeck die Umgangssprache vorherrschend:
- "WOYZECK: Aber mit der Natur ist's was anders, sehn Sie; mit der Natur, das ist so was, wie soll ich doch sagen, zum Beispiel..."
Durch bewusst eingebaute grammatische Fehler, Satzabbrüche und Ausrufe schafft Büchner Authentizität. Gleichzeitig dient die Form der Umgangssprache als Spannung steigerndes Mittel. Sie wird verwendet, um Inhalt zu vermitteln. So versinnbildlicht das aneinander Vorbeireden der Menschen die Einsamkeit Woyzecks und vor allem seine zerfallende Beziehung zu Marie. Darüber hinaus gelingt es Büchner, durch das Niveau der Sprache den gesellschaftlichen Rang des Sprechers zu zeigen. Der Doktor spricht relativ gutes Hochdeutsch, während die Sprache Woyzecks und Maries, die den untersten Gesellschaftsschichten angehören, mit Fehlern gespickt ist.
Auch die Betitelung der Rollen ist hervorzuheben. Die fünf Personen, die den niedrigsten Gesellschaftsschichten entstammen, Woyzeck, sein Stubenkamerad Andres, Marie, das Mädchen Käthe und Maries Nachbarin Margreth, werden vom Autor mit ihren Namen bezeichnet und erscheinen auch sonst als Identifikationsfiguren, als Charaktere. Die übrigen Rollen werden lediglich mit ihren gesellschaftlichen Funktionen bezeichnet, ohne jemals einen Namen zu haben. Es gibt den "Tambourmajor", den "Hauptmann", den "Doktor", aber auch den "Juden", die "Großmutter" oder den "Budenbesitzer". Diese Rollen erscheinen nicht menschlich, sie sind nur eine Art Schema, das man als typisch für Personen dieser Art ansehen würde. Es handelt sich also um eine Mischung aus Charakteren und Typen.
Interpretation
Das Mordmotiv
Bemerkenswert ist, dass das Drama verschiedene Mordmotive Woyzecks anbietet, die je nach Ausgabe und Abfolge der Szenen unterschiedlich gewichtet werden:
- Die Befreiung von der Gesellschaft: Woyzeck wird von der Gesellschaft, vor allem in Person des Hauptmanns, des Doktors und des Tambourmajors ausgenutzt beziehungsweise gedemütigt. Der Mord an Marie erscheint somit als Protest gegen bestehende Verhältnisse, als Ausbruch seiner aufgestauten Aggression gegen die etablierten Klassen, denen er nichts anhaben kann.
- Die psychologische Störung: Woyzeck hört immer wieder Stimmen, welche ein Symptom für Schizophrenie sind. Somit erscheint der Mord auch als Folge einer nicht bemerkten oder nicht anerkannten Krankheit.
- Das Eifersuchtsmotiv: Das offensichtlichste Mordmotiv ist die Eifersucht auf Marie, die, obwohl Woyzeck sich für sie und das gemeinsame Kind gleichsam aufopfert, ihn betrügt und sich mit dem Tambourmajor einlässt.
So ergeben sich auch wieder verschiedene mögliche Interpretationen des Dramas, was ein weiteres Merkmal für ein offenes Drama darstellt.
Der Kern des Dramas
Um den Kernpunkt des Dramas „Woyzeck“ zu erfassen, ist es wichtig, auf das Mordmotiv einzugehen. Es reicht jedoch nicht, sich auf Woyzecks Eifersucht gegenüber dem Tambourmajor zu beschränken. Eine große Rolle spielen ebenfalls die gesellschaftlichen Hintergründe, ganz besonders die ständische Gliederung der Gesellschaft. Deutlich wird dies vor allem mit einem Blick auf die Personenkonstellation und die Sprache von Büchners Figuren.
Woyzeck wird in dieser Gesellschaft unterdrückt und gedemütigt, was sich in den Beziehungen zu dem Hauptmann, dem Doktor, aber auch dem Tambourmajor widerspiegelt: Der Hauptmann, der Woyzeck aufgrund seiner ärmlichen Herkunft als unmoralisch bezeichnet und ihn sogar nur in der dritten Person anspricht, der Doktor, der ihn als Versuchsobjekt ansieht und Woyzeck zur einseitigen Ernährung mit Erbsen zwingt und der Tambourmajor, der Woyzeck gegenüber keinen Respekt erweist und ihn sowohl öffentlich als auch privat lächerlich macht. Der Protagonist sieht keine Möglichkeit, die Versuche des Doktors zu umgehen, da er auf Nebeneinkünfte angewiesen ist, um seine Familie zu ernähren.
Woyzeck ist zudem nicht nur physisch, sondern auch psychisch labil. Das hat zur Folge, dass er sich der Willkür anderer Menschen unterordnet. Unterdrückung und Unterordnung lösen in ihm Wut und Verzweiflung aus. Allein die Beziehung zu Marie gibt ihm Halt und vermittelt ihm das Gefühl, ein wertvoller Mensch zu sein. Maries Untreue ist demnach als Auslöser für den Mord zu betrachten, nicht aber als Grund: Durch den Verlust ihrer Treue kann Woyzeck dem gesellschaftlichen Druck, der auf ihm lastet, nicht länger standhalten. Der Mord an Marie kann als ein Akt der Selbstzerstörung Woyzecks und als eine Befreiung von der Gesellschaft interpretiert werden.
Wenn man davon ausgeht, dass bei dem Mord alle drei Faktoren eine Rolle gespielt haben, dann war die Eifersucht wohl ausschlaggebend.
Rezeption des „Woyzeck“
Auf Künstler, Regisseure, Maler, Musiker und Filmemacher in der ganzen Welt hatte „Woyzeck“ erheblichen Einfluss.
Dichter, Kritiker, Dramatiker über „Woyzeck“
- „... der Woyzeck Georg Büchners... Eine ungeheure Sache, vor mehr als achtzig Jahren geschrieben... nichts als das Schicksal eines gemeinen Soldaten (um 1848 etwa), der seine ungetreue Geliebte ersticht, aber gewaltig darstellend, wie um die mindeste Existenz, für die selbst die Uniform eines gewöhnlichen Infanteristen zu weit und zu betont erscheint, wie selbst um den Rekruten Wozzek, alle Größe des Daseins steht, wie er’s nicht hindern kann, dass bald da, bald dort, vor, hinter, zu Seiten seiner dumpfen Seele die Horizonte ins Gewaltige, ins Ungeheure, ins Unendliche aufreißen, ein Schauspiel ohnegleichen, wie dieser missbrauchte Mensch in seiner Stalljacke im Weltall steht, malgré lui, im unendlichen Bezug der Sterne. Das ist Theater, so könnte Theater sein.“ (Brief an Maria von Thurn und Taxis, 9. Juli 1915)
- „Woyzeck ist der Mensch, auf dem alle rumtrampeln. Somit ein Behandelter nicht ein Handelnder. Somit ein Kreisel nicht eine Peitsche. Somit ein Opfer nicht ein Täter. Dramengestalt wird sozusagen die Mitwelt - nicht Woyzeck. Kernpunkt wird sozusagen die quälende Menschheit - nicht ihr gequälter Mensch. Bei alle dem bleibt wahr, dass Woyzeck durch seine Machtlosigkeit justament furchtbarsten Einspruch erhebt. Dass er am tiefsten angreift - weil er halt nicht angreifen kann.“ (Theater-Kritik, 15. Dezember 1927)
- „Letztlich - und das ist das Entscheidende - geht es im "Woyzeck" wie zuvor im "Landboten" und im "Danton" um die stets gleiche Frage: um die Abhängigkeit menschlicher Existenz von Umständen, die 'außer uns liegen'. Den "grässlichen Fatalismus der Geschichte" und seine "zernichtende" Gewalt hatte Büchner schon in seiner frühesten Gießener Zeit empfunden. Das Studium der Geschichte, vor allem der großen politischen Umwälzungen, hatte ihm die Frage gestellt, die er als Schicksalsfrage menschlicher Existenz empfand: "Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt?". Das aber war nichts anderes als die Frage nach den bestimmenden und verursachenden Faktoren des menschlichen Schicksals; es war die Frage nach Freiheit oder Vorherbestimmtheit menschlicher Willensentscheidungen, nach der Möglichkeit oder auch nur Sinnhaftigkeit, durch Handeln und Planen in den Geschichtsverlauf und den Verlauf des Einzellebens eingreifen zu können.“ (Aus Hans Mayer: Georg Büchner und seine Zeit, Frankfurt 1972)
- „Ein vielmal vom Theater geschundener Text, der einem Dreiundzwanzigjährigen passiert ist, dem die Parzen bei der Geburt die Augenlider weggeschnitten haben, vom Fieber zersprengt bis in die Orthografie, eine Struktur, wie sie beim Bleigießen entstehen mag, wenn die Hand mit dem Löffel vor dem Blick in die Zukunft zittert, blockiert als schlafloser Engel den Eingang zum Paradies, in dem die Unschuld des Stückeschreibers zu Hause war. Wie harmlos der Pillenknick der neueren Dramatik, Becketts Warten auf Godot, vor diesem schnellen Gewitter, das mit der Geschwindigkeit einer anderen Zeit kommt, Lenz im Gepäck, den erloschenen Blitz aus Livland, Zeit Georg Heyms im utopielosen Raum unter dem Eis der Havel, Konrad Bayers im ausgeweiteten Schädel des Vitus Bering, Rolf Dieter Brinkmanns im Rechtsverkehr vor SHAKESPEARES PUB, wie schamlos die Lüge vom POSTHISTOIRE der barbarischen Wirklichkeit unserer Vorgeschichte.“ (Aus Heiner Müller: Die Wunde Woyzeck, 1985)
„Woyzeck“ in der Musik
Ein Meilenstein in der Auseinandersetzung mit Büchners Fragment war Alban Bergs Oper Wozzeck von 1921. Eine Aufführung dreier Ausschnitte im Jahr 1924 brachte Berg den ersten öffentlichen Erfolg. Doch erst Erich Kleiber, Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper, erkannte die Genialität der Partitur und brachte den „Wozzeck“ am 14. Dezember 1925 zur Uraufführung. Eine weitere Opernfassung unter dem Titel Wozzeck schuf Manfred Gurlitt. Sie wurde 1925 in Berlin uraufgeführt.
Im November 2000 brachte Robert Wilson das Stück am Betty Nansen Theater in Kopenhagen mit Musik von Tom Waits auf die Bühne. Blood Money heißt das Album mit den Songs aus dieser Inszenierung.
Im Jahre 2003 veröffentlichte die italienische Neofolk-Band Rose Rovine e Amanti ein "Woyzeck" betiteltes Album, dessen Titelsong auf dem Büchner’schen Drama basiert.
„Woyzeck“ im Film
Georg Klaren war der erste Filmregisseur, der "Woyzeck" in die Kinos brachte (Titel: "Wozzeck"). Klaren hatte schon 1930 die Idee für den Film, konnte sie aber erst nach dem 2. Weltkrieg umsetzen. Die Rahmenhandlung des Filmes spielt in einem Anatomiesaal einer deutschen Universität. Dort ist der Körper des Füsiliers Woyzeck aufgebahrt, der gehängt wurde. Dem Professor gilt er als Mörder, der Student Büchner antwortet: "... den wir ermordet haben". Im weiteren Verlauf der Handlung erzählt er dann seinen Kommilitonen die Geschichte, die dem Drama zu Grunde liegt. Kurt Meisel spielte den Woyzeck, Paul Henckels den Doktor und Helga Zülch die Marie. In weiteren Rollen: Max Eckard, Paul Henckels, Karl Hellmer, Rotraut Richter und Willi Rose.
"Bei dieser Arbeit", so Klaren in einem Gespräch mit der "Berliner Zeitung" am 18. Mai 1947, "sehe ich wiederum meine Auffassung über die Verfilmung literarischer Themen bestätigt: Fragmente wie "Woyzeck" oder Novellen eignen sich viel besser für die Verfilmung als Theaterstücke oder Romane. Fragmente deshalb, weil sie der optischen Phantasie jeden Spielraum lassen, weil ihre Zuspitzung auf eine einzige Pointe der Wesensform des Films ganz besonders entspricht."
Nach der Fertigstellung galt der Film als künstlerisch sehr beachtenswert, da er ein an den Expressionismus angelegtes Filmwerk darstellt. Doch er wurde wegen Bedenken an der marxistischen Grundhaltung bald nach der Premiere zurückgezogen und kam erst 1958 (andere Quellen nennen 1964) in die bundesrepublikanischen Lichtspieltheater. Dort hieß er "Der Fall Wozzeck".
Seit Klarens Woyzeck haben eine ganze Reihe von Regisseuren das Fragment verfilmt. Die bekannteste Verfilmung ist Werner Herzogs Woyzeck aus dem Jahr 1979, in der Woyzeck durch Klaus Kinski gespielt wird.
Literatur
Werkausgaben
- Georg Büchner: Werke und Briefe - Nach der historisch-kritischen Ausgabe von Werner R. Lehmann, Hanser Verlag, München 1984 u.ö. ISBN 3-446-12883-2
- Georg Büchner: Woyzeck. Faksimileausgabe der Handschriften. Bearbeitet von Gerhard Schmidt, Leipzig, 1981.
- Georg Büchner: Dichtungen. Hg. v. Henri Poschmann unter Mitarb. v. Rosemarie Poschmann. Frankfurt a. M.: Deutscher Klassiker Verlag 1992 (Georg Büchner: Sämtl. Werke. Briefe u. Dokumente, Bd. 1), S. 145-219. ISBN 3-618-60090-9
- Georg Büchner: Woyzeck. Studienausgabe, Reclam, Stuttgart 1999 ISBN 3-1501-8007-4
- Georg Büchner: Sämtliche Werke und Schriften (Marburger Ausgabe), Bd. 7: Woyzeck, Teilband 1: Text, hrsg. von Burghard Dedner und Gerald Funk unter Mitarb. von Per Röcken, Teilband 2: Text, Editionsbericht, Dokumente und Erläuterungen, hrsg. von Burghard Dedner unter Mitarb. von Arnd Beise, Ingrid Rehme, Eva-Maria Vering und Manfred Wenzel, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005 ISBN 3-534-15603-X
Sekundärliteratur
- Norbert Kinne: Lektürehilfen Woyzeck. 8 Abitur-Fragen mit Lösungen. Literatur verstehen, aus der Reihe: «Klett Lektürehilfen», Ernst Klett Verlag, 2. Ausgabe, Stuttgart 2005 , ISBN 3-12-923005-X
Quellen
- ↑ Burghard Dedner, Eva-Maria Vering: Es geschah in Darmstadt. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Freitag, 23. Dezember 2005, Nr. 299, Seite 35
Georg Büchner Woyzeck/ Leonce und Lena, Hamburger Lesehefte Verlag Heft 148
Erläuterungen und Dokumente Georg Büchner Woyzeck, Reclam Universal Bibliothek Nr. 8117
[3]Georg Büchner Woyzeck Kritische Lese- und Arbeitsausgabe, Reclam Universal Bibliothek Nr. 9347
[2]Georg Büchner Werke und Briefe, dtv Gesamtausgabe 1. Auflage April 1965
http://www.rainerjacob.de/deutscheliteratur/buechner/01bcf293cf064d422/index.html http://www.zum.de/Faecher/D/BW/gym/Buechner/woyzeck.htm http://gutenberg.spiegel.de/buechner/woyzeck/woyz2001.htm
Weblinks
Wikisource: Wozzeck – Quellentexte |
Wikisource: Clarus-Gutachten – Quellentexte |